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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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nun schien die Stunde gekommen, wo ihnen die reife Frucht von selber in
den Schooß fiel. Gegen eine Summe fand sich der Abt bereit, den Verrath
zu üben, er lieferte selber das Kloster an Constanz aus und damit waren
seine Würfel für alle Zeiten gefallen (1S40).

Das sind die Gedanken und Erinnerungen, deren man nicht ledig wird,
wenn man über die breite herrliche Insel wandert. Es ist uns seltsam bade;
zu Muthe; noch steht die alte Kirche mit einem Thurm aus Hatto's Zeiten;
wir schreiten durch das geschnitzte Portal an den grauen Pfeilern hin, an
Gräbern vorbei, auf deren steinerner Decke Krummstab und Inful prangt,
aber wehmüthig düster scheint das gebrochene Licht, das uns umfängt. Es
ist ein Zug der Ohnmacht, der durch diese Stätte geht, und wie der stumme
Träger derselben blickt uns das Kaisergrab Karl des Dicken an, der entthront
und enterbe hier starb.

In der Sakristei, wo die eisernen Riegel knarren, liegen die Schätze und
Heiligrhümer der Abtei verwahrt, Evangelienbücher auf zierlichem Pergament,
Monstranzen und Kelche, kostbare Gewänder und elfenbeinerne Schnitzereien
Auch ein riesiger "Smaragd" im Gewichte von mehr als 20 Pfund liegt dort,
der freilich in unseren Augen nicht mehr ist, als grünes Glas.

Unbewußt athmen wir auf, wenn wir wieder heraustreten aus diesen
dämmerhaften geistig verarmten Räumen in die freie Natur, die allein noch
den Namen verdient der -- reichen An. Fruchtschwere Bäume und horniges
Weinland umgeben uns, aus den grünen Wiesen lugen drei Dörfer hervor:
Ober-, Mittel- und Unterzell, am Uferrand glänzt die Ruine der alten Scopula-
Burg, auf der sich die Mönche in drohender Zeit verschanzten. Und das
Alles überströmt vom warmen Sommerduft, das Alles umspült von blauer
Ruth, überall steigen am Strande weißblinkende Städtlein und Dörfer auf;
Äznang und Horn. Steckborn gen Süden und gen Norden Sankt Radolfszelle.

Nun aber ändert sich mältg die Gegend; ein eigenartiger Kampf zwischen
Wasser und Land beginnt, immer mächtiger drängt sich der Seegrund gegen
den seichten Spiegel, es rüstet sich der Rhein zum Austritt. Schon nach
Reichen"" hinüber ist der Weg durch den See so flach, daß man zur hohen
Sommerzeit fast trocken hindurch kommt.

Es ist Schweizerland, das wir jetzt betreten. Das mächtige Schloß, das
Wir da drüben sehen, wo der Rhein aus dem Obersee in den Untersee hinab¬
strömt, heißt Göttlichen. Melancholisch und grau schauen die kantigen Thürme
drein, von denen der Dichter mit Recht behauptet, daß sie der Unmuth er¬
baute und daß sie nur traurige Gäste gesehen. Grollend zog sich der Bischof
von Constanz Hieher zurück vor dem Hasse des großen Staufenkaisers Fried¬
lich II. Hier lag Johannes Huß gefangen, eh' sie ihn auf den Scheiterhaufen


nun schien die Stunde gekommen, wo ihnen die reife Frucht von selber in
den Schooß fiel. Gegen eine Summe fand sich der Abt bereit, den Verrath
zu üben, er lieferte selber das Kloster an Constanz aus und damit waren
seine Würfel für alle Zeiten gefallen (1S40).

Das sind die Gedanken und Erinnerungen, deren man nicht ledig wird,
wenn man über die breite herrliche Insel wandert. Es ist uns seltsam bade;
zu Muthe; noch steht die alte Kirche mit einem Thurm aus Hatto's Zeiten;
wir schreiten durch das geschnitzte Portal an den grauen Pfeilern hin, an
Gräbern vorbei, auf deren steinerner Decke Krummstab und Inful prangt,
aber wehmüthig düster scheint das gebrochene Licht, das uns umfängt. Es
ist ein Zug der Ohnmacht, der durch diese Stätte geht, und wie der stumme
Träger derselben blickt uns das Kaisergrab Karl des Dicken an, der entthront
und enterbe hier starb.

In der Sakristei, wo die eisernen Riegel knarren, liegen die Schätze und
Heiligrhümer der Abtei verwahrt, Evangelienbücher auf zierlichem Pergament,
Monstranzen und Kelche, kostbare Gewänder und elfenbeinerne Schnitzereien
Auch ein riesiger „Smaragd" im Gewichte von mehr als 20 Pfund liegt dort,
der freilich in unseren Augen nicht mehr ist, als grünes Glas.

Unbewußt athmen wir auf, wenn wir wieder heraustreten aus diesen
dämmerhaften geistig verarmten Räumen in die freie Natur, die allein noch
den Namen verdient der — reichen An. Fruchtschwere Bäume und horniges
Weinland umgeben uns, aus den grünen Wiesen lugen drei Dörfer hervor:
Ober-, Mittel- und Unterzell, am Uferrand glänzt die Ruine der alten Scopula-
Burg, auf der sich die Mönche in drohender Zeit verschanzten. Und das
Alles überströmt vom warmen Sommerduft, das Alles umspült von blauer
Ruth, überall steigen am Strande weißblinkende Städtlein und Dörfer auf;
Äznang und Horn. Steckborn gen Süden und gen Norden Sankt Radolfszelle.

Nun aber ändert sich mältg die Gegend; ein eigenartiger Kampf zwischen
Wasser und Land beginnt, immer mächtiger drängt sich der Seegrund gegen
den seichten Spiegel, es rüstet sich der Rhein zum Austritt. Schon nach
Reichen«» hinüber ist der Weg durch den See so flach, daß man zur hohen
Sommerzeit fast trocken hindurch kommt.

Es ist Schweizerland, das wir jetzt betreten. Das mächtige Schloß, das
Wir da drüben sehen, wo der Rhein aus dem Obersee in den Untersee hinab¬
strömt, heißt Göttlichen. Melancholisch und grau schauen die kantigen Thürme
drein, von denen der Dichter mit Recht behauptet, daß sie der Unmuth er¬
baute und daß sie nur traurige Gäste gesehen. Grollend zog sich der Bischof
von Constanz Hieher zurück vor dem Hasse des großen Staufenkaisers Fried¬
lich II. Hier lag Johannes Huß gefangen, eh' sie ihn auf den Scheiterhaufen


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[0311] nun schien die Stunde gekommen, wo ihnen die reife Frucht von selber in den Schooß fiel. Gegen eine Summe fand sich der Abt bereit, den Verrath zu üben, er lieferte selber das Kloster an Constanz aus und damit waren seine Würfel für alle Zeiten gefallen (1S40). Das sind die Gedanken und Erinnerungen, deren man nicht ledig wird, wenn man über die breite herrliche Insel wandert. Es ist uns seltsam bade; zu Muthe; noch steht die alte Kirche mit einem Thurm aus Hatto's Zeiten; wir schreiten durch das geschnitzte Portal an den grauen Pfeilern hin, an Gräbern vorbei, auf deren steinerner Decke Krummstab und Inful prangt, aber wehmüthig düster scheint das gebrochene Licht, das uns umfängt. Es ist ein Zug der Ohnmacht, der durch diese Stätte geht, und wie der stumme Träger derselben blickt uns das Kaisergrab Karl des Dicken an, der entthront und enterbe hier starb. In der Sakristei, wo die eisernen Riegel knarren, liegen die Schätze und Heiligrhümer der Abtei verwahrt, Evangelienbücher auf zierlichem Pergament, Monstranzen und Kelche, kostbare Gewänder und elfenbeinerne Schnitzereien Auch ein riesiger „Smaragd" im Gewichte von mehr als 20 Pfund liegt dort, der freilich in unseren Augen nicht mehr ist, als grünes Glas. Unbewußt athmen wir auf, wenn wir wieder heraustreten aus diesen dämmerhaften geistig verarmten Räumen in die freie Natur, die allein noch den Namen verdient der — reichen An. Fruchtschwere Bäume und horniges Weinland umgeben uns, aus den grünen Wiesen lugen drei Dörfer hervor: Ober-, Mittel- und Unterzell, am Uferrand glänzt die Ruine der alten Scopula- Burg, auf der sich die Mönche in drohender Zeit verschanzten. Und das Alles überströmt vom warmen Sommerduft, das Alles umspült von blauer Ruth, überall steigen am Strande weißblinkende Städtlein und Dörfer auf; Äznang und Horn. Steckborn gen Süden und gen Norden Sankt Radolfszelle. Nun aber ändert sich mältg die Gegend; ein eigenartiger Kampf zwischen Wasser und Land beginnt, immer mächtiger drängt sich der Seegrund gegen den seichten Spiegel, es rüstet sich der Rhein zum Austritt. Schon nach Reichen«» hinüber ist der Weg durch den See so flach, daß man zur hohen Sommerzeit fast trocken hindurch kommt. Es ist Schweizerland, das wir jetzt betreten. Das mächtige Schloß, das Wir da drüben sehen, wo der Rhein aus dem Obersee in den Untersee hinab¬ strömt, heißt Göttlichen. Melancholisch und grau schauen die kantigen Thürme drein, von denen der Dichter mit Recht behauptet, daß sie der Unmuth er¬ baute und daß sie nur traurige Gäste gesehen. Grollend zog sich der Bischof von Constanz Hieher zurück vor dem Hasse des großen Staufenkaisers Fried¬ lich II. Hier lag Johannes Huß gefangen, eh' sie ihn auf den Scheiterhaufen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/311>, abgerufen am 23.07.2024.