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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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glänzte der Säntis und in verschwommener Ferne das alte Bregen;. Die
Fremden aber, die die Insel besuchten, fanden in der Meierei und der Her¬
berge, die damit verbunden war, gastlichen Unterstand. Aber auch später
noch, nachdem die Commende längst im Anprall der Zeit gefallen war, bil¬
dete doch der Nimbus des Ordens und seiner adeligen Herren noch immer
das eigentliche Gepräge der Insel und der alte gutmüthige Wirth saß stun¬
denlang bei seinen Gästen und erzählte ihnen von den geharnischten Rittern,
von Hippolt und Werner Hundbiß. der das Eiland wider die schwedischen
Schiffe vertheidigte -- als wäre er selbst dabei gewesen. Erst jetzt seit die
badische Herrscherfamilie ihren Sommersitz hier aufgeschlagen, sind jene ver¬
gangenen Bilder im Glanz der Gegenwart verblichen.

Ganz verschieden ist das Bild, das die Nachbarinsel Reichenau im Unter¬
see vor uns erschließt; ihr Umfang ist bedeutend größer und ihre Geschichte
viel älter; keine Scholle Land ringsum war ihr an Ruhm und Reichthum
überlegen. Unter den zahllosen Klöstern. die das frühe Mittelalter schuf,
war Reichenau vom Glücke förmlich auserlesen, vier Erzherzöge und nahe
an zwanzig Grafen waren seine Lehensmänner und wie Karl V. sich rühmte,
daß in seinem Reiche die Sonne nicht untergehe, so rühmte sich der Abt von
Reichenau, daß er allnächtlich auf eigenen Boden schlafe, wenn er nach Rom
zum Papste ziehe. Er war Fürst des si. römischen Reiches und Kaiser und
Fürsten saßen bei ihm zu Gast, die edelsten Ritter aus den Nachbargauen
dienten ihm als Truchseß und Mundschenk, wenn er mit seinen Gästen zur
Tafel schritt. Aber nicht nur den Genuß der Sinne, auch der Genüsse feiner
geistiger Kraft pflegten sie in Reichenau und die Mönche waren stolz darauf,
daß im ganzen Süden des Reichs keine Stätte stand. die ihr an Bildung
gleichkam. Von allen Seiten sandten die Großen ihre Söhne und mehr als
achtzig Bischofssitze wurden mit den Schülern der Abtei besetzt.

Allein das Glück war zu verschwenderisch gewesen, um dauerhaft zu sein.
Schon unter den Stauffen kam der Wendepunkt und mit reißender Gewalt
brach der Verfall herein. Statt edle Gedankenarbeit zu üben, zogen die
Mönche nach Ulm zur Fastnacht, wo sie mit den Frauen tanzten und spiel¬
ten, so daß der Abt alle Güter, die er dort besaß, verkaufte, um ihnen die
Stadt zu verschließen. Eine Habe nach der andern ging dahin, um die Schul¬
den zu decken und bald war die Rente des Klosters, die einst an 60,000
Gulden betragen, auf drei Mark Silber herabgesunken. Mit jeder Stunde
wuchs die Verwilderung, ja es gab einen Augenblick da das gesammte Kapitel
nicht mehr des Schreibens mächtig war und mit eigener Hand riß der Abt
fünf arglosen Fischerleuten die Augen aus. weil sie Unterthanen der Stadt
Constanz waren, mit der er in Fehde lag. Schon lange hatten die Bischöfe
der Nachbarstadt deßhalb den Plan gefaßt, die Reichenau an sich zu ziehen,


glänzte der Säntis und in verschwommener Ferne das alte Bregen;. Die
Fremden aber, die die Insel besuchten, fanden in der Meierei und der Her¬
berge, die damit verbunden war, gastlichen Unterstand. Aber auch später
noch, nachdem die Commende längst im Anprall der Zeit gefallen war, bil¬
dete doch der Nimbus des Ordens und seiner adeligen Herren noch immer
das eigentliche Gepräge der Insel und der alte gutmüthige Wirth saß stun¬
denlang bei seinen Gästen und erzählte ihnen von den geharnischten Rittern,
von Hippolt und Werner Hundbiß. der das Eiland wider die schwedischen
Schiffe vertheidigte — als wäre er selbst dabei gewesen. Erst jetzt seit die
badische Herrscherfamilie ihren Sommersitz hier aufgeschlagen, sind jene ver¬
gangenen Bilder im Glanz der Gegenwart verblichen.

Ganz verschieden ist das Bild, das die Nachbarinsel Reichenau im Unter¬
see vor uns erschließt; ihr Umfang ist bedeutend größer und ihre Geschichte
viel älter; keine Scholle Land ringsum war ihr an Ruhm und Reichthum
überlegen. Unter den zahllosen Klöstern. die das frühe Mittelalter schuf,
war Reichenau vom Glücke förmlich auserlesen, vier Erzherzöge und nahe
an zwanzig Grafen waren seine Lehensmänner und wie Karl V. sich rühmte,
daß in seinem Reiche die Sonne nicht untergehe, so rühmte sich der Abt von
Reichenau, daß er allnächtlich auf eigenen Boden schlafe, wenn er nach Rom
zum Papste ziehe. Er war Fürst des si. römischen Reiches und Kaiser und
Fürsten saßen bei ihm zu Gast, die edelsten Ritter aus den Nachbargauen
dienten ihm als Truchseß und Mundschenk, wenn er mit seinen Gästen zur
Tafel schritt. Aber nicht nur den Genuß der Sinne, auch der Genüsse feiner
geistiger Kraft pflegten sie in Reichenau und die Mönche waren stolz darauf,
daß im ganzen Süden des Reichs keine Stätte stand. die ihr an Bildung
gleichkam. Von allen Seiten sandten die Großen ihre Söhne und mehr als
achtzig Bischofssitze wurden mit den Schülern der Abtei besetzt.

Allein das Glück war zu verschwenderisch gewesen, um dauerhaft zu sein.
Schon unter den Stauffen kam der Wendepunkt und mit reißender Gewalt
brach der Verfall herein. Statt edle Gedankenarbeit zu üben, zogen die
Mönche nach Ulm zur Fastnacht, wo sie mit den Frauen tanzten und spiel¬
ten, so daß der Abt alle Güter, die er dort besaß, verkaufte, um ihnen die
Stadt zu verschließen. Eine Habe nach der andern ging dahin, um die Schul¬
den zu decken und bald war die Rente des Klosters, die einst an 60,000
Gulden betragen, auf drei Mark Silber herabgesunken. Mit jeder Stunde
wuchs die Verwilderung, ja es gab einen Augenblick da das gesammte Kapitel
nicht mehr des Schreibens mächtig war und mit eigener Hand riß der Abt
fünf arglosen Fischerleuten die Augen aus. weil sie Unterthanen der Stadt
Constanz waren, mit der er in Fehde lag. Schon lange hatten die Bischöfe
der Nachbarstadt deßhalb den Plan gefaßt, die Reichenau an sich zu ziehen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/310>, abgerufen am 23.07.2024.