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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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verschuldet, daß die Bürger ihn nicht reisen ließen, ehe er ihnen sein ganzes
Gepäck als Pfand zurückließ, Jahrhunderte lang blieb dasselbe im Gewahr¬
sam der Stadt, doch als man die Kisten endlich erbrach, weil jede Hoffnung
auf deren Einlösung schwand, da fand man statt der silbernen Tafelgercithe
-- kalte Steine.

Das war der Verlauf und das Ende des großen "heiligen" Concils zu
Constanz, ein Kaiser und ein Papst, die Verräther an ihrem eigenen Worte
wurden, eine Ueberfluthung der Stadt mit fahrenden Dirnen und uneinbring¬
lichen Schulden und zu dem allen der Scheiterhaufen des Johannes Huß.
Fürwahr, ein Brandgeruch zieht noch heute durch diese großen Erinne¬
rungen.

Kehren wir nun aus der Geschichte in die Gegenwart zurück, so findet
man auch in der jetzigen Erscheinung der Stadt noch mancherlei, was an jene
Zeiten gemahnt. Vor allem ist das Kaufhaus bemerkenswerth, in welchem
damals das Conclave gehalten wurde; ein kolossaler Bau, der dicht am Was¬
ser steht, der untere Theil gemauert, der obere von bräunlichem verwittertem
Holze, daß es fast den Eindruck einer riesigen Scheune macht. An den vier
Ecken des Daches aber zeigt sich ein kleiner erkerartiger Vorsprung, der dem
an und für sich etwas schwerfälligen Bau ein originelles Ansehen giebt. Hier
im ersten Stockwerk ist der sog. "Conciliumssaal" ein ungeheurer aber ziemlich
niedriger Raum, dessen Decke von Säulen getragen wird, und der jetzt ganz
mit Hellem Holze vertäfelt ist. Die Fresken, welche die Wände schmücken,
stellen die wichtigsten Momente aus der Geschichte von Constanz dar; sie sind
zum Theile noch im Werden begriffen und auf den hohen Gerüsten, die zur
Rechten und Linken erbaut sind, steht emsig pinselnd der Maler. Wie bekannt,
sind beide Künstler, die mit der Ausführung derselben betraut wurden, aus
München; der eine von ihnen ist PH. Schwörer, welchem die alte Jsarstadt
gar manches treffliche Wandgemälde verdankt, der andere Friedr. Pecht, der
berühmte Kritikus, der aus einer Constanzer Familie stammt.

Unter den Kirchen von Constanz ragt historisch und architektonisch der
Dom hervor, der in der Mitte des elften Jahrhunderts begonnen ward.
Freilich kam mancherlei Zuthat im Laufe der Zeit um den romanischen Styl,
in welchem die Kirche anfangs gedacht war zu gothisiren, auch ein furchtba¬
rer Brand, bei dem die sämmtlichen Glocken schmolzen, griff verwüstend ein,
allein trotz alledem ist das Münster noch immer die stattlichste Kirche am gan¬
zen See. Durch den Bischofssitz,- der seit 653 in Constanz bestand, war sie
reich geworden und durch eine Reihe bedeutender Männer, die hier gewirkt,
fügte sie zum Reichthum auch noch den Ruhm.

Die Bevölkerung der Stadt ist jetzt überwiegend katholisch, aber nur das
Schwert hat sie dem alten Glauben zurückgeführt. Denn die Eindrücke, welche


verschuldet, daß die Bürger ihn nicht reisen ließen, ehe er ihnen sein ganzes
Gepäck als Pfand zurückließ, Jahrhunderte lang blieb dasselbe im Gewahr¬
sam der Stadt, doch als man die Kisten endlich erbrach, weil jede Hoffnung
auf deren Einlösung schwand, da fand man statt der silbernen Tafelgercithe
— kalte Steine.

Das war der Verlauf und das Ende des großen „heiligen" Concils zu
Constanz, ein Kaiser und ein Papst, die Verräther an ihrem eigenen Worte
wurden, eine Ueberfluthung der Stadt mit fahrenden Dirnen und uneinbring¬
lichen Schulden und zu dem allen der Scheiterhaufen des Johannes Huß.
Fürwahr, ein Brandgeruch zieht noch heute durch diese großen Erinne¬
rungen.

Kehren wir nun aus der Geschichte in die Gegenwart zurück, so findet
man auch in der jetzigen Erscheinung der Stadt noch mancherlei, was an jene
Zeiten gemahnt. Vor allem ist das Kaufhaus bemerkenswerth, in welchem
damals das Conclave gehalten wurde; ein kolossaler Bau, der dicht am Was¬
ser steht, der untere Theil gemauert, der obere von bräunlichem verwittertem
Holze, daß es fast den Eindruck einer riesigen Scheune macht. An den vier
Ecken des Daches aber zeigt sich ein kleiner erkerartiger Vorsprung, der dem
an und für sich etwas schwerfälligen Bau ein originelles Ansehen giebt. Hier
im ersten Stockwerk ist der sog. „Conciliumssaal" ein ungeheurer aber ziemlich
niedriger Raum, dessen Decke von Säulen getragen wird, und der jetzt ganz
mit Hellem Holze vertäfelt ist. Die Fresken, welche die Wände schmücken,
stellen die wichtigsten Momente aus der Geschichte von Constanz dar; sie sind
zum Theile noch im Werden begriffen und auf den hohen Gerüsten, die zur
Rechten und Linken erbaut sind, steht emsig pinselnd der Maler. Wie bekannt,
sind beide Künstler, die mit der Ausführung derselben betraut wurden, aus
München; der eine von ihnen ist PH. Schwörer, welchem die alte Jsarstadt
gar manches treffliche Wandgemälde verdankt, der andere Friedr. Pecht, der
berühmte Kritikus, der aus einer Constanzer Familie stammt.

Unter den Kirchen von Constanz ragt historisch und architektonisch der
Dom hervor, der in der Mitte des elften Jahrhunderts begonnen ward.
Freilich kam mancherlei Zuthat im Laufe der Zeit um den romanischen Styl,
in welchem die Kirche anfangs gedacht war zu gothisiren, auch ein furchtba¬
rer Brand, bei dem die sämmtlichen Glocken schmolzen, griff verwüstend ein,
allein trotz alledem ist das Münster noch immer die stattlichste Kirche am gan¬
zen See. Durch den Bischofssitz,- der seit 653 in Constanz bestand, war sie
reich geworden und durch eine Reihe bedeutender Männer, die hier gewirkt,
fügte sie zum Reichthum auch noch den Ruhm.

Die Bevölkerung der Stadt ist jetzt überwiegend katholisch, aber nur das
Schwert hat sie dem alten Glauben zurückgeführt. Denn die Eindrücke, welche


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[0308] verschuldet, daß die Bürger ihn nicht reisen ließen, ehe er ihnen sein ganzes Gepäck als Pfand zurückließ, Jahrhunderte lang blieb dasselbe im Gewahr¬ sam der Stadt, doch als man die Kisten endlich erbrach, weil jede Hoffnung auf deren Einlösung schwand, da fand man statt der silbernen Tafelgercithe — kalte Steine. Das war der Verlauf und das Ende des großen „heiligen" Concils zu Constanz, ein Kaiser und ein Papst, die Verräther an ihrem eigenen Worte wurden, eine Ueberfluthung der Stadt mit fahrenden Dirnen und uneinbring¬ lichen Schulden und zu dem allen der Scheiterhaufen des Johannes Huß. Fürwahr, ein Brandgeruch zieht noch heute durch diese großen Erinne¬ rungen. Kehren wir nun aus der Geschichte in die Gegenwart zurück, so findet man auch in der jetzigen Erscheinung der Stadt noch mancherlei, was an jene Zeiten gemahnt. Vor allem ist das Kaufhaus bemerkenswerth, in welchem damals das Conclave gehalten wurde; ein kolossaler Bau, der dicht am Was¬ ser steht, der untere Theil gemauert, der obere von bräunlichem verwittertem Holze, daß es fast den Eindruck einer riesigen Scheune macht. An den vier Ecken des Daches aber zeigt sich ein kleiner erkerartiger Vorsprung, der dem an und für sich etwas schwerfälligen Bau ein originelles Ansehen giebt. Hier im ersten Stockwerk ist der sog. „Conciliumssaal" ein ungeheurer aber ziemlich niedriger Raum, dessen Decke von Säulen getragen wird, und der jetzt ganz mit Hellem Holze vertäfelt ist. Die Fresken, welche die Wände schmücken, stellen die wichtigsten Momente aus der Geschichte von Constanz dar; sie sind zum Theile noch im Werden begriffen und auf den hohen Gerüsten, die zur Rechten und Linken erbaut sind, steht emsig pinselnd der Maler. Wie bekannt, sind beide Künstler, die mit der Ausführung derselben betraut wurden, aus München; der eine von ihnen ist PH. Schwörer, welchem die alte Jsarstadt gar manches treffliche Wandgemälde verdankt, der andere Friedr. Pecht, der berühmte Kritikus, der aus einer Constanzer Familie stammt. Unter den Kirchen von Constanz ragt historisch und architektonisch der Dom hervor, der in der Mitte des elften Jahrhunderts begonnen ward. Freilich kam mancherlei Zuthat im Laufe der Zeit um den romanischen Styl, in welchem die Kirche anfangs gedacht war zu gothisiren, auch ein furchtba¬ rer Brand, bei dem die sämmtlichen Glocken schmolzen, griff verwüstend ein, allein trotz alledem ist das Münster noch immer die stattlichste Kirche am gan¬ zen See. Durch den Bischofssitz,- der seit 653 in Constanz bestand, war sie reich geworden und durch eine Reihe bedeutender Männer, die hier gewirkt, fügte sie zum Reichthum auch noch den Ruhm. Die Bevölkerung der Stadt ist jetzt überwiegend katholisch, aber nur das Schwert hat sie dem alten Glauben zurückgeführt. Denn die Eindrücke, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/308>, abgerufen am 23.07.2024.