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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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dringend bedürfte; was bedeutete das Concil von Constanz für die Entwicklung
unserer vaterländischen Geschichte und für das Heil der Menschheit?

Nichts und weniger als nichts. Denn wenn man diese Frage stellt,
dann sinkt mit einemmal der Prunk, den man dort entfaltete, in Schutt und
Schmach zusammen, nicht eine Ehrenthat, sondern eine Unthat steht dann
vor unseren Blicken.

Zwar hatte man es mit Mühe dahin gebracht, daß die drei bestrittenen
Päpste ihrer Würde entsagten um einem vierten das Feld zu räumen. aber
gar bald darauf brach Papst Johannes seinen feierlichen Eid, entfloh vom
Concile und wollte von Italien aus seine Herrschaft aufs neue befestigen.
Allein die Verhandlungen, die das Concil unterdessen über seinen Lebens¬
wandel pflog, gaben ein so schauerliches Bild des Lasters, daß er feierlich ab¬
gesetzt und Cardinal Colonna an seiner Stelle erwählt ward.

Bald jedoch folgte diesem düsteren Bilde ein zweites, das an Grausam¬
keit seines Gleichen sucht. Viel leichter, als der eigenen Verkommenheit ent¬
gegen zu treten, war es natürlich die Ketzer zu verdammen und in diesem
Rächeramt erblickte nunmehr bald das Concil seine wesentlichste Pflicht. Der
Anhang, den die Lehre des Johannes Huß in Böhmen gefunden, hatte längst
den Haß der Römer erweckt und so ward denn der berühmte Lehrer von
Prag nach Constanz berufen, um sich dort vor der Versammlung zu vertheidigen.
Mit aller Zuversicht hatte ihm Sigismund freies Geleit und den Schutz seines
Lebens versprochen, aber wie zuerst der Papst, so brach setzt auch der Kaiser
sein Wort, man hatte ihn rasch zu überreden gesucht., daß man "Ketzern"
gegenüber ja nicht zur Treue verpflichtet sei. Die Hinrichtung des großen
unerschütterlichen Mannes der mit stoischer Rabe den Scheiterhaufen bestieg,
ist ein ergreifendes Bild, das man nicht schildern kann ohne zornige Beschämung.

Unter furchtbaren Flüchen riß man ihm erst die geistlichen Kleider ab.
die langen Haare wurden ihm geschoren und eine rostige Kette um den Hals
gehangen, aufs Haupt aber setzte man ihm spöttisch eine Krone mit Teufeln
bemalt. Er stellte sich nicht zur Gegenwehr und flehte nicht um Gnade, aber
auf dem ganzen Wege betete er laut, daß Gott seinen Feinden vergeben möge
und noch in den Flammen pries er den Herrn und sang, bis der Rauch seine
Stimme erstickte und die zusammenbrechende Gestalt mitleidig verhüllte.

So starb der "Ketzer", -- die Kirche aber, deren Wesen in der Liebe des
Nächsten ruht, hatte eine neue Blutschuld auf sich geladen. Für die wichtigste
Aufgabe, die man sich gestellt, für die Reinigung an Haupt und Gliedern
war nichts erwirkt, die Lösung dieser Pflicht sollte nach öffentlichem Beschluß
einer "späteren" Versammlung überwiesen werden, Nicht ohne ein Gefühl
der Hoffnungslosigkeit ging man nach vollen vier Jahren auseinander, aber
selbst den Abzug deckte noch Schmach; denn so tief war Kaiser Sigismund


dringend bedürfte; was bedeutete das Concil von Constanz für die Entwicklung
unserer vaterländischen Geschichte und für das Heil der Menschheit?

Nichts und weniger als nichts. Denn wenn man diese Frage stellt,
dann sinkt mit einemmal der Prunk, den man dort entfaltete, in Schutt und
Schmach zusammen, nicht eine Ehrenthat, sondern eine Unthat steht dann
vor unseren Blicken.

Zwar hatte man es mit Mühe dahin gebracht, daß die drei bestrittenen
Päpste ihrer Würde entsagten um einem vierten das Feld zu räumen. aber
gar bald darauf brach Papst Johannes seinen feierlichen Eid, entfloh vom
Concile und wollte von Italien aus seine Herrschaft aufs neue befestigen.
Allein die Verhandlungen, die das Concil unterdessen über seinen Lebens¬
wandel pflog, gaben ein so schauerliches Bild des Lasters, daß er feierlich ab¬
gesetzt und Cardinal Colonna an seiner Stelle erwählt ward.

Bald jedoch folgte diesem düsteren Bilde ein zweites, das an Grausam¬
keit seines Gleichen sucht. Viel leichter, als der eigenen Verkommenheit ent¬
gegen zu treten, war es natürlich die Ketzer zu verdammen und in diesem
Rächeramt erblickte nunmehr bald das Concil seine wesentlichste Pflicht. Der
Anhang, den die Lehre des Johannes Huß in Böhmen gefunden, hatte längst
den Haß der Römer erweckt und so ward denn der berühmte Lehrer von
Prag nach Constanz berufen, um sich dort vor der Versammlung zu vertheidigen.
Mit aller Zuversicht hatte ihm Sigismund freies Geleit und den Schutz seines
Lebens versprochen, aber wie zuerst der Papst, so brach setzt auch der Kaiser
sein Wort, man hatte ihn rasch zu überreden gesucht., daß man „Ketzern"
gegenüber ja nicht zur Treue verpflichtet sei. Die Hinrichtung des großen
unerschütterlichen Mannes der mit stoischer Rabe den Scheiterhaufen bestieg,
ist ein ergreifendes Bild, das man nicht schildern kann ohne zornige Beschämung.

Unter furchtbaren Flüchen riß man ihm erst die geistlichen Kleider ab.
die langen Haare wurden ihm geschoren und eine rostige Kette um den Hals
gehangen, aufs Haupt aber setzte man ihm spöttisch eine Krone mit Teufeln
bemalt. Er stellte sich nicht zur Gegenwehr und flehte nicht um Gnade, aber
auf dem ganzen Wege betete er laut, daß Gott seinen Feinden vergeben möge
und noch in den Flammen pries er den Herrn und sang, bis der Rauch seine
Stimme erstickte und die zusammenbrechende Gestalt mitleidig verhüllte.

So starb der „Ketzer", — die Kirche aber, deren Wesen in der Liebe des
Nächsten ruht, hatte eine neue Blutschuld auf sich geladen. Für die wichtigste
Aufgabe, die man sich gestellt, für die Reinigung an Haupt und Gliedern
war nichts erwirkt, die Lösung dieser Pflicht sollte nach öffentlichem Beschluß
einer „späteren" Versammlung überwiesen werden, Nicht ohne ein Gefühl
der Hoffnungslosigkeit ging man nach vollen vier Jahren auseinander, aber
selbst den Abzug deckte noch Schmach; denn so tief war Kaiser Sigismund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/307>, abgerufen am 23.07.2024.