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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Die Bevölkerung der Stadt ist klein und bekommt dadurch einen etwas
offiziellen Anflug, daß sich alle möglichen Würdenträger hier zusammenfinden,
denn wir sind ja in der Hauptstadt von Vorarlberg. Aber auch andere Wür¬
denträger, deren Ansehen nicht auf kaiserlichen Dekreten ruht, ließen sich hier
nieder, wie ja der Bodensee von jeher eine besondere Anziehung auf unsre
Dichter geübt hat. Wie schön hat ihn Gustav Schwab besungen, wie gerne
kommt Herman Lingg. der düster große Lyriker Hieher; in Radolfszell lebt
Victor Scheffel, der glückliche Schöpfer des Ekkehard und in Bregenz
schreibt Alfred Meißner berühmte Romane. Wie wächst doch der Reiz
eines Landes und der Zauber der Wanderschaft, wenn wir jede Rast am
gastlichen Herde bedeutender Menschen genießen; auch das ist Sonnenschein
auf der Reise!

Bregenz ist der Endpunkt des langen blauen Obersees, nur wenn die
Luft von schneidender Klarheit ist, steht man in weiter Ferne noch den Mün¬
sterthurm von Constanz schimmern. Er ist das Ziel, dem uns der Dampfer
nun auf langer Fahrt entgegen führt, aber zu beiden Seiten, am Deutschen,
wie am Schweizer Strand winkt manch willkommener Halt und auf der hohen
Fluth manch lachende Insel.

Drüben am linken User sind Rorschach und Romanshorn die Mittel¬
punkte des Verkehrs geworden, zwischen beiden aber liegt auf einer schmalen
Landzunge das seltsame StSdtlein Arbon. Es war einer der auserlesenen
Punkte am See, die schon von den Römern befestigt wurden und der Führer
ihrer Cohorten wohnte dort im gewaltigen Castell. weit hinaus in den See
war ein Hafen gebaut, dessen riesige Quadern noch jetzt auf dem Grunde
sichtbar werden, wenn die Sonne durch den stillen Spiegel scheint. Der alte
Name aber, der noch aus der heutigen Bezeichnung hindurchklingt, war ä.rhor
deux (zum seligen Baum). Als die Römer vernichtet oder vertrieben waren,
zogen die Lehenträger deutscher Fürsten in die Burg und in ihrem Kreise
hielt noch der junge Conradin seine Rast, ehe er den todgeweihten Weg nach
Wälschland nahm. Welch wunderbare tragisch-schöne Gestalt, wie er mit
blauem Blick und goldenem Gelock vor unserem Gedächtniß steht am Scheide¬
weg zwischen seliger Jugend und schwerer Mannespflicht, am Wendepunkt
zwischen deutscher Herrlichkeit und deutscher Schmach. Wie gerne pflog er des
Minnesangs, er,^in dessen Adern das edle Blut der Staufen floß, wie oft
mochte sein Lied vom Schloß zu Arbon herüberhallen über die blaue Fluth.


"Den Geist bekümmert um den Norden,
Das Herz dem Süden zugesehnt".

H- Lingg.

Unter dem Beile sank sein goldenes Haupt und wie eines der großen
Schmerzensworte, die ungesühnt in der Geschichte stehen, klingt noch heute der
Name Conradin!


Die Bevölkerung der Stadt ist klein und bekommt dadurch einen etwas
offiziellen Anflug, daß sich alle möglichen Würdenträger hier zusammenfinden,
denn wir sind ja in der Hauptstadt von Vorarlberg. Aber auch andere Wür¬
denträger, deren Ansehen nicht auf kaiserlichen Dekreten ruht, ließen sich hier
nieder, wie ja der Bodensee von jeher eine besondere Anziehung auf unsre
Dichter geübt hat. Wie schön hat ihn Gustav Schwab besungen, wie gerne
kommt Herman Lingg. der düster große Lyriker Hieher; in Radolfszell lebt
Victor Scheffel, der glückliche Schöpfer des Ekkehard und in Bregenz
schreibt Alfred Meißner berühmte Romane. Wie wächst doch der Reiz
eines Landes und der Zauber der Wanderschaft, wenn wir jede Rast am
gastlichen Herde bedeutender Menschen genießen; auch das ist Sonnenschein
auf der Reise!

Bregenz ist der Endpunkt des langen blauen Obersees, nur wenn die
Luft von schneidender Klarheit ist, steht man in weiter Ferne noch den Mün¬
sterthurm von Constanz schimmern. Er ist das Ziel, dem uns der Dampfer
nun auf langer Fahrt entgegen führt, aber zu beiden Seiten, am Deutschen,
wie am Schweizer Strand winkt manch willkommener Halt und auf der hohen
Fluth manch lachende Insel.

Drüben am linken User sind Rorschach und Romanshorn die Mittel¬
punkte des Verkehrs geworden, zwischen beiden aber liegt auf einer schmalen
Landzunge das seltsame StSdtlein Arbon. Es war einer der auserlesenen
Punkte am See, die schon von den Römern befestigt wurden und der Führer
ihrer Cohorten wohnte dort im gewaltigen Castell. weit hinaus in den See
war ein Hafen gebaut, dessen riesige Quadern noch jetzt auf dem Grunde
sichtbar werden, wenn die Sonne durch den stillen Spiegel scheint. Der alte
Name aber, der noch aus der heutigen Bezeichnung hindurchklingt, war ä.rhor
deux (zum seligen Baum). Als die Römer vernichtet oder vertrieben waren,
zogen die Lehenträger deutscher Fürsten in die Burg und in ihrem Kreise
hielt noch der junge Conradin seine Rast, ehe er den todgeweihten Weg nach
Wälschland nahm. Welch wunderbare tragisch-schöne Gestalt, wie er mit
blauem Blick und goldenem Gelock vor unserem Gedächtniß steht am Scheide¬
weg zwischen seliger Jugend und schwerer Mannespflicht, am Wendepunkt
zwischen deutscher Herrlichkeit und deutscher Schmach. Wie gerne pflog er des
Minnesangs, er,^in dessen Adern das edle Blut der Staufen floß, wie oft
mochte sein Lied vom Schloß zu Arbon herüberhallen über die blaue Fluth.


„Den Geist bekümmert um den Norden,
Das Herz dem Süden zugesehnt".

H- Lingg.

Unter dem Beile sank sein goldenes Haupt und wie eines der großen
Schmerzensworte, die ungesühnt in der Geschichte stehen, klingt noch heute der
Name Conradin!


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[0302] Die Bevölkerung der Stadt ist klein und bekommt dadurch einen etwas offiziellen Anflug, daß sich alle möglichen Würdenträger hier zusammenfinden, denn wir sind ja in der Hauptstadt von Vorarlberg. Aber auch andere Wür¬ denträger, deren Ansehen nicht auf kaiserlichen Dekreten ruht, ließen sich hier nieder, wie ja der Bodensee von jeher eine besondere Anziehung auf unsre Dichter geübt hat. Wie schön hat ihn Gustav Schwab besungen, wie gerne kommt Herman Lingg. der düster große Lyriker Hieher; in Radolfszell lebt Victor Scheffel, der glückliche Schöpfer des Ekkehard und in Bregenz schreibt Alfred Meißner berühmte Romane. Wie wächst doch der Reiz eines Landes und der Zauber der Wanderschaft, wenn wir jede Rast am gastlichen Herde bedeutender Menschen genießen; auch das ist Sonnenschein auf der Reise! Bregenz ist der Endpunkt des langen blauen Obersees, nur wenn die Luft von schneidender Klarheit ist, steht man in weiter Ferne noch den Mün¬ sterthurm von Constanz schimmern. Er ist das Ziel, dem uns der Dampfer nun auf langer Fahrt entgegen führt, aber zu beiden Seiten, am Deutschen, wie am Schweizer Strand winkt manch willkommener Halt und auf der hohen Fluth manch lachende Insel. Drüben am linken User sind Rorschach und Romanshorn die Mittel¬ punkte des Verkehrs geworden, zwischen beiden aber liegt auf einer schmalen Landzunge das seltsame StSdtlein Arbon. Es war einer der auserlesenen Punkte am See, die schon von den Römern befestigt wurden und der Führer ihrer Cohorten wohnte dort im gewaltigen Castell. weit hinaus in den See war ein Hafen gebaut, dessen riesige Quadern noch jetzt auf dem Grunde sichtbar werden, wenn die Sonne durch den stillen Spiegel scheint. Der alte Name aber, der noch aus der heutigen Bezeichnung hindurchklingt, war ä.rhor deux (zum seligen Baum). Als die Römer vernichtet oder vertrieben waren, zogen die Lehenträger deutscher Fürsten in die Burg und in ihrem Kreise hielt noch der junge Conradin seine Rast, ehe er den todgeweihten Weg nach Wälschland nahm. Welch wunderbare tragisch-schöne Gestalt, wie er mit blauem Blick und goldenem Gelock vor unserem Gedächtniß steht am Scheide¬ weg zwischen seliger Jugend und schwerer Mannespflicht, am Wendepunkt zwischen deutscher Herrlichkeit und deutscher Schmach. Wie gerne pflog er des Minnesangs, er,^in dessen Adern das edle Blut der Staufen floß, wie oft mochte sein Lied vom Schloß zu Arbon herüberhallen über die blaue Fluth. „Den Geist bekümmert um den Norden, Das Herz dem Süden zugesehnt". H- Lingg. Unter dem Beile sank sein goldenes Haupt und wie eines der großen Schmerzensworte, die ungesühnt in der Geschichte stehen, klingt noch heute der Name Conradin!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/302>, abgerufen am 23.07.2024.