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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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näher betheiligten Kreisen ist die Vermuthung allgemein, es werde ein solches
Chaos der Ansichten zu Tage kommen, daß an eine Erledigung in dieser
Session nicht zu denken sei. Wir glauben nicht nur dasselbe, sondern wünschen
es sogar. Denn bei der Reorganisation der preußischen Staatsverwaltung
handelt es sich nicht etwa um eine eilige Frage, wie bei der Regelung des
Bankwesens. Dagegen ist der Schade, den eine unvorsichtige Zerstörung des
alten Baues ohne einen vollkommneren Ersatz anrichten müßte, geradezu un¬
übersehbar. Nie hat eine Verwaltung Gleiches geleistet, wie die preußische
seit ihrer ersten Einrichtung durch Friedrich Wilhelm I. und dann wieder
seit ihrer Reorganisation unter Friedrich Wilhelm III. nach 1808 und nach
1815. Man sehe sich also vor, daß man ein ebenso gutes Werk hervorbringe,
und man vergesse nicht, daß die Schaffung eines ebenbürtigen, den neuen
Verhältnissen entsprechenden Werkes bei dem jetzigen Reichthum der staatlichen
Aufgaben eine noch weit größere Umsicht, als in den früheren Perioden erfordert,

Der Entwurf der Provinzialordnung, wie ihn die Regierung eingebracht,
hat vorläufig großen Beifall gefunden. Wir fühlen uns pflichtmäßig bewogen,
mit der Ueberzeugung nicht zurückzuhalten, daß dieser Entwurf höchstens auf
dem Papier den Schein der Gelungenheit erwecken kann. Er würde in der
Praxis eine Friction der Verwaltungsmaschine erzeugen, welche den ganzen
Apparat nur höchst unregelmäßig arbeiten lassen und nicht selten zum völligen
Stillstand bringen würde. Man vergegenwärtige sich die Vorschläge und
staune! Die jetzigen Regierungsbezirke werden beibehalten, bekommen jedoch
eine mehr bureaumäßige, die Geschäfte in der Hand des Präsidenten conceu-
trirende Einrichtung. Von ihnen werden die Angelegenheiten der Volks- und
Bürgerschulen an die schon bestehenden Provinzialschulcollegien übertragen,
außerdem wird die Domänen- und Forstverwaltung von den Regierungen
auf neue Provinzialbehörden übertragen. Neben der Bezirksregierung fungirt
ein Verwaltungsgericht als zweite Instanz über dem Kreisausschuß; über dem
Verwaltungsgericht steht ein Oberverwaltungsgericht zu Berlin als dritte und
letzte Instanz in Verwaltungsstreitigkeiten. Neben der Bezirksregierung fun¬
girt zweitens ein Bezirksausschuß, der aus der Provinzialversammlung hervor¬
geht. Ueber den Kreisen stehen theils unmittelbar, theils mit der Zwischen¬
instanz der Bezirksregierungen die Provinzialbehörden: nämlich das Oberprä¬
sidium, das Provinzialschulcollegium, das Consistorium für äußere Kirchen¬
sachen, die Provinzialsteuerbehörden für die indirecten Steuern, die Forst- und
Domänen-Directionen. Neben dem Oberpräsidium fungirt eine periodisch
einzuberufende Provinzialversammlung als berathender, geldbewilligender, con-
trolirmder Körper, und ein aus dem letzteren hervorgegangener Provinzial-
ausschuß als Verwaltungskörper. Unter diesem fungirt ein ständiger Ver-
waltungsbeamttt als Landesdirector, während der Vorsitz im Ausschuß ab-


näher betheiligten Kreisen ist die Vermuthung allgemein, es werde ein solches
Chaos der Ansichten zu Tage kommen, daß an eine Erledigung in dieser
Session nicht zu denken sei. Wir glauben nicht nur dasselbe, sondern wünschen
es sogar. Denn bei der Reorganisation der preußischen Staatsverwaltung
handelt es sich nicht etwa um eine eilige Frage, wie bei der Regelung des
Bankwesens. Dagegen ist der Schade, den eine unvorsichtige Zerstörung des
alten Baues ohne einen vollkommneren Ersatz anrichten müßte, geradezu un¬
übersehbar. Nie hat eine Verwaltung Gleiches geleistet, wie die preußische
seit ihrer ersten Einrichtung durch Friedrich Wilhelm I. und dann wieder
seit ihrer Reorganisation unter Friedrich Wilhelm III. nach 1808 und nach
1815. Man sehe sich also vor, daß man ein ebenso gutes Werk hervorbringe,
und man vergesse nicht, daß die Schaffung eines ebenbürtigen, den neuen
Verhältnissen entsprechenden Werkes bei dem jetzigen Reichthum der staatlichen
Aufgaben eine noch weit größere Umsicht, als in den früheren Perioden erfordert,

Der Entwurf der Provinzialordnung, wie ihn die Regierung eingebracht,
hat vorläufig großen Beifall gefunden. Wir fühlen uns pflichtmäßig bewogen,
mit der Ueberzeugung nicht zurückzuhalten, daß dieser Entwurf höchstens auf
dem Papier den Schein der Gelungenheit erwecken kann. Er würde in der
Praxis eine Friction der Verwaltungsmaschine erzeugen, welche den ganzen
Apparat nur höchst unregelmäßig arbeiten lassen und nicht selten zum völligen
Stillstand bringen würde. Man vergegenwärtige sich die Vorschläge und
staune! Die jetzigen Regierungsbezirke werden beibehalten, bekommen jedoch
eine mehr bureaumäßige, die Geschäfte in der Hand des Präsidenten conceu-
trirende Einrichtung. Von ihnen werden die Angelegenheiten der Volks- und
Bürgerschulen an die schon bestehenden Provinzialschulcollegien übertragen,
außerdem wird die Domänen- und Forstverwaltung von den Regierungen
auf neue Provinzialbehörden übertragen. Neben der Bezirksregierung fungirt
ein Verwaltungsgericht als zweite Instanz über dem Kreisausschuß; über dem
Verwaltungsgericht steht ein Oberverwaltungsgericht zu Berlin als dritte und
letzte Instanz in Verwaltungsstreitigkeiten. Neben der Bezirksregierung fun¬
girt zweitens ein Bezirksausschuß, der aus der Provinzialversammlung hervor¬
geht. Ueber den Kreisen stehen theils unmittelbar, theils mit der Zwischen¬
instanz der Bezirksregierungen die Provinzialbehörden: nämlich das Oberprä¬
sidium, das Provinzialschulcollegium, das Consistorium für äußere Kirchen¬
sachen, die Provinzialsteuerbehörden für die indirecten Steuern, die Forst- und
Domänen-Directionen. Neben dem Oberpräsidium fungirt eine periodisch
einzuberufende Provinzialversammlung als berathender, geldbewilligender, con-
trolirmder Körper, und ein aus dem letzteren hervorgegangener Provinzial-
ausschuß als Verwaltungskörper. Unter diesem fungirt ein ständiger Ver-
waltungsbeamttt als Landesdirector, während der Vorsitz im Ausschuß ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/280>, abgerufen am 23.07.2024.