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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Gegentheil der Kreuzer, den der Arme dazu bestimmt, die kirchliche Abgabe
worin und wofür diese auch bestehen mag, zu leisten, erhöht den Werth der
kirchlichen Handlung in seinen Augen. Alles Andere ist leere Ideologie, d, h.
eine falsche Würdigung der Natur des Menschen. So wurde in Thüringen
(in früherer Zeit wenigstens, vielleicht jetzt nicht mehr --?) bei jedem Abend¬
mahle ein Beichtgeld (Beichtgroschen) auf den Altar gelegt (natürlich nach
Belieben), in Hessen geschieht das nicht, aber ich glaube nicht, daß darum
die Leute mehr zum Abendmahle gehen, als ich das in meiner Jugend in
Thüringen sicher beobachtet habe, und so durch alle kirchlichen Handlungen
hindurch. Eine frühere Zeit vertheilte gleichsam das Einkommen auf kleine
Zuflüsse, in der ganz richtigen Berechnung, daß durch die kleinen Zuflüsse
doch ein Bach entsteht, nicht unwichtig für die Eine Stelle, wohin er geleitet
wird, während die kleinen Beiträge, an sich kaum bemerkenswerth, den Ein¬
zelnen nicht drücken. Aber für unsere Ansicht, die Nichtaufhebung der Acci¬
denzien, spricht nun ein ganz anderer Grund, als Machst der materielle
Nutzen für den Geistlichen selbst. Es ist nicht nur eine nach materiellen
Rücksichten falsche Ansicht und Rechnung, sondern es ist eine nach der innersten
Natur des Menschen und zwar , nach ihrer edleren Seite nicht zu billigende,
wir wollen nicht sagen, Verletzung, aber Nichtberücksichtigung, ja Hemmung
edler Gefühle in dem Herzen der Laien selbst, nämlich die Beeinträchtigung
der Möglichkeit, ihrer Achtung und Liebe gegen den Geistlichen, die sich wie
in Freude und Dank gegen Gott, so auch in der Gabe für das geistliche
Amt bethätigen will, Ausdruck zu geben. Wir müssen auf das Entschiedenste
aussprechen, daß man sehr unrecht thut, der Liebe, die sich nach den realen,
wenn auch materiellen Verhältnissen und Rücksichten des Lebens so zu be¬
friedigen das Recht hat, wehren zu wollen. Die materiellen Verhältnisse sind
ja sehr verschieden, und es ist eine tiefe sittliche Wahrheit: geben ist seliger
als nehmen. Es ist das keine Erbschleichern, und keine Anleitung, Messen
zu stiften, sondern es ist von Seite des Gebers, wenn er mehr giebt, als die
in jedem Falle mäßig zu stellende kirchliche Abgabe für den Geistlichen, freier
Wille, je nach dem Vermögen, indem er sich selbst eine Befriedigung giebt,
die nicht zu den unedleren Regungen gehört, von Seite der Kirchenbehörden
aber ist es nur die rechte Einsicht, daß man um des möglichen Mißbrauchs
willen den rechten Gebrauch nicht hindern soll. Wir rechnen auch diese in
Frage gestellte Aufhebung der Stolgebühren oder Accidenzien nur zu der
schablonenmäßigcn Nivellirung aller Verhältnisse der Gesellschaft oder Auf¬
hebung der durch die Natur der Dinge gesetzten Unterschiede, die wir auf dem
materiellen Gebiete der durch die Verschiedenheit der Verhältnisse bedingten
Leistungen so wenig billigen, als wo die Unterschiede auf dem geistigen
intellektuell und sittlich gegeben sind. Wir stellen solche Einrichtungen, selbst


Gegentheil der Kreuzer, den der Arme dazu bestimmt, die kirchliche Abgabe
worin und wofür diese auch bestehen mag, zu leisten, erhöht den Werth der
kirchlichen Handlung in seinen Augen. Alles Andere ist leere Ideologie, d, h.
eine falsche Würdigung der Natur des Menschen. So wurde in Thüringen
(in früherer Zeit wenigstens, vielleicht jetzt nicht mehr —?) bei jedem Abend¬
mahle ein Beichtgeld (Beichtgroschen) auf den Altar gelegt (natürlich nach
Belieben), in Hessen geschieht das nicht, aber ich glaube nicht, daß darum
die Leute mehr zum Abendmahle gehen, als ich das in meiner Jugend in
Thüringen sicher beobachtet habe, und so durch alle kirchlichen Handlungen
hindurch. Eine frühere Zeit vertheilte gleichsam das Einkommen auf kleine
Zuflüsse, in der ganz richtigen Berechnung, daß durch die kleinen Zuflüsse
doch ein Bach entsteht, nicht unwichtig für die Eine Stelle, wohin er geleitet
wird, während die kleinen Beiträge, an sich kaum bemerkenswerth, den Ein¬
zelnen nicht drücken. Aber für unsere Ansicht, die Nichtaufhebung der Acci¬
denzien, spricht nun ein ganz anderer Grund, als Machst der materielle
Nutzen für den Geistlichen selbst. Es ist nicht nur eine nach materiellen
Rücksichten falsche Ansicht und Rechnung, sondern es ist eine nach der innersten
Natur des Menschen und zwar , nach ihrer edleren Seite nicht zu billigende,
wir wollen nicht sagen, Verletzung, aber Nichtberücksichtigung, ja Hemmung
edler Gefühle in dem Herzen der Laien selbst, nämlich die Beeinträchtigung
der Möglichkeit, ihrer Achtung und Liebe gegen den Geistlichen, die sich wie
in Freude und Dank gegen Gott, so auch in der Gabe für das geistliche
Amt bethätigen will, Ausdruck zu geben. Wir müssen auf das Entschiedenste
aussprechen, daß man sehr unrecht thut, der Liebe, die sich nach den realen,
wenn auch materiellen Verhältnissen und Rücksichten des Lebens so zu be¬
friedigen das Recht hat, wehren zu wollen. Die materiellen Verhältnisse sind
ja sehr verschieden, und es ist eine tiefe sittliche Wahrheit: geben ist seliger
als nehmen. Es ist das keine Erbschleichern, und keine Anleitung, Messen
zu stiften, sondern es ist von Seite des Gebers, wenn er mehr giebt, als die
in jedem Falle mäßig zu stellende kirchliche Abgabe für den Geistlichen, freier
Wille, je nach dem Vermögen, indem er sich selbst eine Befriedigung giebt,
die nicht zu den unedleren Regungen gehört, von Seite der Kirchenbehörden
aber ist es nur die rechte Einsicht, daß man um des möglichen Mißbrauchs
willen den rechten Gebrauch nicht hindern soll. Wir rechnen auch diese in
Frage gestellte Aufhebung der Stolgebühren oder Accidenzien nur zu der
schablonenmäßigcn Nivellirung aller Verhältnisse der Gesellschaft oder Auf¬
hebung der durch die Natur der Dinge gesetzten Unterschiede, die wir auf dem
materiellen Gebiete der durch die Verschiedenheit der Verhältnisse bedingten
Leistungen so wenig billigen, als wo die Unterschiede auf dem geistigen
intellektuell und sittlich gegeben sind. Wir stellen solche Einrichtungen, selbst


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[0258] Gegentheil der Kreuzer, den der Arme dazu bestimmt, die kirchliche Abgabe worin und wofür diese auch bestehen mag, zu leisten, erhöht den Werth der kirchlichen Handlung in seinen Augen. Alles Andere ist leere Ideologie, d, h. eine falsche Würdigung der Natur des Menschen. So wurde in Thüringen (in früherer Zeit wenigstens, vielleicht jetzt nicht mehr —?) bei jedem Abend¬ mahle ein Beichtgeld (Beichtgroschen) auf den Altar gelegt (natürlich nach Belieben), in Hessen geschieht das nicht, aber ich glaube nicht, daß darum die Leute mehr zum Abendmahle gehen, als ich das in meiner Jugend in Thüringen sicher beobachtet habe, und so durch alle kirchlichen Handlungen hindurch. Eine frühere Zeit vertheilte gleichsam das Einkommen auf kleine Zuflüsse, in der ganz richtigen Berechnung, daß durch die kleinen Zuflüsse doch ein Bach entsteht, nicht unwichtig für die Eine Stelle, wohin er geleitet wird, während die kleinen Beiträge, an sich kaum bemerkenswerth, den Ein¬ zelnen nicht drücken. Aber für unsere Ansicht, die Nichtaufhebung der Acci¬ denzien, spricht nun ein ganz anderer Grund, als Machst der materielle Nutzen für den Geistlichen selbst. Es ist nicht nur eine nach materiellen Rücksichten falsche Ansicht und Rechnung, sondern es ist eine nach der innersten Natur des Menschen und zwar , nach ihrer edleren Seite nicht zu billigende, wir wollen nicht sagen, Verletzung, aber Nichtberücksichtigung, ja Hemmung edler Gefühle in dem Herzen der Laien selbst, nämlich die Beeinträchtigung der Möglichkeit, ihrer Achtung und Liebe gegen den Geistlichen, die sich wie in Freude und Dank gegen Gott, so auch in der Gabe für das geistliche Amt bethätigen will, Ausdruck zu geben. Wir müssen auf das Entschiedenste aussprechen, daß man sehr unrecht thut, der Liebe, die sich nach den realen, wenn auch materiellen Verhältnissen und Rücksichten des Lebens so zu be¬ friedigen das Recht hat, wehren zu wollen. Die materiellen Verhältnisse sind ja sehr verschieden, und es ist eine tiefe sittliche Wahrheit: geben ist seliger als nehmen. Es ist das keine Erbschleichern, und keine Anleitung, Messen zu stiften, sondern es ist von Seite des Gebers, wenn er mehr giebt, als die in jedem Falle mäßig zu stellende kirchliche Abgabe für den Geistlichen, freier Wille, je nach dem Vermögen, indem er sich selbst eine Befriedigung giebt, die nicht zu den unedleren Regungen gehört, von Seite der Kirchenbehörden aber ist es nur die rechte Einsicht, daß man um des möglichen Mißbrauchs willen den rechten Gebrauch nicht hindern soll. Wir rechnen auch diese in Frage gestellte Aufhebung der Stolgebühren oder Accidenzien nur zu der schablonenmäßigcn Nivellirung aller Verhältnisse der Gesellschaft oder Auf¬ hebung der durch die Natur der Dinge gesetzten Unterschiede, die wir auf dem materiellen Gebiete der durch die Verschiedenheit der Verhältnisse bedingten Leistungen so wenig billigen, als wo die Unterschiede auf dem geistigen intellektuell und sittlich gegeben sind. Wir stellen solche Einrichtungen, selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/258>, abgerufen am 23.07.2024.