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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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und sich alö heilsam, ja als das alleinige Heilmittel erweisen werde. Das
glauben wir. Allerdings können zuerst die Zustände der ersten Zeit des
Christenthums wiederkehren, daß Ungetaufte. also Heiden, neben Christen und
mit Christen leben. Aber es wird so die Frage zur Entscheidung kommen,
ob der Mensch ohne Religion leben kann, und wenn es der Einzelne kann
(auch nur entweder durch Mangel an richtiger Bildung, durch Verkommenheit,
oder durch die Hülfe der ihn umgebenden religiös-sittlichen Ordnung, deren
Frucht er genießt, während er ihren Grund nicht kennt oder aus Mangel an
Bildung leugnet), ob die Gemeinschaft es kann? -- Wir glauben das nicht,
nach der Natur, nach dem Bedürfniß des Menschen, und nach dem Zeugniß
der Geschichte, weil die Gemeinschaft nur bei sittlicher, moralischer Ordnung
bestehen kann, alle Sitte oder Moral aber ihren Grund haben muß, und
diesen (d. h. alle Grundlagen des Rechts, die Idee des Rechts selbst) nur in
der Religion hat. Jede religiöse Gemeinschaft fordert aber ein Bekenntniß,
durch welches allein eine religiöse Gemeinschaft (Kirche) ent¬
steht und besteht, und so werden diese Zustände sicher dazu führen, daß
man schließlich doch wieder sich über ein Bekenntniß, das der Mehrzahl ge¬
nügt, wird einigen müssen, und das wird der Weg zur Lösung sein, indem
das Bekenntniß, wenn auch geläutert, wieder Sache des Herzens und so wie¬
der das Band und der Haltpunkt des religiösen Lebens, der Kirche wird.
Darüber, daß es sich nur um eine Aenderung der Form der jetzigen Bekennt¬
nisse der evangelischen Kirche handeln kann, hat sich der Verfasser dieses sonst
schon hinreichend ausgesprochen. Gerade die Freiheit wird also zur Besserung
führen, indem wir der Kraft des Evangelii vertrauen, daß sie die von Gott
gewollt" Ordnung, und so auch die menschliche Ordnung der Kirche als Noth¬
wendigkeit erkennen lehrt, und so mit Verwerfung der ungläubigen Willkühr
durch freiwilliges Eingehen in die Ordnung Gottes, als Einheit der Freiheit
und Nothwendigkeit, erst zur wahren Freiheit der Kinder Gottes führt, und
so das Bedürfniß befriedigt. Die so zu hoffende Besserung der kirchlichen
Gesinnung wird aber auch auf die sogenannten Freigeister, die sich für "starke
Geister" halten, nur heilsam zurückwirken, und wenn auch solche Benrrungen
nicht gänzlich aufheben, wenigstens mehr vermindern, als der durch den Zwang
beförderte Jndifferentismus gethan hat.

Aber zu dieser Selbstbesteuerung der Gemeinden muß nun ganz entschieden
auch noch die Hülfe des Staates in viel ausgiebigerem Maße kommen,
als es bis jetzt geschehen ist. Der Staat hat sicher zuerst eine rechtliche Ver¬
pflichtung dazu, weil er nicht nur in den Zeiten der Reformation, sondern
auch in den späteren historischen Entwicklungen außerordentlich viele Kirchen¬
güter an sich genommen hat, die keineswegs immer n,ä pios usus verwendet
worden sind. Es kann das nicht laut genug gesagt werden, da es bei der


und sich alö heilsam, ja als das alleinige Heilmittel erweisen werde. Das
glauben wir. Allerdings können zuerst die Zustände der ersten Zeit des
Christenthums wiederkehren, daß Ungetaufte. also Heiden, neben Christen und
mit Christen leben. Aber es wird so die Frage zur Entscheidung kommen,
ob der Mensch ohne Religion leben kann, und wenn es der Einzelne kann
(auch nur entweder durch Mangel an richtiger Bildung, durch Verkommenheit,
oder durch die Hülfe der ihn umgebenden religiös-sittlichen Ordnung, deren
Frucht er genießt, während er ihren Grund nicht kennt oder aus Mangel an
Bildung leugnet), ob die Gemeinschaft es kann? — Wir glauben das nicht,
nach der Natur, nach dem Bedürfniß des Menschen, und nach dem Zeugniß
der Geschichte, weil die Gemeinschaft nur bei sittlicher, moralischer Ordnung
bestehen kann, alle Sitte oder Moral aber ihren Grund haben muß, und
diesen (d. h. alle Grundlagen des Rechts, die Idee des Rechts selbst) nur in
der Religion hat. Jede religiöse Gemeinschaft fordert aber ein Bekenntniß,
durch welches allein eine religiöse Gemeinschaft (Kirche) ent¬
steht und besteht, und so werden diese Zustände sicher dazu führen, daß
man schließlich doch wieder sich über ein Bekenntniß, das der Mehrzahl ge¬
nügt, wird einigen müssen, und das wird der Weg zur Lösung sein, indem
das Bekenntniß, wenn auch geläutert, wieder Sache des Herzens und so wie¬
der das Band und der Haltpunkt des religiösen Lebens, der Kirche wird.
Darüber, daß es sich nur um eine Aenderung der Form der jetzigen Bekennt¬
nisse der evangelischen Kirche handeln kann, hat sich der Verfasser dieses sonst
schon hinreichend ausgesprochen. Gerade die Freiheit wird also zur Besserung
führen, indem wir der Kraft des Evangelii vertrauen, daß sie die von Gott
gewollt« Ordnung, und so auch die menschliche Ordnung der Kirche als Noth¬
wendigkeit erkennen lehrt, und so mit Verwerfung der ungläubigen Willkühr
durch freiwilliges Eingehen in die Ordnung Gottes, als Einheit der Freiheit
und Nothwendigkeit, erst zur wahren Freiheit der Kinder Gottes führt, und
so das Bedürfniß befriedigt. Die so zu hoffende Besserung der kirchlichen
Gesinnung wird aber auch auf die sogenannten Freigeister, die sich für „starke
Geister" halten, nur heilsam zurückwirken, und wenn auch solche Benrrungen
nicht gänzlich aufheben, wenigstens mehr vermindern, als der durch den Zwang
beförderte Jndifferentismus gethan hat.

Aber zu dieser Selbstbesteuerung der Gemeinden muß nun ganz entschieden
auch noch die Hülfe des Staates in viel ausgiebigerem Maße kommen,
als es bis jetzt geschehen ist. Der Staat hat sicher zuerst eine rechtliche Ver¬
pflichtung dazu, weil er nicht nur in den Zeiten der Reformation, sondern
auch in den späteren historischen Entwicklungen außerordentlich viele Kirchen¬
güter an sich genommen hat, die keineswegs immer n,ä pios usus verwendet
worden sind. Es kann das nicht laut genug gesagt werden, da es bei der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/255>, abgerufen am 23.07.2024.