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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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besten Thee in ganz England sich findet, oder daß zwischen zwei innigen deut¬
schen Volksliedern mehrere schlüpfrige Romane angepriesen werden. Unsere
deutschen Theaterzettelzeitungen sind gegen den englischen Schwindel unschuldige,
harmlose Kinder.

Weit mehr wirklichen Genuß bieten diejenigen Abendvergnügungen,
welche einzig und allein den Zweck verfolgen, das Publikum zu erheitern.
Lachmuskeln und Zwerchfell in gesunde Bewegung zu bringen. Bor allen
die Minstrels, d. h. als Neger gefärbte und costümirte Europäer erfreuen
sich mit Recht eines starken Zuspruchs, denn es ist gesunder, wenn auch manch¬
mal etwas derber Humor, der hier manche gute musikalische Leistung begleitet
und umkleidet.

Dabei kommt es häusig genug vor, daß auch die Figur eines Deutschen
mit vorgeführt wird um sich auf Kosten anderer Nationen zu belustigen.
Ader es ist nicht der alte deutsche Michel, der außerhalb Deutschlands, so be¬
sonders in der Schweiz in früheren Jahren eine stereotype Figur der humo¬
ristischen Abendunterhaltungen war, es ist nicht mehr jener Prügelknabe von
ganz Europa, sondern gerade im Gegentheil tritt dieser Deutsche in England
mit übertriebenen Selbstbewußtsein auf und dient dadurch zur Zielscheibe des
Witzes der Engländer, welche ihm natürlich in ihrem eigenen Lande mit Leich¬
tigkeit beweisen können, daß Englands Macht, Wissenschaft, Heer und Kunst
der deutschen doch noch unendlich überlegen ist und dabei die Beifall spenden¬
den Lacher auf ihre Seite bekommen. Wenn auch unwillig, so gestehen die
andern Nationen uns doch unsere Machtstellung zu, sie wagen es nicht mehr
sich in höhnischer Weise über Deutschland lustig zu machen und wenn sie dabei
uns Prahlerei'vorhalten und sich in demselben Augenblick selbst verherrlichen,
so wird der unbefangene Zuschauer sicherlich lächeln müssen, es fragt sich nur
über wen. Es zeigt sich hier in einer anscheinend unbedeutenden Farce, wie
sehr sich die Zeiten geändert haben.

In London selbst wird natürlich in theatralischen und musikalischen
Vergnügungen sehr viel geboten und in beiden Künsten giebt es reichliche
Gelegenheit, gute Leistungen bewundern zu können. Die Concerte in der
großmächtigen Alberthalle beim South Kensington Museum sind mit Recht
weltbekannt, denn hier vereinigen sich trotz der colossalen Dimensionen der
Halle -- sie umfaßt mit Bequemlichkeit 8000 Zuhörer und können 800--1000
Künstler in derselben zur gleichzeitigen Mitwirkung kommen -- ausgezeichnete
Akustik, die selbst noch das schwächste Picmissimo bis in die weitesten Fernen
würdigen läßt, mit vortrefflichen Künstlern und es können hier auch wieder
Massenaufführungen bei Oratorien oder dergleichen mehr zur Geltung kommen,
wie kaum sonst in einer andern Eoncerthalle.

Eine Eigenthümlichkeit der englischen Concerte muß ich hier erwähnen,


besten Thee in ganz England sich findet, oder daß zwischen zwei innigen deut¬
schen Volksliedern mehrere schlüpfrige Romane angepriesen werden. Unsere
deutschen Theaterzettelzeitungen sind gegen den englischen Schwindel unschuldige,
harmlose Kinder.

Weit mehr wirklichen Genuß bieten diejenigen Abendvergnügungen,
welche einzig und allein den Zweck verfolgen, das Publikum zu erheitern.
Lachmuskeln und Zwerchfell in gesunde Bewegung zu bringen. Bor allen
die Minstrels, d. h. als Neger gefärbte und costümirte Europäer erfreuen
sich mit Recht eines starken Zuspruchs, denn es ist gesunder, wenn auch manch¬
mal etwas derber Humor, der hier manche gute musikalische Leistung begleitet
und umkleidet.

Dabei kommt es häusig genug vor, daß auch die Figur eines Deutschen
mit vorgeführt wird um sich auf Kosten anderer Nationen zu belustigen.
Ader es ist nicht der alte deutsche Michel, der außerhalb Deutschlands, so be¬
sonders in der Schweiz in früheren Jahren eine stereotype Figur der humo¬
ristischen Abendunterhaltungen war, es ist nicht mehr jener Prügelknabe von
ganz Europa, sondern gerade im Gegentheil tritt dieser Deutsche in England
mit übertriebenen Selbstbewußtsein auf und dient dadurch zur Zielscheibe des
Witzes der Engländer, welche ihm natürlich in ihrem eigenen Lande mit Leich¬
tigkeit beweisen können, daß Englands Macht, Wissenschaft, Heer und Kunst
der deutschen doch noch unendlich überlegen ist und dabei die Beifall spenden¬
den Lacher auf ihre Seite bekommen. Wenn auch unwillig, so gestehen die
andern Nationen uns doch unsere Machtstellung zu, sie wagen es nicht mehr
sich in höhnischer Weise über Deutschland lustig zu machen und wenn sie dabei
uns Prahlerei'vorhalten und sich in demselben Augenblick selbst verherrlichen,
so wird der unbefangene Zuschauer sicherlich lächeln müssen, es fragt sich nur
über wen. Es zeigt sich hier in einer anscheinend unbedeutenden Farce, wie
sehr sich die Zeiten geändert haben.

In London selbst wird natürlich in theatralischen und musikalischen
Vergnügungen sehr viel geboten und in beiden Künsten giebt es reichliche
Gelegenheit, gute Leistungen bewundern zu können. Die Concerte in der
großmächtigen Alberthalle beim South Kensington Museum sind mit Recht
weltbekannt, denn hier vereinigen sich trotz der colossalen Dimensionen der
Halle — sie umfaßt mit Bequemlichkeit 8000 Zuhörer und können 800—1000
Künstler in derselben zur gleichzeitigen Mitwirkung kommen — ausgezeichnete
Akustik, die selbst noch das schwächste Picmissimo bis in die weitesten Fernen
würdigen läßt, mit vortrefflichen Künstlern und es können hier auch wieder
Massenaufführungen bei Oratorien oder dergleichen mehr zur Geltung kommen,
wie kaum sonst in einer andern Eoncerthalle.

Eine Eigenthümlichkeit der englischen Concerte muß ich hier erwähnen,


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[0228] besten Thee in ganz England sich findet, oder daß zwischen zwei innigen deut¬ schen Volksliedern mehrere schlüpfrige Romane angepriesen werden. Unsere deutschen Theaterzettelzeitungen sind gegen den englischen Schwindel unschuldige, harmlose Kinder. Weit mehr wirklichen Genuß bieten diejenigen Abendvergnügungen, welche einzig und allein den Zweck verfolgen, das Publikum zu erheitern. Lachmuskeln und Zwerchfell in gesunde Bewegung zu bringen. Bor allen die Minstrels, d. h. als Neger gefärbte und costümirte Europäer erfreuen sich mit Recht eines starken Zuspruchs, denn es ist gesunder, wenn auch manch¬ mal etwas derber Humor, der hier manche gute musikalische Leistung begleitet und umkleidet. Dabei kommt es häusig genug vor, daß auch die Figur eines Deutschen mit vorgeführt wird um sich auf Kosten anderer Nationen zu belustigen. Ader es ist nicht der alte deutsche Michel, der außerhalb Deutschlands, so be¬ sonders in der Schweiz in früheren Jahren eine stereotype Figur der humo¬ ristischen Abendunterhaltungen war, es ist nicht mehr jener Prügelknabe von ganz Europa, sondern gerade im Gegentheil tritt dieser Deutsche in England mit übertriebenen Selbstbewußtsein auf und dient dadurch zur Zielscheibe des Witzes der Engländer, welche ihm natürlich in ihrem eigenen Lande mit Leich¬ tigkeit beweisen können, daß Englands Macht, Wissenschaft, Heer und Kunst der deutschen doch noch unendlich überlegen ist und dabei die Beifall spenden¬ den Lacher auf ihre Seite bekommen. Wenn auch unwillig, so gestehen die andern Nationen uns doch unsere Machtstellung zu, sie wagen es nicht mehr sich in höhnischer Weise über Deutschland lustig zu machen und wenn sie dabei uns Prahlerei'vorhalten und sich in demselben Augenblick selbst verherrlichen, so wird der unbefangene Zuschauer sicherlich lächeln müssen, es fragt sich nur über wen. Es zeigt sich hier in einer anscheinend unbedeutenden Farce, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. In London selbst wird natürlich in theatralischen und musikalischen Vergnügungen sehr viel geboten und in beiden Künsten giebt es reichliche Gelegenheit, gute Leistungen bewundern zu können. Die Concerte in der großmächtigen Alberthalle beim South Kensington Museum sind mit Recht weltbekannt, denn hier vereinigen sich trotz der colossalen Dimensionen der Halle — sie umfaßt mit Bequemlichkeit 8000 Zuhörer und können 800—1000 Künstler in derselben zur gleichzeitigen Mitwirkung kommen — ausgezeichnete Akustik, die selbst noch das schwächste Picmissimo bis in die weitesten Fernen würdigen läßt, mit vortrefflichen Künstlern und es können hier auch wieder Massenaufführungen bei Oratorien oder dergleichen mehr zur Geltung kommen, wie kaum sonst in einer andern Eoncerthalle. Eine Eigenthümlichkeit der englischen Concerte muß ich hier erwähnen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/228>, abgerufen am 23.07.2024.