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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Richtungen verspüren. Aber die freiwilligen Beamten müssen gerade soviel,
gerade so gut und unter derselben strengen Disciplin arbeiten, wie die An¬
gehörigen des ausschließlichen Beamtenberufs. Sonst richtet uns die Selbst¬
verwaltung zu Grunde, wie denn die ständische Verwaltung, die auch eine
Selbstverwaltung war, im 18. Jahrhundert wegen ihrer Entartung durch die
ausschließliche Staatsverwaltung beseitigt werden mußte. Das gelegentliche
Wehgeschrei solcher, die sich zum freiwilligen Beamtenthum gestellt haben,
über die unbequemen Anforderungen des Dienstes darf uns an dem Segen
der Institution nicht irre machen, noch weniger aber an der Nothwendigkeit,
die Strenge des Dienstes unnachsichtig aufrecht zu halten.

Das Gesetz über die Controle der Personen des Beurlaubtenstandes,
dessen Einzelberathung nach dem Gesetz über die bürgerliche Standesbuchfüh¬
rung vorgenommen wurde, können wir bei seinem technischen Charakter über¬
gehen. Ebenso die Berathung der Petitionen in Bezug auf den Eisenbahntarif.
Es handelt sich um die Frage, ob die Erhöhung der Eisenbahntarife, auf welche
das Reichskanzleramt im vorigen Jahr sehr widerstrebend eingegangen, schon
wieder rückgängig gemacht werden soll. Das Durcheinander der Interessen und
das planlose Hin- und Herschwanken der Maßregeln in dieser Frage ist nur da¬
durch zu lösen, daß der Eisenbahnbetrieb ausschließlich Staatssache wird. Wir
werden dahin kommen, weil wir müssen, aber es wird noch ein langwieriges
Zerren und Schwanken geben. Der Reichstag ist schließlich zu dem geliebten
Mittel gelangt, das immer sich darbietet, wenn kein richtiger Entschluß zu
finden ist, nämlich eine Untersuchung oder, wie unser parlamentarischer Sprach¬
gebrauch unnöthigerweise sagt, eine Enquete zu veranlassen. -- In derselben
Sitzung wurde von Mitgliedern aus Posen auch die polnische Sprachenfrage
vor den Reichstag gebracht, die doch höchstens vor den preußischen Landtag
gehört. Vermuthlich hatten die Antragsteller auf die Unterstützung des im
Reichstag so zahlreichen Centrums gerechnet, die ihnen auch nicht fehlte, ohne
jedoch ihrem Antrag die Mehrheit zu verschaffen.

Die Sitzung vom 21. Januar beschäftigte sich mit Wahlprüfungen, deren
Verlauf nur immer wieder die Nothwendigkeit einschärft, die Prüfung der
Wahlen einem unbeteiligten Gerichtshof, aber nicht der betheiligten parla¬
mentarischen Körperschaft zu übertragen. Die Parlamente gelangen aus sich
niemals dazu, eine constante Regel zu bilden für die Qualificirung der Wahl¬
vorgänge. Diesmal wurde eine Wahl für ungültig erklärt, weil der Wahl-
commissar eine Anzahl Zettel kassirt hatte, die äußere Merkmale gehabt.
Das ist nun allerdings ein Begriff, über den man bis in die Ewigkeit strei¬
ten kann. Bei anderen Gelegenheiten zeigt sich der Reichstag sehr empfindlich
gegen den Gebrauch solcher Zettel; diesmal wollte man es nicht, obwohl der
Abgeordnete Gneist sehr ruhig bemerkte, auf dem heutigen Wege würde man


Richtungen verspüren. Aber die freiwilligen Beamten müssen gerade soviel,
gerade so gut und unter derselben strengen Disciplin arbeiten, wie die An¬
gehörigen des ausschließlichen Beamtenberufs. Sonst richtet uns die Selbst¬
verwaltung zu Grunde, wie denn die ständische Verwaltung, die auch eine
Selbstverwaltung war, im 18. Jahrhundert wegen ihrer Entartung durch die
ausschließliche Staatsverwaltung beseitigt werden mußte. Das gelegentliche
Wehgeschrei solcher, die sich zum freiwilligen Beamtenthum gestellt haben,
über die unbequemen Anforderungen des Dienstes darf uns an dem Segen
der Institution nicht irre machen, noch weniger aber an der Nothwendigkeit,
die Strenge des Dienstes unnachsichtig aufrecht zu halten.

Das Gesetz über die Controle der Personen des Beurlaubtenstandes,
dessen Einzelberathung nach dem Gesetz über die bürgerliche Standesbuchfüh¬
rung vorgenommen wurde, können wir bei seinem technischen Charakter über¬
gehen. Ebenso die Berathung der Petitionen in Bezug auf den Eisenbahntarif.
Es handelt sich um die Frage, ob die Erhöhung der Eisenbahntarife, auf welche
das Reichskanzleramt im vorigen Jahr sehr widerstrebend eingegangen, schon
wieder rückgängig gemacht werden soll. Das Durcheinander der Interessen und
das planlose Hin- und Herschwanken der Maßregeln in dieser Frage ist nur da¬
durch zu lösen, daß der Eisenbahnbetrieb ausschließlich Staatssache wird. Wir
werden dahin kommen, weil wir müssen, aber es wird noch ein langwieriges
Zerren und Schwanken geben. Der Reichstag ist schließlich zu dem geliebten
Mittel gelangt, das immer sich darbietet, wenn kein richtiger Entschluß zu
finden ist, nämlich eine Untersuchung oder, wie unser parlamentarischer Sprach¬
gebrauch unnöthigerweise sagt, eine Enquete zu veranlassen. — In derselben
Sitzung wurde von Mitgliedern aus Posen auch die polnische Sprachenfrage
vor den Reichstag gebracht, die doch höchstens vor den preußischen Landtag
gehört. Vermuthlich hatten die Antragsteller auf die Unterstützung des im
Reichstag so zahlreichen Centrums gerechnet, die ihnen auch nicht fehlte, ohne
jedoch ihrem Antrag die Mehrheit zu verschaffen.

Die Sitzung vom 21. Januar beschäftigte sich mit Wahlprüfungen, deren
Verlauf nur immer wieder die Nothwendigkeit einschärft, die Prüfung der
Wahlen einem unbeteiligten Gerichtshof, aber nicht der betheiligten parla¬
mentarischen Körperschaft zu übertragen. Die Parlamente gelangen aus sich
niemals dazu, eine constante Regel zu bilden für die Qualificirung der Wahl¬
vorgänge. Diesmal wurde eine Wahl für ungültig erklärt, weil der Wahl-
commissar eine Anzahl Zettel kassirt hatte, die äußere Merkmale gehabt.
Das ist nun allerdings ein Begriff, über den man bis in die Ewigkeit strei¬
ten kann. Bei anderen Gelegenheiten zeigt sich der Reichstag sehr empfindlich
gegen den Gebrauch solcher Zettel; diesmal wollte man es nicht, obwohl der
Abgeordnete Gneist sehr ruhig bemerkte, auf dem heutigen Wege würde man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/200>, abgerufen am 23.07.2024.