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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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dieses Gesetz als rächender Engel zwischen die Widerspenstigen treten und mit
seinem Flammenschwert so manchen Adam aus dem Paradiese treiben wird,
der sich jetzt noch in Ruhe und Sicherheit wiegt. Beklagenswert!) immerhin
für den, welchen es trifft: aber das Gesetz ist unerbittlich gegen seine ab¬
sichtlichen Uebertreter.

Man sollte meinen, den Suceursal-Pfarrern selbst müßte ein solcher durch
das Gesetz geregelter Zustand, der ihnen die Lebenslänglichkeit ihres Amtes
garantirt und sie von der Willkür und Laune einer bischöflichen Camarilla
und heimlicher Denunzianten unabhängig macht, äußerst erwünscht und will¬
kommen sein. Und wir kennen in der That gar manchen Dorfpastor am
Rhein, der nicht bloß den zeitigen, durch Kirchendogma und Staatsgesetz her¬
aufbeschworenen Conflict im Allgemeinen beklagt; der sich nach der guten,
alten Zeit sehnt, wie der Hirsch nach der Wasserquelle, wo alles so ruhig
und friedlich herging in seiner und den Nachbar-Gemeinden, wo Kirche und
Schule, Staats - Behörde und Geistlichkeit Hand in Hand arbeiteten. Zur
Förderung der communalen Interessen derselben, wo Katholik und Protestant,
Jude und Neuheide ruhig und ohne Hast nebeneinander hausten und sich als
Kinder eines Vaters im Himmel betrachteten, wo der Gruß des Johannes:
"Kindlein, liebet doch einander!" und das zweite große Gebot des Christen¬
thums: "Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst -- liebe deine Feinde!" so
herrlich sich zu verwirklichen und das Reich Gottes auf Erden, namentlich
in dem Paradiesgarten des Rheinlandes zu thronen schien; der, noch aus der
alten friedfertigen Schule entsprossen, wo man den Jesuiten keinen Einfluß
gestattete auf die Erziehung des Klerus von Kindesbeinen an und die heutige
"Kaplanokratie" ein ungeahnter Begriff war, mit Schaudern, und Entsetzen
zusehen muß, wie dieser und jener fanatische Vicar mit jesuitischen Grund¬
sätzen die Schäflein seiner Heerde gegeneinander aufsetzt und dort Zwietracht
sät, wo er Liebe und Duldung predigen soll, wie er mit Fleiß das gesellige
Thun und Treiben draußen und in der Familie durch seine Hetzereien ver¬
giftet und auch wohl hier und da ein Leitartikelchen oder Lokalberichtchen
schreibt für das "Sonntagsblatt" des nahegelegenen Städtchens, das, gleich¬
falls von einem Kaplan und würdigen Gesinnungsgenossen redigirt, in Bibel¬
stil und geifernder Polemik ^ la. "Vaterland" alles denkbar mögliche leistet
und schon allein durch seine Existenz ein Schandfleck ist für die deutsche Presse
und Literatur -- und dazu schweigen muß; der endlich mit Grauen dem
Augenblick entgegensieht, wo die fortwährende Renitenz seines kirchlichen Obern,
des Bischofs, ihn und sein Amt und seine Ruhe und sein Lebensglück bewußt
zum unschuldigen Opfer bringt, unbekümmert um die wankende Gesundheit
des alten Mannes, nicht achtend seiner grauen Haare und der Verdienste um
die ganze katholische Kirche, die er sich bisher dadurch erworben, daß er treu


dieses Gesetz als rächender Engel zwischen die Widerspenstigen treten und mit
seinem Flammenschwert so manchen Adam aus dem Paradiese treiben wird,
der sich jetzt noch in Ruhe und Sicherheit wiegt. Beklagenswert!) immerhin
für den, welchen es trifft: aber das Gesetz ist unerbittlich gegen seine ab¬
sichtlichen Uebertreter.

Man sollte meinen, den Suceursal-Pfarrern selbst müßte ein solcher durch
das Gesetz geregelter Zustand, der ihnen die Lebenslänglichkeit ihres Amtes
garantirt und sie von der Willkür und Laune einer bischöflichen Camarilla
und heimlicher Denunzianten unabhängig macht, äußerst erwünscht und will¬
kommen sein. Und wir kennen in der That gar manchen Dorfpastor am
Rhein, der nicht bloß den zeitigen, durch Kirchendogma und Staatsgesetz her¬
aufbeschworenen Conflict im Allgemeinen beklagt; der sich nach der guten,
alten Zeit sehnt, wie der Hirsch nach der Wasserquelle, wo alles so ruhig
und friedlich herging in seiner und den Nachbar-Gemeinden, wo Kirche und
Schule, Staats - Behörde und Geistlichkeit Hand in Hand arbeiteten. Zur
Förderung der communalen Interessen derselben, wo Katholik und Protestant,
Jude und Neuheide ruhig und ohne Hast nebeneinander hausten und sich als
Kinder eines Vaters im Himmel betrachteten, wo der Gruß des Johannes:
„Kindlein, liebet doch einander!" und das zweite große Gebot des Christen¬
thums: „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst — liebe deine Feinde!" so
herrlich sich zu verwirklichen und das Reich Gottes auf Erden, namentlich
in dem Paradiesgarten des Rheinlandes zu thronen schien; der, noch aus der
alten friedfertigen Schule entsprossen, wo man den Jesuiten keinen Einfluß
gestattete auf die Erziehung des Klerus von Kindesbeinen an und die heutige
„Kaplanokratie" ein ungeahnter Begriff war, mit Schaudern, und Entsetzen
zusehen muß, wie dieser und jener fanatische Vicar mit jesuitischen Grund¬
sätzen die Schäflein seiner Heerde gegeneinander aufsetzt und dort Zwietracht
sät, wo er Liebe und Duldung predigen soll, wie er mit Fleiß das gesellige
Thun und Treiben draußen und in der Familie durch seine Hetzereien ver¬
giftet und auch wohl hier und da ein Leitartikelchen oder Lokalberichtchen
schreibt für das „Sonntagsblatt" des nahegelegenen Städtchens, das, gleich¬
falls von einem Kaplan und würdigen Gesinnungsgenossen redigirt, in Bibel¬
stil und geifernder Polemik ^ la. „Vaterland" alles denkbar mögliche leistet
und schon allein durch seine Existenz ein Schandfleck ist für die deutsche Presse
und Literatur — und dazu schweigen muß; der endlich mit Grauen dem
Augenblick entgegensieht, wo die fortwährende Renitenz seines kirchlichen Obern,
des Bischofs, ihn und sein Amt und seine Ruhe und sein Lebensglück bewußt
zum unschuldigen Opfer bringt, unbekümmert um die wankende Gesundheit
des alten Mannes, nicht achtend seiner grauen Haare und der Verdienste um
die ganze katholische Kirche, die er sich bisher dadurch erworben, daß er treu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/194>, abgerufen am 23.07.2024.