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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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selbst die wenigen sogenannten Herrenhöfe entsprechen nur in geringem Maaße
unsern deutschen Rittergütern. Dagegen ist der kleine Bauernbesitz über das
ganze Land verbreitet, aber ein socialer Unterschied zwischen diesen bäuerlichen
Besitzern, namentlich ein Unterschied, der bezeichnet werden könnte durch größere
und geringere Steuersummen, dürfte schwer nachzuweisen sein. Es tritt hier
nur der eine Unterschied besonders zu Tage, der zwischen der grundbesitzenden,
Classe im Gegensatz zu der nichtbesitzenden der Arbeiter und Tagelöhner.

Norwegen ist durch seine natürliche Beschaffenheit immer mehr darauf
hingewiesen ein Handels- und Fabrikland zu sein, als ein Ackerbau treiben¬
des. Zum Ackerbau sind nur geringe Strecken des Landes brauchbar, dem
Handel und Fabrikbetrieb dagegen sind viele Hülfsquellen geöffnet. Schon
dadurch aber wird, wie in allen Fabrikgegenden der Bevölkerung ein gewisses
fluctuirendes Element beigemischt, welches stets in Bewegung und in dem
Streben nach einem bestimmten Ziele -- dem Verdienst -- begriffen ist, da¬
gegen nicht den alt hergebrachten und sich in conservativer Weise bewegen¬
den Betrieb des Ackerbauers duldet. Die Bevölkerung theilt sich sehr bald in
2 Classen, die Capitalisten und die Arbeiter, der eigentliche Mittelstand ver¬
schwindet, und in einer Gesellschaft, welche hauptsächlich aus diesen beiden
Classen zusammengesetzt ist, findet man selten die nöthigen Elemente, aus
welchen man die Träger einer conservativen Politik formiren könnte.

Allerdings giebt es auf dem Lande, namentlich in den abgelegenen Thä¬
lern viele Bauern, die gewisse aristokratische Traditionen bewahrt haben und
mit großem Stolz auf ihre directe Abstammung von irgend einem uralten
"Jarl" (den früheren kleinen Königen in Norwegen) zurückblicken. Es wird
z. B. erzählt, daß einer dieser Bauern den verstorbenen König Karl XV., welcher
ihn in Begleitung seines Adjutanten, der ein Graf war, besuchte, aufgefordert
habe, sich mit ihm an einen Tisch zu setzen, indem er sagte- "Du bist, wenn auch
nicht aus so alter Familie, wie ich, doch eines Königs Sohn, dein Begleiter
aber ist nur ein Graf und an diesem Tische haben nur Königssöhne gesessen."
Diese alten Familien halten sehr darauf, daß ihre Kinder sich nur ebenbürtig
verheirathen -- aber alle diese Sitten sind gebunden an ein einsames Leben,
sie verschwinden, sobald ein solches Thal durch eine Eisenbahn dem Verkehr
geöffnet wird oder überhaupt die Leute selbst mit anderen mehr in Berührung
kommen. Schwerlich würden aber derartige Leute, falls aus ihnen die Can-
didaten für das zu errichtende Oberhaus genommen würden, im Stande sein,
über die Verhältnisse des ganzen Landes zu urtheilen, denn sie gerade sind
durch die Natur der Verhältnisse auf das Wirken in einem kleinen Kreise be¬
schränkt. Das konservative Element, welches in den Lagthing hineingebracht
werden soll, würde hier allerdings zu finden sein, schwerlich aber die genü¬
gende Anzahl von wirklich durch politische Bildung zum Gesetzgeber geeigneten


selbst die wenigen sogenannten Herrenhöfe entsprechen nur in geringem Maaße
unsern deutschen Rittergütern. Dagegen ist der kleine Bauernbesitz über das
ganze Land verbreitet, aber ein socialer Unterschied zwischen diesen bäuerlichen
Besitzern, namentlich ein Unterschied, der bezeichnet werden könnte durch größere
und geringere Steuersummen, dürfte schwer nachzuweisen sein. Es tritt hier
nur der eine Unterschied besonders zu Tage, der zwischen der grundbesitzenden,
Classe im Gegensatz zu der nichtbesitzenden der Arbeiter und Tagelöhner.

Norwegen ist durch seine natürliche Beschaffenheit immer mehr darauf
hingewiesen ein Handels- und Fabrikland zu sein, als ein Ackerbau treiben¬
des. Zum Ackerbau sind nur geringe Strecken des Landes brauchbar, dem
Handel und Fabrikbetrieb dagegen sind viele Hülfsquellen geöffnet. Schon
dadurch aber wird, wie in allen Fabrikgegenden der Bevölkerung ein gewisses
fluctuirendes Element beigemischt, welches stets in Bewegung und in dem
Streben nach einem bestimmten Ziele — dem Verdienst — begriffen ist, da¬
gegen nicht den alt hergebrachten und sich in conservativer Weise bewegen¬
den Betrieb des Ackerbauers duldet. Die Bevölkerung theilt sich sehr bald in
2 Classen, die Capitalisten und die Arbeiter, der eigentliche Mittelstand ver¬
schwindet, und in einer Gesellschaft, welche hauptsächlich aus diesen beiden
Classen zusammengesetzt ist, findet man selten die nöthigen Elemente, aus
welchen man die Träger einer conservativen Politik formiren könnte.

Allerdings giebt es auf dem Lande, namentlich in den abgelegenen Thä¬
lern viele Bauern, die gewisse aristokratische Traditionen bewahrt haben und
mit großem Stolz auf ihre directe Abstammung von irgend einem uralten
„Jarl" (den früheren kleinen Königen in Norwegen) zurückblicken. Es wird
z. B. erzählt, daß einer dieser Bauern den verstorbenen König Karl XV., welcher
ihn in Begleitung seines Adjutanten, der ein Graf war, besuchte, aufgefordert
habe, sich mit ihm an einen Tisch zu setzen, indem er sagte- „Du bist, wenn auch
nicht aus so alter Familie, wie ich, doch eines Königs Sohn, dein Begleiter
aber ist nur ein Graf und an diesem Tische haben nur Königssöhne gesessen."
Diese alten Familien halten sehr darauf, daß ihre Kinder sich nur ebenbürtig
verheirathen — aber alle diese Sitten sind gebunden an ein einsames Leben,
sie verschwinden, sobald ein solches Thal durch eine Eisenbahn dem Verkehr
geöffnet wird oder überhaupt die Leute selbst mit anderen mehr in Berührung
kommen. Schwerlich würden aber derartige Leute, falls aus ihnen die Can-
didaten für das zu errichtende Oberhaus genommen würden, im Stande sein,
über die Verhältnisse des ganzen Landes zu urtheilen, denn sie gerade sind
durch die Natur der Verhältnisse auf das Wirken in einem kleinen Kreise be¬
schränkt. Das konservative Element, welches in den Lagthing hineingebracht
werden soll, würde hier allerdings zu finden sein, schwerlich aber die genü¬
gende Anzahl von wirklich durch politische Bildung zum Gesetzgeber geeigneten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/190>, abgerufen am 23.07.2024.