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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Die Gruppe des Ajax mit dem Leichnam Achill's ist ein Werk der rhodi-
schen Schule, vermuthlich noch etwas älter als der Laokoon, sicher Jahrhun¬
derte vor Hadrian erfunden.

Bei den andern Werken sind wir zwar nicht im Stande die Entstehungs¬
zeit der Originale in solcher Weise zu fixiren, aber daß auch sie lange vor
Hadrian entstanden sind, und daß der Kunst seiner Zeit nicht das Verdienst
ihrer Erfindung zukommt, läßt sich zur Evidenz bringen.

Dies gilt von der geängstigten Psyche: denn die Qualen, welche Amor der
Psyche bereitet, sind ein Gegenstand nicht blos für die ältere Poesie, sondern
sind in derselben Weise auch schon von der ältern Kunst, beispielsweise auf
Pompejcnüschen Wandgemälden, also schon vor dem Jahre 79 n. Chr., dem
Jahre der Verschüttung dieser Stadt durch den Vesuv, dargestellt worden.

Dieselben zeigen auch den Endymion ebenso wie ihn die Statue der Ha¬
drianischen Villa vorführt; und 2 silberne ebenfalls in Pompeji gefundne Becher
zeigen bereits das Motiv des Centaurenpaar, nur mit dem geringen Unter¬
schiede, daß auf ihnen statt des jugendlichen Centauren eine Centaurin er¬
scheint.

Ein seinen Rausch ausschlafender Faun, wie der barberinische, war das
Sujet, mit welchem Antipater, der sicher vor Pompejus gelebt hat, einen
silbernen Becher schmückte, wahrscheinlich nach dem Vorgange eines größern
statuarischen Werkes, von welchem dann unsre Statue copirt ist, wofern
wir es hier nicht, wie vielleicht auch bei dem einen oder andern Werke, mit
einem von Hadrian oder schon von einem seiner Vorgänger aus Griechenland
selbst entführten Originalwerke zu thun haben, wofür allerdings die unnach¬
ahmlich lebensvolle und frische Behandlung des Ganzen, das Sichere, Freie, un¬
mittelbar Empfundne der Arbeit zu sprechen scheint.

An den Antinousbildern endlich ist die statuarische Ausfassung selbst wie
schon gesagt, dem überlieferten Dionysos- und Narciß-Ideal entlehnt; für
den Antinous der Gruppe von Jldefonso diente der eidechsenspießende Apoll
des Praxiteles, für den Fackelträger ein Merkur vermuthlich Lysippischer Schule,
ähnlich dem fälschlich sogenannten Antinous des Belvedere, oder dem soge¬
nannten Germanicus des Kleomenes, als Vorbild.

Nur die Wiedergabe der Portraitzüge ist an diesen Bildern das Verdienst
der Hadrianischen Zeit: ein bei aller Meisterschaft der Ausführung doch geringes
Verdienst, für welches nur scharfe Beobachtung der sinnlichen Natur und
Virtuosität der Technik erforderlich ist. Dies aber sind die Eigenschaften der
Hadrianischen Zeit. Eleganz, Glätte und Sorgfalt der Arbeit, eine
bis in die kleinsten Details gehende Ausführung selbst am härtesten Material
sind die entschiedne Stärke dieser Zeit, wie wir ihr in frühern Zeiten nirgends
begegnen. Man vergleiche nur die minutiöse Bildung der Haare an der Brust


Die Gruppe des Ajax mit dem Leichnam Achill's ist ein Werk der rhodi-
schen Schule, vermuthlich noch etwas älter als der Laokoon, sicher Jahrhun¬
derte vor Hadrian erfunden.

Bei den andern Werken sind wir zwar nicht im Stande die Entstehungs¬
zeit der Originale in solcher Weise zu fixiren, aber daß auch sie lange vor
Hadrian entstanden sind, und daß der Kunst seiner Zeit nicht das Verdienst
ihrer Erfindung zukommt, läßt sich zur Evidenz bringen.

Dies gilt von der geängstigten Psyche: denn die Qualen, welche Amor der
Psyche bereitet, sind ein Gegenstand nicht blos für die ältere Poesie, sondern
sind in derselben Weise auch schon von der ältern Kunst, beispielsweise auf
Pompejcnüschen Wandgemälden, also schon vor dem Jahre 79 n. Chr., dem
Jahre der Verschüttung dieser Stadt durch den Vesuv, dargestellt worden.

Dieselben zeigen auch den Endymion ebenso wie ihn die Statue der Ha¬
drianischen Villa vorführt; und 2 silberne ebenfalls in Pompeji gefundne Becher
zeigen bereits das Motiv des Centaurenpaar, nur mit dem geringen Unter¬
schiede, daß auf ihnen statt des jugendlichen Centauren eine Centaurin er¬
scheint.

Ein seinen Rausch ausschlafender Faun, wie der barberinische, war das
Sujet, mit welchem Antipater, der sicher vor Pompejus gelebt hat, einen
silbernen Becher schmückte, wahrscheinlich nach dem Vorgange eines größern
statuarischen Werkes, von welchem dann unsre Statue copirt ist, wofern
wir es hier nicht, wie vielleicht auch bei dem einen oder andern Werke, mit
einem von Hadrian oder schon von einem seiner Vorgänger aus Griechenland
selbst entführten Originalwerke zu thun haben, wofür allerdings die unnach¬
ahmlich lebensvolle und frische Behandlung des Ganzen, das Sichere, Freie, un¬
mittelbar Empfundne der Arbeit zu sprechen scheint.

An den Antinousbildern endlich ist die statuarische Ausfassung selbst wie
schon gesagt, dem überlieferten Dionysos- und Narciß-Ideal entlehnt; für
den Antinous der Gruppe von Jldefonso diente der eidechsenspießende Apoll
des Praxiteles, für den Fackelträger ein Merkur vermuthlich Lysippischer Schule,
ähnlich dem fälschlich sogenannten Antinous des Belvedere, oder dem soge¬
nannten Germanicus des Kleomenes, als Vorbild.

Nur die Wiedergabe der Portraitzüge ist an diesen Bildern das Verdienst
der Hadrianischen Zeit: ein bei aller Meisterschaft der Ausführung doch geringes
Verdienst, für welches nur scharfe Beobachtung der sinnlichen Natur und
Virtuosität der Technik erforderlich ist. Dies aber sind die Eigenschaften der
Hadrianischen Zeit. Eleganz, Glätte und Sorgfalt der Arbeit, eine
bis in die kleinsten Details gehende Ausführung selbst am härtesten Material
sind die entschiedne Stärke dieser Zeit, wie wir ihr in frühern Zeiten nirgends
begegnen. Man vergleiche nur die minutiöse Bildung der Haare an der Brust


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[0181] Die Gruppe des Ajax mit dem Leichnam Achill's ist ein Werk der rhodi- schen Schule, vermuthlich noch etwas älter als der Laokoon, sicher Jahrhun¬ derte vor Hadrian erfunden. Bei den andern Werken sind wir zwar nicht im Stande die Entstehungs¬ zeit der Originale in solcher Weise zu fixiren, aber daß auch sie lange vor Hadrian entstanden sind, und daß der Kunst seiner Zeit nicht das Verdienst ihrer Erfindung zukommt, läßt sich zur Evidenz bringen. Dies gilt von der geängstigten Psyche: denn die Qualen, welche Amor der Psyche bereitet, sind ein Gegenstand nicht blos für die ältere Poesie, sondern sind in derselben Weise auch schon von der ältern Kunst, beispielsweise auf Pompejcnüschen Wandgemälden, also schon vor dem Jahre 79 n. Chr., dem Jahre der Verschüttung dieser Stadt durch den Vesuv, dargestellt worden. Dieselben zeigen auch den Endymion ebenso wie ihn die Statue der Ha¬ drianischen Villa vorführt; und 2 silberne ebenfalls in Pompeji gefundne Becher zeigen bereits das Motiv des Centaurenpaar, nur mit dem geringen Unter¬ schiede, daß auf ihnen statt des jugendlichen Centauren eine Centaurin er¬ scheint. Ein seinen Rausch ausschlafender Faun, wie der barberinische, war das Sujet, mit welchem Antipater, der sicher vor Pompejus gelebt hat, einen silbernen Becher schmückte, wahrscheinlich nach dem Vorgange eines größern statuarischen Werkes, von welchem dann unsre Statue copirt ist, wofern wir es hier nicht, wie vielleicht auch bei dem einen oder andern Werke, mit einem von Hadrian oder schon von einem seiner Vorgänger aus Griechenland selbst entführten Originalwerke zu thun haben, wofür allerdings die unnach¬ ahmlich lebensvolle und frische Behandlung des Ganzen, das Sichere, Freie, un¬ mittelbar Empfundne der Arbeit zu sprechen scheint. An den Antinousbildern endlich ist die statuarische Ausfassung selbst wie schon gesagt, dem überlieferten Dionysos- und Narciß-Ideal entlehnt; für den Antinous der Gruppe von Jldefonso diente der eidechsenspießende Apoll des Praxiteles, für den Fackelträger ein Merkur vermuthlich Lysippischer Schule, ähnlich dem fälschlich sogenannten Antinous des Belvedere, oder dem soge¬ nannten Germanicus des Kleomenes, als Vorbild. Nur die Wiedergabe der Portraitzüge ist an diesen Bildern das Verdienst der Hadrianischen Zeit: ein bei aller Meisterschaft der Ausführung doch geringes Verdienst, für welches nur scharfe Beobachtung der sinnlichen Natur und Virtuosität der Technik erforderlich ist. Dies aber sind die Eigenschaften der Hadrianischen Zeit. Eleganz, Glätte und Sorgfalt der Arbeit, eine bis in die kleinsten Details gehende Ausführung selbst am härtesten Material sind die entschiedne Stärke dieser Zeit, wie wir ihr in frühern Zeiten nirgends begegnen. Man vergleiche nur die minutiöse Bildung der Haare an der Brust

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/181>, abgerufen am 23.07.2024.