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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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denjenigen, welche unter Hadrian's unmittelbarem Vorgänger, Trajan ent¬
standen sind, so begegnen wir dort einer rein naturalistischen, fast könnte
man sagen militärischen Kunstrichtung, der naturalistischen Verherrlichung der
Thaten und Triumphe des Kaisers. Diesen Eindruck aber näher zu^unter-
suchen muß sich sofort getrieben fühlen, wer den jetzt fast allgemeinT'ange-
nommenen Satz für richtig hält, daß die auf dem Boden Roms verpflanzte
Kunst seit Augustus nur receptiv. nicht produktiv gewesen sei, daß sie nur
Nachbildungen, nicht Originale hervorgebracht habe.

Wie stellen sich dazu diese Werke der Hadrianischen Jdealkunst?

Sind es selbständige Jdealschöpfungen, wirkliche Originale?

Es hat nicht gefehlt und fehlt nicht an solchen, welche die Kunst unter
Hadrian in gleiche Linie mit der klassischen Kunst der Griechen, wie sie im
Zeitalter des Perikles ihre höchste Blüthe hatte, setzten, welche den Hadrian
für den Schöpfer einer Renaissance der griechischen Kanst erklärten, welche
urtheilten, die Kunst unter Hadrian habe noch Ideale geschaffen, erst nach
ihm habe sie die Fähigkeit zur Hervorbringung von Jdealschöpfungen ver¬
loren, die Gruppe von Jldefonso sei das letzte Ideal der griechischen Kunst.
Wie das erst Jahrhunderte später entstandene Gedicht des Musäus von Hero
und Leander, die letzte Rose im Garten der griechischen Dichtkunst. Eine ein¬
gehendere Prüfung aber, welche bisher nicht angestellt worden, deren Haupt¬
momente hier kurz vorgeführt werden sollen, zeigt, daß die Kunst unter Hadrian
in Wahrheit keine selbständigen Neuschöpfungen, sondern nur Nachbildungen
hervorgebracht habe, daß Hadrian nicht eine Periode der Renaissance, sondern
nur der Romantfk begründet habe. Zunächst hören wir von keiner originalen
Erfindung im Gebiete der Kunst in dieser Zeit. Aber wir vermögen auch
keine solche wahrzunehmen.

Beginnen wir mit der Baukunst:

Die Säulen am Thor und der Stoa des Hadrian in Athen -- um von
den vermuthlich älteren des Olympieion zu schweigen -- gehören der um
Jahrhunderte ältern korinthischen Ordnung an; dabei ist im Capitäl
bereits eine Spur der Entartung zu bemerken, die Form der Akanthosblätter
ist weniger sein gerippt und gezackt.

Der Doppeltempel der Venus und Noma in Rom ist in seiner Grund¬
form einfach griechisch. und auch die Besonderheit, daß die beiden Cellen als
halbkreisförmige Nischen mit ihren Rückseiten aneinanderstoßen,'ist entlehnt,
nämlich vom Bau der Doppel-Basiliken.

Wenn aber noch die Cella von einem Tonnengewölbe und die halbkreis¬
förmige Nische durch eine Halbkuppel überspannt wird, so ist dies eine dem
Wesen des griechischen Tempels widerstrebende, nahe an Stilvermischung
streifende, gewiß nicht lobenswerthe Neuerung des Kaiser-Architekten.


denjenigen, welche unter Hadrian's unmittelbarem Vorgänger, Trajan ent¬
standen sind, so begegnen wir dort einer rein naturalistischen, fast könnte
man sagen militärischen Kunstrichtung, der naturalistischen Verherrlichung der
Thaten und Triumphe des Kaisers. Diesen Eindruck aber näher zu^unter-
suchen muß sich sofort getrieben fühlen, wer den jetzt fast allgemeinT'ange-
nommenen Satz für richtig hält, daß die auf dem Boden Roms verpflanzte
Kunst seit Augustus nur receptiv. nicht produktiv gewesen sei, daß sie nur
Nachbildungen, nicht Originale hervorgebracht habe.

Wie stellen sich dazu diese Werke der Hadrianischen Jdealkunst?

Sind es selbständige Jdealschöpfungen, wirkliche Originale?

Es hat nicht gefehlt und fehlt nicht an solchen, welche die Kunst unter
Hadrian in gleiche Linie mit der klassischen Kunst der Griechen, wie sie im
Zeitalter des Perikles ihre höchste Blüthe hatte, setzten, welche den Hadrian
für den Schöpfer einer Renaissance der griechischen Kanst erklärten, welche
urtheilten, die Kunst unter Hadrian habe noch Ideale geschaffen, erst nach
ihm habe sie die Fähigkeit zur Hervorbringung von Jdealschöpfungen ver¬
loren, die Gruppe von Jldefonso sei das letzte Ideal der griechischen Kunst.
Wie das erst Jahrhunderte später entstandene Gedicht des Musäus von Hero
und Leander, die letzte Rose im Garten der griechischen Dichtkunst. Eine ein¬
gehendere Prüfung aber, welche bisher nicht angestellt worden, deren Haupt¬
momente hier kurz vorgeführt werden sollen, zeigt, daß die Kunst unter Hadrian
in Wahrheit keine selbständigen Neuschöpfungen, sondern nur Nachbildungen
hervorgebracht habe, daß Hadrian nicht eine Periode der Renaissance, sondern
nur der Romantfk begründet habe. Zunächst hören wir von keiner originalen
Erfindung im Gebiete der Kunst in dieser Zeit. Aber wir vermögen auch
keine solche wahrzunehmen.

Beginnen wir mit der Baukunst:

Die Säulen am Thor und der Stoa des Hadrian in Athen — um von
den vermuthlich älteren des Olympieion zu schweigen — gehören der um
Jahrhunderte ältern korinthischen Ordnung an; dabei ist im Capitäl
bereits eine Spur der Entartung zu bemerken, die Form der Akanthosblätter
ist weniger sein gerippt und gezackt.

Der Doppeltempel der Venus und Noma in Rom ist in seiner Grund¬
form einfach griechisch. und auch die Besonderheit, daß die beiden Cellen als
halbkreisförmige Nischen mit ihren Rückseiten aneinanderstoßen,'ist entlehnt,
nämlich vom Bau der Doppel-Basiliken.

Wenn aber noch die Cella von einem Tonnengewölbe und die halbkreis¬
förmige Nische durch eine Halbkuppel überspannt wird, so ist dies eine dem
Wesen des griechischen Tempels widerstrebende, nahe an Stilvermischung
streifende, gewiß nicht lobenswerthe Neuerung des Kaiser-Architekten.


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[0179] denjenigen, welche unter Hadrian's unmittelbarem Vorgänger, Trajan ent¬ standen sind, so begegnen wir dort einer rein naturalistischen, fast könnte man sagen militärischen Kunstrichtung, der naturalistischen Verherrlichung der Thaten und Triumphe des Kaisers. Diesen Eindruck aber näher zu^unter- suchen muß sich sofort getrieben fühlen, wer den jetzt fast allgemeinT'ange- nommenen Satz für richtig hält, daß die auf dem Boden Roms verpflanzte Kunst seit Augustus nur receptiv. nicht produktiv gewesen sei, daß sie nur Nachbildungen, nicht Originale hervorgebracht habe. Wie stellen sich dazu diese Werke der Hadrianischen Jdealkunst? Sind es selbständige Jdealschöpfungen, wirkliche Originale? Es hat nicht gefehlt und fehlt nicht an solchen, welche die Kunst unter Hadrian in gleiche Linie mit der klassischen Kunst der Griechen, wie sie im Zeitalter des Perikles ihre höchste Blüthe hatte, setzten, welche den Hadrian für den Schöpfer einer Renaissance der griechischen Kanst erklärten, welche urtheilten, die Kunst unter Hadrian habe noch Ideale geschaffen, erst nach ihm habe sie die Fähigkeit zur Hervorbringung von Jdealschöpfungen ver¬ loren, die Gruppe von Jldefonso sei das letzte Ideal der griechischen Kunst. Wie das erst Jahrhunderte später entstandene Gedicht des Musäus von Hero und Leander, die letzte Rose im Garten der griechischen Dichtkunst. Eine ein¬ gehendere Prüfung aber, welche bisher nicht angestellt worden, deren Haupt¬ momente hier kurz vorgeführt werden sollen, zeigt, daß die Kunst unter Hadrian in Wahrheit keine selbständigen Neuschöpfungen, sondern nur Nachbildungen hervorgebracht habe, daß Hadrian nicht eine Periode der Renaissance, sondern nur der Romantfk begründet habe. Zunächst hören wir von keiner originalen Erfindung im Gebiete der Kunst in dieser Zeit. Aber wir vermögen auch keine solche wahrzunehmen. Beginnen wir mit der Baukunst: Die Säulen am Thor und der Stoa des Hadrian in Athen — um von den vermuthlich älteren des Olympieion zu schweigen — gehören der um Jahrhunderte ältern korinthischen Ordnung an; dabei ist im Capitäl bereits eine Spur der Entartung zu bemerken, die Form der Akanthosblätter ist weniger sein gerippt und gezackt. Der Doppeltempel der Venus und Noma in Rom ist in seiner Grund¬ form einfach griechisch. und auch die Besonderheit, daß die beiden Cellen als halbkreisförmige Nischen mit ihren Rückseiten aneinanderstoßen,'ist entlehnt, nämlich vom Bau der Doppel-Basiliken. Wenn aber noch die Cella von einem Tonnengewölbe und die halbkreis¬ förmige Nische durch eine Halbkuppel überspannt wird, so ist dies eine dem Wesen des griechischen Tempels widerstrebende, nahe an Stilvermischung streifende, gewiß nicht lobenswerthe Neuerung des Kaiser-Architekten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/179>, abgerufen am 23.07.2024.