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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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sich an einen Baumstamm gelehnt, in süße Träumerei versunken; ein andrer
von rothem Marmor faßt triumphirend nach seiner Wonne, einer großen
Traube, nach welcher auch sein Gefährte, ein Ziegenbock, schmachtet. Ein
dritter, der barbarinische Faun, der seinen Rausch ausschläft, ist, ob¬
wohl nicht in der Villa gefunden, doch wohl hier zu nennen, weil er wahr¬
scheinlich zu den Statuen gehörte, welche das Grabmal Hadrian's schmückten,
da er unter Papst Urban VIlI. in dem dieses umgebenden Graben gefunden
wurde und somit wahrscheinlich zu den Statuen gehörte, welche die Belagerten
unter Belisar auf die stürmenden Gothen herabstürzten.

Gehen wir weiter ins Gebiet der Heroenwelt, so ist zuerst zu nennen
ein Schläfer und eine Schläferin ganz anderer Art: Endymion (eine Mar¬
morstatue aus dem Besitz des Grafen Maresoschi in Rom durch König Gustav III.
an Schweden gekauft, jetzt das Juwel des Museum zu Stockholm) hinge¬
gestreckt in sanften friedlichen Schlummer, in welchem ihn die keusche Göttin
des Mondes fand, wie sie uns die herrliche Statue des Vatikan zeigt, und
die unglückliche Ariadne, welcher der Schlaf keine Ruhe, sondern Qual
brachte, verlassen von Theseus, ein jetzt im Vatikan befindliches Relief, das
die Basis für die richtige Deutung der entsprechenden vordem als Cleopatra
gefeierten Statue wurde. Ferner zwei Amazonen: die eine wahrscheinlich
sich auf eine Lanze oder Sprungstab stützend, die andre verwundet und ihr
Gewand ein wenig an der verwundeten Stelle lüftend. Klingt in letzterer
schon ein leises Weh durch das Gesicht, so ist das Pathos erheblich gesteigert
in dem sogenannten Ajax mit dem Leichnam des Achill, einer Gruppe
welche in zwei Exemplaren, deren Neste im Vatican sind, in der Villa Auf¬
stellung gefunden hatte: der wilde Ajax mit Anspannung aller Kräfte be¬
müht den Körper des Achill, in welchem sich bereits die Wirkung des Todes
zu äußern beginnt, zu retten, richtet, da er sich von den Seinen verlassen und
auf allen Seiten von den Troern bedrängt sieht, halb noch trotzig, halb
flehend seinen Blick hinauf zu den Olympiern. Auf dem höchsten Gipfel
endlich ist das Pathos in dem berühmten Niob idensturz, als dessen Fund¬
ort die Villa Hadrian's wenigstens wahrscheinlich ist, da er sich früher In der
Villa des Cardinal Hippolyt von Este auf dem Quirinal, jetzt im Vatikan
befindet: eine der Niobetöchter greift, in eiligster Flucht vor den Geschossen
der zürnenden Götter begriffen, mit der Rechten nach dem einen vom Sturm
durchwühlten wild flatternden Mantelende und erhebt entsetzt und Erbarmen
flehend die Linke. Nicht genug daß dieser Torso alle Niobidensiguren an
Güte der Arbeit bei weitem übertrifft, ist er überhaupt den bedeutendsten
Torfen der Antike zuzurechnen: "denn obwohl wir weder den Gesichtsausdruck
noch die Bewegung der Hände wahrnehmen, fühlen wir doch ihren ganzen
Schmerz in seiner tiefsten Tiefe mit."


sich an einen Baumstamm gelehnt, in süße Träumerei versunken; ein andrer
von rothem Marmor faßt triumphirend nach seiner Wonne, einer großen
Traube, nach welcher auch sein Gefährte, ein Ziegenbock, schmachtet. Ein
dritter, der barbarinische Faun, der seinen Rausch ausschläft, ist, ob¬
wohl nicht in der Villa gefunden, doch wohl hier zu nennen, weil er wahr¬
scheinlich zu den Statuen gehörte, welche das Grabmal Hadrian's schmückten,
da er unter Papst Urban VIlI. in dem dieses umgebenden Graben gefunden
wurde und somit wahrscheinlich zu den Statuen gehörte, welche die Belagerten
unter Belisar auf die stürmenden Gothen herabstürzten.

Gehen wir weiter ins Gebiet der Heroenwelt, so ist zuerst zu nennen
ein Schläfer und eine Schläferin ganz anderer Art: Endymion (eine Mar¬
morstatue aus dem Besitz des Grafen Maresoschi in Rom durch König Gustav III.
an Schweden gekauft, jetzt das Juwel des Museum zu Stockholm) hinge¬
gestreckt in sanften friedlichen Schlummer, in welchem ihn die keusche Göttin
des Mondes fand, wie sie uns die herrliche Statue des Vatikan zeigt, und
die unglückliche Ariadne, welcher der Schlaf keine Ruhe, sondern Qual
brachte, verlassen von Theseus, ein jetzt im Vatikan befindliches Relief, das
die Basis für die richtige Deutung der entsprechenden vordem als Cleopatra
gefeierten Statue wurde. Ferner zwei Amazonen: die eine wahrscheinlich
sich auf eine Lanze oder Sprungstab stützend, die andre verwundet und ihr
Gewand ein wenig an der verwundeten Stelle lüftend. Klingt in letzterer
schon ein leises Weh durch das Gesicht, so ist das Pathos erheblich gesteigert
in dem sogenannten Ajax mit dem Leichnam des Achill, einer Gruppe
welche in zwei Exemplaren, deren Neste im Vatican sind, in der Villa Auf¬
stellung gefunden hatte: der wilde Ajax mit Anspannung aller Kräfte be¬
müht den Körper des Achill, in welchem sich bereits die Wirkung des Todes
zu äußern beginnt, zu retten, richtet, da er sich von den Seinen verlassen und
auf allen Seiten von den Troern bedrängt sieht, halb noch trotzig, halb
flehend seinen Blick hinauf zu den Olympiern. Auf dem höchsten Gipfel
endlich ist das Pathos in dem berühmten Niob idensturz, als dessen Fund¬
ort die Villa Hadrian's wenigstens wahrscheinlich ist, da er sich früher In der
Villa des Cardinal Hippolyt von Este auf dem Quirinal, jetzt im Vatikan
befindet: eine der Niobetöchter greift, in eiligster Flucht vor den Geschossen
der zürnenden Götter begriffen, mit der Rechten nach dem einen vom Sturm
durchwühlten wild flatternden Mantelende und erhebt entsetzt und Erbarmen
flehend die Linke. Nicht genug daß dieser Torso alle Niobidensiguren an
Güte der Arbeit bei weitem übertrifft, ist er überhaupt den bedeutendsten
Torfen der Antike zuzurechnen: „denn obwohl wir weder den Gesichtsausdruck
noch die Bewegung der Hände wahrnehmen, fühlen wir doch ihren ganzen
Schmerz in seiner tiefsten Tiefe mit."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/176>, abgerufen am 23.07.2024.