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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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von Thatsachen zu Tage zu fördern. Schon am 23. Januar 168t schrieb
de la Reynie: "Die große Anzahl von Frevelthaten, über welche die Unter¬
suchungen Licht verbreitet haben, machen einen niederschmetternder Eindruck,
und obwohl dieselben von Leuten beschrieben werden, die sie selbst begangen
haben und die früher schon oft wegen ähnlicher Verbrechen belangt worden
sind, so machen die Berichte über dieses schmähliche Vergiftungsgewerbe doch
fast den Eindruck der Uebertreibung, denn es kommen die unerhörtesten Dinge
zu Tage, die alle Vorstellungen übersteigen." Zu den schwersten Verbreche¬
rinnen gehörten die Brinvilliers und die Vanens, welche hauptsächlich unter
dem Adel aufgeräumt hatten, und in zweiter Linie die La Voisin, die, so zu
sagen, als bürgerliche Locusta gehaust hatte. Durch die Letztere waren z. B.
eine Metzgersfrau aus dem Faubourg Se. Antoine und eine Schreinermeisterin
"glückliche" Witwen geworden. Auch in dem folgenden Drama schaffte sie
die Lösung. Eine Mutter suchte den eigenen Sohn zu vergiften, der wiederum
denselben Plan gegen die Mutter gefaßt hatte. Es entstand im Hause der
Sibylle eine Art Geheimauction, ohne daß die Betheiligten wußten, wie es
um sie stand. Schließlich errang die verruchte Mutter durch einen hohen
Preis den Sieg. Die La Voisin trieb auch mit einer obstetrieischen Helfers¬
helferin Namens La Pere ein infames Nebenhandwerk, bei dessen Ausübung
sie sich mit cynischen Euphemismus des Geschäftsmottos bediente: "Rücker¬
stattung der verlorenen Ehre." Ihre Tochter verwundete eine Hofdame der
Königin-Mutter. Mlle. Guerchy auf eine Weise, daß ihr Geliebter Vitry ihren
Leiden durch einen Pistolenschuß ein Ende machte. Wenn etwas die furcht¬
bare Verkommenheit des damaligen Geschlechtes beurkundet, so ist es die von
der Oliamdi'ö aräente gelieferte Statistik, wonach der La Pere und der La
Voisin über zwölftausend Tödtungen dieser Art zur Last gelegt wurden.
Das Ende der La Voisin war ihrer würdig. Als. sie eben im Begriffe stand,
sich mit einem Sündengelde von 300,000 Franken außer Landes zu begeben,
wurde sie ergriffen und am 22.'Februar 1680 auf dem Greveplatze lebendig
verbrannt. Madame de Sevigne berichtet in einer ihrer frivolen Plaudereien,
die Unholdin habe noch Abends zuvor mit gutem Appetit soupirt und zum
Hohne geistliche Lieder gesungen. Sie fügt hinzu: "eil" äoima, Zevtimont
Lou ^ viable." Auffallend würde es erscheinen, wenn nicht auch die
Priesterschaft ihr Contingent von Missethätern dieser Gattung gestellt hätte.
Auch weisen die Gerichtsacten etwa ein Dutzend auf, welchen damals der
Prozeß gemacht wurde, eine nicht geringe Zahl, wenn man bedenkt, daß der
mächtige Klerus ^siebzehnten Jahrhundert nicht leicht einen gefallenen Amts¬
bruder der weltlichen Gerichtsbarkeit auslieferte. ' "Der Fürchterlichste sagt
de la Reynie, welcher mit allen Schuften und Unholden in Verbindung stand
und die Giftmischerei als Künstler trieb, war der Abbi Guibourg. Er gab


von Thatsachen zu Tage zu fördern. Schon am 23. Januar 168t schrieb
de la Reynie: „Die große Anzahl von Frevelthaten, über welche die Unter¬
suchungen Licht verbreitet haben, machen einen niederschmetternder Eindruck,
und obwohl dieselben von Leuten beschrieben werden, die sie selbst begangen
haben und die früher schon oft wegen ähnlicher Verbrechen belangt worden
sind, so machen die Berichte über dieses schmähliche Vergiftungsgewerbe doch
fast den Eindruck der Uebertreibung, denn es kommen die unerhörtesten Dinge
zu Tage, die alle Vorstellungen übersteigen." Zu den schwersten Verbreche¬
rinnen gehörten die Brinvilliers und die Vanens, welche hauptsächlich unter
dem Adel aufgeräumt hatten, und in zweiter Linie die La Voisin, die, so zu
sagen, als bürgerliche Locusta gehaust hatte. Durch die Letztere waren z. B.
eine Metzgersfrau aus dem Faubourg Se. Antoine und eine Schreinermeisterin
„glückliche" Witwen geworden. Auch in dem folgenden Drama schaffte sie
die Lösung. Eine Mutter suchte den eigenen Sohn zu vergiften, der wiederum
denselben Plan gegen die Mutter gefaßt hatte. Es entstand im Hause der
Sibylle eine Art Geheimauction, ohne daß die Betheiligten wußten, wie es
um sie stand. Schließlich errang die verruchte Mutter durch einen hohen
Preis den Sieg. Die La Voisin trieb auch mit einer obstetrieischen Helfers¬
helferin Namens La Pere ein infames Nebenhandwerk, bei dessen Ausübung
sie sich mit cynischen Euphemismus des Geschäftsmottos bediente: „Rücker¬
stattung der verlorenen Ehre." Ihre Tochter verwundete eine Hofdame der
Königin-Mutter. Mlle. Guerchy auf eine Weise, daß ihr Geliebter Vitry ihren
Leiden durch einen Pistolenschuß ein Ende machte. Wenn etwas die furcht¬
bare Verkommenheit des damaligen Geschlechtes beurkundet, so ist es die von
der Oliamdi'ö aräente gelieferte Statistik, wonach der La Pere und der La
Voisin über zwölftausend Tödtungen dieser Art zur Last gelegt wurden.
Das Ende der La Voisin war ihrer würdig. Als. sie eben im Begriffe stand,
sich mit einem Sündengelde von 300,000 Franken außer Landes zu begeben,
wurde sie ergriffen und am 22.'Februar 1680 auf dem Greveplatze lebendig
verbrannt. Madame de Sevigne berichtet in einer ihrer frivolen Plaudereien,
die Unholdin habe noch Abends zuvor mit gutem Appetit soupirt und zum
Hohne geistliche Lieder gesungen. Sie fügt hinzu: „eil« äoima, Zevtimont
Lou ^ viable." Auffallend würde es erscheinen, wenn nicht auch die
Priesterschaft ihr Contingent von Missethätern dieser Gattung gestellt hätte.
Auch weisen die Gerichtsacten etwa ein Dutzend auf, welchen damals der
Prozeß gemacht wurde, eine nicht geringe Zahl, wenn man bedenkt, daß der
mächtige Klerus ^siebzehnten Jahrhundert nicht leicht einen gefallenen Amts¬
bruder der weltlichen Gerichtsbarkeit auslieferte. ' „Der Fürchterlichste sagt
de la Reynie, welcher mit allen Schuften und Unholden in Verbindung stand
und die Giftmischerei als Künstler trieb, war der Abbi Guibourg. Er gab


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[0141] von Thatsachen zu Tage zu fördern. Schon am 23. Januar 168t schrieb de la Reynie: „Die große Anzahl von Frevelthaten, über welche die Unter¬ suchungen Licht verbreitet haben, machen einen niederschmetternder Eindruck, und obwohl dieselben von Leuten beschrieben werden, die sie selbst begangen haben und die früher schon oft wegen ähnlicher Verbrechen belangt worden sind, so machen die Berichte über dieses schmähliche Vergiftungsgewerbe doch fast den Eindruck der Uebertreibung, denn es kommen die unerhörtesten Dinge zu Tage, die alle Vorstellungen übersteigen." Zu den schwersten Verbreche¬ rinnen gehörten die Brinvilliers und die Vanens, welche hauptsächlich unter dem Adel aufgeräumt hatten, und in zweiter Linie die La Voisin, die, so zu sagen, als bürgerliche Locusta gehaust hatte. Durch die Letztere waren z. B. eine Metzgersfrau aus dem Faubourg Se. Antoine und eine Schreinermeisterin „glückliche" Witwen geworden. Auch in dem folgenden Drama schaffte sie die Lösung. Eine Mutter suchte den eigenen Sohn zu vergiften, der wiederum denselben Plan gegen die Mutter gefaßt hatte. Es entstand im Hause der Sibylle eine Art Geheimauction, ohne daß die Betheiligten wußten, wie es um sie stand. Schließlich errang die verruchte Mutter durch einen hohen Preis den Sieg. Die La Voisin trieb auch mit einer obstetrieischen Helfers¬ helferin Namens La Pere ein infames Nebenhandwerk, bei dessen Ausübung sie sich mit cynischen Euphemismus des Geschäftsmottos bediente: „Rücker¬ stattung der verlorenen Ehre." Ihre Tochter verwundete eine Hofdame der Königin-Mutter. Mlle. Guerchy auf eine Weise, daß ihr Geliebter Vitry ihren Leiden durch einen Pistolenschuß ein Ende machte. Wenn etwas die furcht¬ bare Verkommenheit des damaligen Geschlechtes beurkundet, so ist es die von der Oliamdi'ö aräente gelieferte Statistik, wonach der La Pere und der La Voisin über zwölftausend Tödtungen dieser Art zur Last gelegt wurden. Das Ende der La Voisin war ihrer würdig. Als. sie eben im Begriffe stand, sich mit einem Sündengelde von 300,000 Franken außer Landes zu begeben, wurde sie ergriffen und am 22.'Februar 1680 auf dem Greveplatze lebendig verbrannt. Madame de Sevigne berichtet in einer ihrer frivolen Plaudereien, die Unholdin habe noch Abends zuvor mit gutem Appetit soupirt und zum Hohne geistliche Lieder gesungen. Sie fügt hinzu: „eil« äoima, Zevtimont Lou ^ viable." Auffallend würde es erscheinen, wenn nicht auch die Priesterschaft ihr Contingent von Missethätern dieser Gattung gestellt hätte. Auch weisen die Gerichtsacten etwa ein Dutzend auf, welchen damals der Prozeß gemacht wurde, eine nicht geringe Zahl, wenn man bedenkt, daß der mächtige Klerus ^siebzehnten Jahrhundert nicht leicht einen gefallenen Amts¬ bruder der weltlichen Gerichtsbarkeit auslieferte. ' „Der Fürchterlichste sagt de la Reynie, welcher mit allen Schuften und Unholden in Verbindung stand und die Giftmischerei als Künstler trieb, war der Abbi Guibourg. Er gab

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/141>, abgerufen am 23.07.2024.