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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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und im Ofen getrocknet war. Schatzgräber begaben sich nächtlicher Weile an
gewisse Stellen, wo während der Frondekriege Schätze eingescharrt sein sollten.
Daselbst trat dann ein Geistlicher mit der Stola in einen Kreis mystisch
geweihter schwarzer Kerzen und beschwor mit^ dem Gebetbuche in der Hand
den Fürsten der Finsterniß herauf, um die Schätze zu heben. Erschien der¬
selbe, was wohl meistens der Fall, nicht, so schritt man zu einem infamen
Ritus, der in den unwürdigsten Geheimculten des späteren Alterthums schwer¬
lich seines Gleichen gehabt hat. Alle hierher gehörigen Einzelheiten werden
durch den Untersuchungsrichter de la Reynie amtlich bezeugt*). Der später
noch zu erwähnende Guibourg gestand, bei solchen Beschwörungsmessen fünf
Kinder erwürgt zu haben, und die berüchtigte La Voisin noch weit mehr.
Die Gerichtsacten weisen noch zahlreiche andre Gebräuche von dieser schauder¬
haften Gattung nach. Im Hinblick darauf sagt der obenerwähnte de la
Reynie, der unter Ludwig XIV. allgemein geachtet wurde und als zuverlässiger
Gewährsmann zu betrachten ist, in einem noch erhaltenen Actenstücke: "von
stebenundvierzig Gefangenen, die sich gegenwärtig in der Bastille befinden, ist
auch nicht ein einziger, gegen welchen nicht Anklagen der allerschwersten Art
erhoben wären. Mit dem Menschenleben wird in unsern Tagen ein schnöder,
fast öffentlicher Handel getrieben. In den meisten Familienzerwürfnissen und
ernsteren Streitigkeiten muß der Mord die Entscheidung herbeiführen. Und
dabei haben wir uns als Richter die peinliche Frage vorzulegen: "Ist es um
der Ehre Gottes willen, im Interesse des Königs, des Staates und der öffent¬
lichen Gerechtigkeit, erlaubt, solch' ungeheuerliche Bergehen und Verirrungen,
wie die vorliegenden zur allgemeinen Kenntniß zu bringen?"" Wenn ein im
Amte ergrauter und an den Anblick des Verbrechens in allen Erscheinungs¬
formen gewöhnter Richter so schreiben konnte, dann mußte die Lage allerdings
eine verzweifelte sein. Auch war bei dem niedrigen Standpunkte, auf dem
sich die Naturwissenschaft, vornehmlich die Scheidekunst, und die innere Heil¬
kunde befanden, schon eine geraume, opferreiche Zeit verstrichen, ehe man den
eigentlichen Ursachen der vielen Erkrankungen und auffallenden Sterbefälle
auf die Spur kommen konnte. Reiche und mächtige Leute hatten außerdem
so oft die Hand im Spiele, daß manches schon ruchbar gewordene Schauder¬
drama vertuscht und todtgeschwiegen wurde. Ein Fall solcher skandalösen
Duldung ist der einer Madame Dreur, der Gattin eines Pariser Parlaments¬
richters. Es war offenkundig, daß dieselbe als Messalina lebte und für die
Beseitigung ihres Mannes zweitausend Thaler, einen goldnen Ring und ein



Lvoi'tum vsrtllrisns in ouoivulo "igl'is oollnevutibus t-ioibus rssnnin.i, West. HnÄ<z
ubi primum enix" sse kovturn ins", ävvovot Oig,noto, ciuo tÄeto sacei'äos nninolati intÄntis
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(Ul!mi",ti uowdm'pun" in tÄrnii-esu vonMit. oto> (tom. VI. Mg. 42ki),

und im Ofen getrocknet war. Schatzgräber begaben sich nächtlicher Weile an
gewisse Stellen, wo während der Frondekriege Schätze eingescharrt sein sollten.
Daselbst trat dann ein Geistlicher mit der Stola in einen Kreis mystisch
geweihter schwarzer Kerzen und beschwor mit^ dem Gebetbuche in der Hand
den Fürsten der Finsterniß herauf, um die Schätze zu heben. Erschien der¬
selbe, was wohl meistens der Fall, nicht, so schritt man zu einem infamen
Ritus, der in den unwürdigsten Geheimculten des späteren Alterthums schwer¬
lich seines Gleichen gehabt hat. Alle hierher gehörigen Einzelheiten werden
durch den Untersuchungsrichter de la Reynie amtlich bezeugt*). Der später
noch zu erwähnende Guibourg gestand, bei solchen Beschwörungsmessen fünf
Kinder erwürgt zu haben, und die berüchtigte La Voisin noch weit mehr.
Die Gerichtsacten weisen noch zahlreiche andre Gebräuche von dieser schauder¬
haften Gattung nach. Im Hinblick darauf sagt der obenerwähnte de la
Reynie, der unter Ludwig XIV. allgemein geachtet wurde und als zuverlässiger
Gewährsmann zu betrachten ist, in einem noch erhaltenen Actenstücke: „von
stebenundvierzig Gefangenen, die sich gegenwärtig in der Bastille befinden, ist
auch nicht ein einziger, gegen welchen nicht Anklagen der allerschwersten Art
erhoben wären. Mit dem Menschenleben wird in unsern Tagen ein schnöder,
fast öffentlicher Handel getrieben. In den meisten Familienzerwürfnissen und
ernsteren Streitigkeiten muß der Mord die Entscheidung herbeiführen. Und
dabei haben wir uns als Richter die peinliche Frage vorzulegen: „Ist es um
der Ehre Gottes willen, im Interesse des Königs, des Staates und der öffent¬
lichen Gerechtigkeit, erlaubt, solch' ungeheuerliche Bergehen und Verirrungen,
wie die vorliegenden zur allgemeinen Kenntniß zu bringen?"" Wenn ein im
Amte ergrauter und an den Anblick des Verbrechens in allen Erscheinungs¬
formen gewöhnter Richter so schreiben konnte, dann mußte die Lage allerdings
eine verzweifelte sein. Auch war bei dem niedrigen Standpunkte, auf dem
sich die Naturwissenschaft, vornehmlich die Scheidekunst, und die innere Heil¬
kunde befanden, schon eine geraume, opferreiche Zeit verstrichen, ehe man den
eigentlichen Ursachen der vielen Erkrankungen und auffallenden Sterbefälle
auf die Spur kommen konnte. Reiche und mächtige Leute hatten außerdem
so oft die Hand im Spiele, daß manches schon ruchbar gewordene Schauder¬
drama vertuscht und todtgeschwiegen wurde. Ein Fall solcher skandalösen
Duldung ist der einer Madame Dreur, der Gattin eines Pariser Parlaments¬
richters. Es war offenkundig, daß dieselbe als Messalina lebte und für die
Beseitigung ihres Mannes zweitausend Thaler, einen goldnen Ring und ein



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/139>, abgerufen am 23.07.2024.