Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in die Bastille, um daran erinnert zu werden, "daß Se. Majestät es nicht
lieben, wenn die Unterthanen ohne Vermittlung der betreffenden Verwaltungs¬
behörde sich direct an Höchstdieselben wenden." Aehnliches widerfuhr einem
kühnen Spezereihändler in einer Provinzialstadt, der gegen das Leberthran¬
monopol gewisser hoher Persönlichkeiten protestirte. Unglaublich schließlich
klingt das übrigens ebenfalls actenmäßig nachweisliche Factum, daß Ludwig,
noch nicht auf dem Höhepunkt der Macht angelangt, es wagen durfte, sogar
Gesandte einzusperren. Der Brandenburger Ministerresident im Dienste des
großen Kurfürsten, Abraham Wiquefort, wie sein Name in den Acten ge¬
schrieben wird, von Geburt ein Holländer, hatte sich in einem aufgefangenen
Briefe eine Anspielung auf das sonst offenkundige Verhältniß des Königs zu
der schönen Marie Mancini erlaubt. Als die Sache dem Letzteren hinter¬
bracht wurde, zwang den Holländer ein sofort ausgefertigter iLttrs as euelivt,
sich in eiliger Flucht über die Grenze zu begeben.

Die Jesuiten, die sich die Willkürherrschaft nach ihrer Weise zu Nutze
zu machen verstanden, ließen einst im Jahre 1674 im College Clermont, das
unter ihrer Leitung stand, eine lateinische Tragödie spielen, vielleicht ein für
ihre Zwecke zugestutztes Stück von Seneca, worin dem höchsten Gebieter auf
das Maßloseste Weihrauch gestreut wurde. Der König ließ sich herab, der
Einladung des Rectors zu folgen und sich zur Entgegennahme der Huldigungen
einzusenden, obwohl er bekanntlich so gut wie gar kein Latein verstand. In¬
dessen beim Abschiede drückte er seine Zufriedenheit aus, und als einer der
Cavaliere die trefflichen Leistungen der Schüler hervorhob, versetzte er mit
Nachdruck: "Ist das wunderbar? Es ist ja Mein College." Noch in der
nämlichen Nacht ließen die Väter, denen das gewichtige Wort nicht entgangen
war, die über dem Portale stehende Inschrift: OolloZium OlaremviMiiuln
Loeiöwtis ^Sön entfernen und am folgenden Morgen prangte den erstaunten
Jünglingen die in Goldlapidarstyl angebrachte Textverbesserung entgegen:
(üollesium I^ucloviei All^ni. Diese plötzliche Metamorphose mißfiel einem der
Eleven, und noch am selben Tage fand man am Eingang das folgende, nicht
üble Distichon angehefet:


^bswlit diuo ^esum posuityus insignia, reZis
ImM gens: alwra non colit illa äoum.')

Es siel nicht schwer, den jugendlichen Epigrammatiker zu ermitteln; es
war ein dreizehnjähriger Knabe. Die Väter witterten mit richtigem Jnstincte
den zukünftigen Freidenker und besorgten einen lottrs Ah caedet. Das Kind
kam zunächst in die Bastille und wurde dann nach der Insel Se. Marguerite,



*) Das gottlose Geschlecht löschte den Namen Jesu aus und setzte die königlichen Abzeichen
an seine Stelle; es verehrt keine" andern Gott als den König.

in die Bastille, um daran erinnert zu werden, „daß Se. Majestät es nicht
lieben, wenn die Unterthanen ohne Vermittlung der betreffenden Verwaltungs¬
behörde sich direct an Höchstdieselben wenden." Aehnliches widerfuhr einem
kühnen Spezereihändler in einer Provinzialstadt, der gegen das Leberthran¬
monopol gewisser hoher Persönlichkeiten protestirte. Unglaublich schließlich
klingt das übrigens ebenfalls actenmäßig nachweisliche Factum, daß Ludwig,
noch nicht auf dem Höhepunkt der Macht angelangt, es wagen durfte, sogar
Gesandte einzusperren. Der Brandenburger Ministerresident im Dienste des
großen Kurfürsten, Abraham Wiquefort, wie sein Name in den Acten ge¬
schrieben wird, von Geburt ein Holländer, hatte sich in einem aufgefangenen
Briefe eine Anspielung auf das sonst offenkundige Verhältniß des Königs zu
der schönen Marie Mancini erlaubt. Als die Sache dem Letzteren hinter¬
bracht wurde, zwang den Holländer ein sofort ausgefertigter iLttrs as euelivt,
sich in eiliger Flucht über die Grenze zu begeben.

Die Jesuiten, die sich die Willkürherrschaft nach ihrer Weise zu Nutze
zu machen verstanden, ließen einst im Jahre 1674 im College Clermont, das
unter ihrer Leitung stand, eine lateinische Tragödie spielen, vielleicht ein für
ihre Zwecke zugestutztes Stück von Seneca, worin dem höchsten Gebieter auf
das Maßloseste Weihrauch gestreut wurde. Der König ließ sich herab, der
Einladung des Rectors zu folgen und sich zur Entgegennahme der Huldigungen
einzusenden, obwohl er bekanntlich so gut wie gar kein Latein verstand. In¬
dessen beim Abschiede drückte er seine Zufriedenheit aus, und als einer der
Cavaliere die trefflichen Leistungen der Schüler hervorhob, versetzte er mit
Nachdruck: „Ist das wunderbar? Es ist ja Mein College." Noch in der
nämlichen Nacht ließen die Väter, denen das gewichtige Wort nicht entgangen
war, die über dem Portale stehende Inschrift: OolloZium OlaremviMiiuln
Loeiöwtis ^Sön entfernen und am folgenden Morgen prangte den erstaunten
Jünglingen die in Goldlapidarstyl angebrachte Textverbesserung entgegen:
(üollesium I^ucloviei All^ni. Diese plötzliche Metamorphose mißfiel einem der
Eleven, und noch am selben Tage fand man am Eingang das folgende, nicht
üble Distichon angehefet:


^bswlit diuo ^esum posuityus insignia, reZis
ImM gens: alwra non colit illa äoum.')

Es siel nicht schwer, den jugendlichen Epigrammatiker zu ermitteln; es
war ein dreizehnjähriger Knabe. Die Väter witterten mit richtigem Jnstincte
den zukünftigen Freidenker und besorgten einen lottrs Ah caedet. Das Kind
kam zunächst in die Bastille und wurde dann nach der Insel Se. Marguerite,



*) Das gottlose Geschlecht löschte den Namen Jesu aus und setzte die königlichen Abzeichen
an seine Stelle; es verehrt keine» andern Gott als den König.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132895"/>
          <p xml:id="ID_476" prev="#ID_475"> in die Bastille, um daran erinnert zu werden, &#x201E;daß Se. Majestät es nicht<lb/>
lieben, wenn die Unterthanen ohne Vermittlung der betreffenden Verwaltungs¬<lb/>
behörde sich direct an Höchstdieselben wenden." Aehnliches widerfuhr einem<lb/>
kühnen Spezereihändler in einer Provinzialstadt, der gegen das Leberthran¬<lb/>
monopol gewisser hoher Persönlichkeiten protestirte. Unglaublich schließlich<lb/>
klingt das übrigens ebenfalls actenmäßig nachweisliche Factum, daß Ludwig,<lb/>
noch nicht auf dem Höhepunkt der Macht angelangt, es wagen durfte, sogar<lb/>
Gesandte einzusperren. Der Brandenburger Ministerresident im Dienste des<lb/>
großen Kurfürsten, Abraham Wiquefort, wie sein Name in den Acten ge¬<lb/>
schrieben wird, von Geburt ein Holländer, hatte sich in einem aufgefangenen<lb/>
Briefe eine Anspielung auf das sonst offenkundige Verhältniß des Königs zu<lb/>
der schönen Marie Mancini erlaubt. Als die Sache dem Letzteren hinter¬<lb/>
bracht wurde, zwang den Holländer ein sofort ausgefertigter iLttrs as euelivt,<lb/>
sich in eiliger Flucht über die Grenze zu begeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_477"> Die Jesuiten, die sich die Willkürherrschaft nach ihrer Weise zu Nutze<lb/>
zu machen verstanden, ließen einst im Jahre 1674 im College Clermont, das<lb/>
unter ihrer Leitung stand, eine lateinische Tragödie spielen, vielleicht ein für<lb/>
ihre Zwecke zugestutztes Stück von Seneca, worin dem höchsten Gebieter auf<lb/>
das Maßloseste Weihrauch gestreut wurde. Der König ließ sich herab, der<lb/>
Einladung des Rectors zu folgen und sich zur Entgegennahme der Huldigungen<lb/>
einzusenden, obwohl er bekanntlich so gut wie gar kein Latein verstand. In¬<lb/>
dessen beim Abschiede drückte er seine Zufriedenheit aus, und als einer der<lb/>
Cavaliere die trefflichen Leistungen der Schüler hervorhob, versetzte er mit<lb/>
Nachdruck: &#x201E;Ist das wunderbar? Es ist ja Mein College." Noch in der<lb/>
nämlichen Nacht ließen die Väter, denen das gewichtige Wort nicht entgangen<lb/>
war, die über dem Portale stehende Inschrift: OolloZium OlaremviMiiuln<lb/>
Loeiöwtis ^Sön entfernen und am folgenden Morgen prangte den erstaunten<lb/>
Jünglingen die in Goldlapidarstyl angebrachte Textverbesserung entgegen:<lb/>
(üollesium I^ucloviei All^ni. Diese plötzliche Metamorphose mißfiel einem der<lb/>
Eleven, und noch am selben Tage fand man am Eingang das folgende, nicht<lb/>
üble Distichon angehefet:</p><lb/>
          <quote> ^bswlit diuo ^esum posuityus insignia, reZis<lb/>
ImM gens: alwra non colit illa äoum.')</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_478" next="#ID_479"> Es siel nicht schwer, den jugendlichen Epigrammatiker zu ermitteln; es<lb/>
war ein dreizehnjähriger Knabe. Die Väter witterten mit richtigem Jnstincte<lb/>
den zukünftigen Freidenker und besorgten einen lottrs Ah caedet. Das Kind<lb/>
kam zunächst in die Bastille und wurde dann nach der Insel Se. Marguerite,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_26" place="foot"> *) Das gottlose Geschlecht löschte den Namen Jesu aus und setzte die königlichen Abzeichen<lb/>
an seine Stelle; es verehrt keine» andern Gott als den König.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0135] in die Bastille, um daran erinnert zu werden, „daß Se. Majestät es nicht lieben, wenn die Unterthanen ohne Vermittlung der betreffenden Verwaltungs¬ behörde sich direct an Höchstdieselben wenden." Aehnliches widerfuhr einem kühnen Spezereihändler in einer Provinzialstadt, der gegen das Leberthran¬ monopol gewisser hoher Persönlichkeiten protestirte. Unglaublich schließlich klingt das übrigens ebenfalls actenmäßig nachweisliche Factum, daß Ludwig, noch nicht auf dem Höhepunkt der Macht angelangt, es wagen durfte, sogar Gesandte einzusperren. Der Brandenburger Ministerresident im Dienste des großen Kurfürsten, Abraham Wiquefort, wie sein Name in den Acten ge¬ schrieben wird, von Geburt ein Holländer, hatte sich in einem aufgefangenen Briefe eine Anspielung auf das sonst offenkundige Verhältniß des Königs zu der schönen Marie Mancini erlaubt. Als die Sache dem Letzteren hinter¬ bracht wurde, zwang den Holländer ein sofort ausgefertigter iLttrs as euelivt, sich in eiliger Flucht über die Grenze zu begeben. Die Jesuiten, die sich die Willkürherrschaft nach ihrer Weise zu Nutze zu machen verstanden, ließen einst im Jahre 1674 im College Clermont, das unter ihrer Leitung stand, eine lateinische Tragödie spielen, vielleicht ein für ihre Zwecke zugestutztes Stück von Seneca, worin dem höchsten Gebieter auf das Maßloseste Weihrauch gestreut wurde. Der König ließ sich herab, der Einladung des Rectors zu folgen und sich zur Entgegennahme der Huldigungen einzusenden, obwohl er bekanntlich so gut wie gar kein Latein verstand. In¬ dessen beim Abschiede drückte er seine Zufriedenheit aus, und als einer der Cavaliere die trefflichen Leistungen der Schüler hervorhob, versetzte er mit Nachdruck: „Ist das wunderbar? Es ist ja Mein College." Noch in der nämlichen Nacht ließen die Väter, denen das gewichtige Wort nicht entgangen war, die über dem Portale stehende Inschrift: OolloZium OlaremviMiiuln Loeiöwtis ^Sön entfernen und am folgenden Morgen prangte den erstaunten Jünglingen die in Goldlapidarstyl angebrachte Textverbesserung entgegen: (üollesium I^ucloviei All^ni. Diese plötzliche Metamorphose mißfiel einem der Eleven, und noch am selben Tage fand man am Eingang das folgende, nicht üble Distichon angehefet: ^bswlit diuo ^esum posuityus insignia, reZis ImM gens: alwra non colit illa äoum.') Es siel nicht schwer, den jugendlichen Epigrammatiker zu ermitteln; es war ein dreizehnjähriger Knabe. Die Väter witterten mit richtigem Jnstincte den zukünftigen Freidenker und besorgten einen lottrs Ah caedet. Das Kind kam zunächst in die Bastille und wurde dann nach der Insel Se. Marguerite, *) Das gottlose Geschlecht löschte den Namen Jesu aus und setzte die königlichen Abzeichen an seine Stelle; es verehrt keine» andern Gott als den König.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/135
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/135>, abgerufen am 23.07.2024.