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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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auf eine Matratze und ließ ihn, wenn er überhaupt noch so viel Kraft hatte,
das Protokoll der ihm gewaltsam ausgepreßten Aussagen unterzeichnen. Die
Bastillenacten enthalten mehr als eines dieser Marterdocumente mit den kaum
leserlichen Namenszügen der eben Gefolterten.

Der Uebergang von der Folterkammer zum Galgen, Rad, Schaffst oder
Scheiterhaufen war ein schneller. Gelegentlich sandte das Parlament die Be¬
gnadigung, wenn das Schlachtopfer schon an den Pfahl gebunden war. In¬
dessen ließ sich der Pöbel den Hochgenuß des Schauspiels nicht gern rauben;
es wird auch berichtet, daß selbst Damen der höchsten Stände unter den Zu¬
schauern zu sein pflegten, und die Theaterdirectoren sich hüteten, an solchen
Bluttagen neue Stücke zu erster Aufführung zu bringen.

Was im Uebrigen die Behandlung der großen Mehrzahl der Bastillen-
gefangenen. betrifft, so bedarf es nachdrücklicher Erwähnung, daß die Burg-
verließeristenzen und das Schmachten in dumpfen Mauerlöchern nirgends
actenmäßig nachweisbar sind. Es herrschte sogar ein gewißer Comfort, und
den meisten Gefangenen wurde bis zur Verurtheilung manche Freiheit ge¬
stattet, die heutzutage unerhört wäre. Dahin gehören Erholungsspiele in
Gesellschaft andrer Sträflinge und häufige Besuche der Angehörigen. Und
außer reichlicher Nahrung wurden, was kaum glaublich klingt, den in Unter¬
suchungshaft Befindlichen drei Flaschen Wein, darunter Champagner verabreicht.
Kluge und mäßige Leute verständigten sich denn auch hin und wieder mit
dem Gouverneur, begnügten sich mit bescheidener Kost und ließen sich die
Hälfte des Ersparten gut schreiben, während Jener die andre Hälfte einstrich.
So zog gelegentlich ein armer Schlucker mit leeren Taschen ein und mit
einem Kapitälchen aus des Königs Schatulle wieder ab.

Der Gebrauch der loltrss av eaeliet war anfangs ein mäßiger und
Ludwig pflegte sie ohne sorgfältige Prüfung und Erwägung nicht zu unter¬
zeichnen. Und er hatte alle Ursache dazu, da ihm die heillosen chaotischen
Zustände, in welcher sich die Rechtspflege in allen Provinzen des Reiches be¬
fand, die Willkür der Richter, die nie enden wollenden Competenzconflicte
zwischen den städtischen, herrschaftlichen und geistlichen Gerichtshöfen, die
Familienfesten und das Jntriguenwesen in den oberen Ständen nicht unbe¬
kannt sein konnte, und er sich daher hüten mußte, auf Anklagen und An-
schwärzungen hin mit Verhaftungsbefehlen freigebig zu sein. Auf der andren
Seite erscheint sein, wenn auch despotisches, Eingreifen in den normalen Gang
der Justiz der allgemeinen Anarchie gegenüber eher als eine Wohlthat. Was
aber in Zeiten der Auflösung ein Segen war, wurde zum unerträglichen Joche,
als erst die Staatsmaschine in regelmäßigeren Gang gebracht war und der
König mit den zunehmenden Jahren sich mehr und mehr der Bigotterie und
dem Pfaffendienste ergab und in dem Edict von Nantes einen seiner ganzen


auf eine Matratze und ließ ihn, wenn er überhaupt noch so viel Kraft hatte,
das Protokoll der ihm gewaltsam ausgepreßten Aussagen unterzeichnen. Die
Bastillenacten enthalten mehr als eines dieser Marterdocumente mit den kaum
leserlichen Namenszügen der eben Gefolterten.

Der Uebergang von der Folterkammer zum Galgen, Rad, Schaffst oder
Scheiterhaufen war ein schneller. Gelegentlich sandte das Parlament die Be¬
gnadigung, wenn das Schlachtopfer schon an den Pfahl gebunden war. In¬
dessen ließ sich der Pöbel den Hochgenuß des Schauspiels nicht gern rauben;
es wird auch berichtet, daß selbst Damen der höchsten Stände unter den Zu¬
schauern zu sein pflegten, und die Theaterdirectoren sich hüteten, an solchen
Bluttagen neue Stücke zu erster Aufführung zu bringen.

Was im Uebrigen die Behandlung der großen Mehrzahl der Bastillen-
gefangenen. betrifft, so bedarf es nachdrücklicher Erwähnung, daß die Burg-
verließeristenzen und das Schmachten in dumpfen Mauerlöchern nirgends
actenmäßig nachweisbar sind. Es herrschte sogar ein gewißer Comfort, und
den meisten Gefangenen wurde bis zur Verurtheilung manche Freiheit ge¬
stattet, die heutzutage unerhört wäre. Dahin gehören Erholungsspiele in
Gesellschaft andrer Sträflinge und häufige Besuche der Angehörigen. Und
außer reichlicher Nahrung wurden, was kaum glaublich klingt, den in Unter¬
suchungshaft Befindlichen drei Flaschen Wein, darunter Champagner verabreicht.
Kluge und mäßige Leute verständigten sich denn auch hin und wieder mit
dem Gouverneur, begnügten sich mit bescheidener Kost und ließen sich die
Hälfte des Ersparten gut schreiben, während Jener die andre Hälfte einstrich.
So zog gelegentlich ein armer Schlucker mit leeren Taschen ein und mit
einem Kapitälchen aus des Königs Schatulle wieder ab.

Der Gebrauch der loltrss av eaeliet war anfangs ein mäßiger und
Ludwig pflegte sie ohne sorgfältige Prüfung und Erwägung nicht zu unter¬
zeichnen. Und er hatte alle Ursache dazu, da ihm die heillosen chaotischen
Zustände, in welcher sich die Rechtspflege in allen Provinzen des Reiches be¬
fand, die Willkür der Richter, die nie enden wollenden Competenzconflicte
zwischen den städtischen, herrschaftlichen und geistlichen Gerichtshöfen, die
Familienfesten und das Jntriguenwesen in den oberen Ständen nicht unbe¬
kannt sein konnte, und er sich daher hüten mußte, auf Anklagen und An-
schwärzungen hin mit Verhaftungsbefehlen freigebig zu sein. Auf der andren
Seite erscheint sein, wenn auch despotisches, Eingreifen in den normalen Gang
der Justiz der allgemeinen Anarchie gegenüber eher als eine Wohlthat. Was
aber in Zeiten der Auflösung ein Segen war, wurde zum unerträglichen Joche,
als erst die Staatsmaschine in regelmäßigeren Gang gebracht war und der
König mit den zunehmenden Jahren sich mehr und mehr der Bigotterie und
dem Pfaffendienste ergab und in dem Edict von Nantes einen seiner ganzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/132>, abgerufen am 25.08.2024.