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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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vorherzusehen. Berlin soll demnächst mit einer Reihe umliegender Ortschaften
zu einer Provinz vereinigt und unter eine besondere Provinzialordnung gestellt
werden. Was über den von der Regierung fertig gestellten Entwurf der
letzteren verlautet hat, ließ vermuthen, daß die liberale Partei im Interesse
einer ersprießlichen Selbstverwaltung manche Aenderungen werde verlangen
müssen. Daß aber Borgänge, wie der vom letzten Donnerstag, dem Erfolge
eines derartigen Verlangens direct entgegenarbeiten und die Position der libe¬
ralen Partei nur schwächen können, sollte auch dem blödesten Auge klar sein.
In der That, der 7. Januar hat in weiten Kreisen die traurige Befürchtung
erzeugt, daß in der deutschen Hauptstadt die Selbstverwaltung Bankerott
machen könne. --

Mit dieser trüben Perspective meinen Brief zu schließen, bringe ich nicht
übers Herz. Werfen wir denn, da die Kunst ja doch immer "heiter" ist,
noch einen kurzen Blick auf unsere Theaterwelt. In der Prosa des ernsten
Lebens habe ich lange nicht mehr die Muße zu loser Plauderei gefunden;
auch heute gestattet der Raum nur ein summarisches Verfahren. Da sind also
zunächst die königlichen Schauspiele. Die Oper hat uns vor einiger Zeit mit
einer Novität beschenkt. "Cesario" nennt sich dieselbe, das Libretto Shake¬
speare's "Was ihr wollt" entnommen, die Composition von unserm Capell-
meister Taubert. Ein kühnes Wagniß, eine der eigenartigsten Dichtungen
des großen Briten in Musik zu setzen. Die hochpoetische, zarte und duf¬
tige Seite des Werkes in Tönen wiederzugeben, mag verhältnißmäßig leicht
gelingen; eine arge Klippe aber sind die komischen Stellen und Charaktere.
Nicolai-in seinen "Luftiger Weibern" hat diese Klippe unter der Gunst der
Götter umschifft; die Muse Taubert's, sagen wir es offen, ist nicht so glück¬
lich gewesen. Die Scenen sprudelnden, übermüthigen Humors zwischen Junker
Tobias, Junker Christoph von Bleichenwang, Marie und Malvolio wider¬
streben prinzipiell dem ganzen Wesen der Taubert'schen Musik; sie sind außer¬
dem in übermäßiger Breite angelegt. Sonst aber fehlt es nicht an ergreifen¬
den Momenten; so besonders am Beginn des dritten Acts die Scene zwischen
dem Herzog und Viola. Die Finales sind getragen von glänzendem poly¬
phonem Schwung; das Ende des ersten Acts ist auch samisch sehr wirksam.
Der allgemeine Charakter der Musik ist derjenige aller Taubert'schen (Kompo¬
sitionen: correcte Harmonie, edler Stil, süßer Wohllaut -- als Musik an
und für sich sehr achtungswerth, als dramatische Musik aber nicht haltbar.
Es fehlt ihr die Kraft der Charakteristik, das organische Verwachsensein mit
dem Stoffe. Als Operncomponist gehört Taubert einer Schule an, die nach
Wagner, mag man über diesen sonst denken wie man will, nicht mehr lebens¬
fähig ist.

Das Schauspielhaus brachte, neben einigen kleinen Novitäten, eine Komödie


vorherzusehen. Berlin soll demnächst mit einer Reihe umliegender Ortschaften
zu einer Provinz vereinigt und unter eine besondere Provinzialordnung gestellt
werden. Was über den von der Regierung fertig gestellten Entwurf der
letzteren verlautet hat, ließ vermuthen, daß die liberale Partei im Interesse
einer ersprießlichen Selbstverwaltung manche Aenderungen werde verlangen
müssen. Daß aber Borgänge, wie der vom letzten Donnerstag, dem Erfolge
eines derartigen Verlangens direct entgegenarbeiten und die Position der libe¬
ralen Partei nur schwächen können, sollte auch dem blödesten Auge klar sein.
In der That, der 7. Januar hat in weiten Kreisen die traurige Befürchtung
erzeugt, daß in der deutschen Hauptstadt die Selbstverwaltung Bankerott
machen könne. —

Mit dieser trüben Perspective meinen Brief zu schließen, bringe ich nicht
übers Herz. Werfen wir denn, da die Kunst ja doch immer „heiter" ist,
noch einen kurzen Blick auf unsere Theaterwelt. In der Prosa des ernsten
Lebens habe ich lange nicht mehr die Muße zu loser Plauderei gefunden;
auch heute gestattet der Raum nur ein summarisches Verfahren. Da sind also
zunächst die königlichen Schauspiele. Die Oper hat uns vor einiger Zeit mit
einer Novität beschenkt. „Cesario" nennt sich dieselbe, das Libretto Shake¬
speare's „Was ihr wollt" entnommen, die Composition von unserm Capell-
meister Taubert. Ein kühnes Wagniß, eine der eigenartigsten Dichtungen
des großen Briten in Musik zu setzen. Die hochpoetische, zarte und duf¬
tige Seite des Werkes in Tönen wiederzugeben, mag verhältnißmäßig leicht
gelingen; eine arge Klippe aber sind die komischen Stellen und Charaktere.
Nicolai-in seinen „Luftiger Weibern" hat diese Klippe unter der Gunst der
Götter umschifft; die Muse Taubert's, sagen wir es offen, ist nicht so glück¬
lich gewesen. Die Scenen sprudelnden, übermüthigen Humors zwischen Junker
Tobias, Junker Christoph von Bleichenwang, Marie und Malvolio wider¬
streben prinzipiell dem ganzen Wesen der Taubert'schen Musik; sie sind außer¬
dem in übermäßiger Breite angelegt. Sonst aber fehlt es nicht an ergreifen¬
den Momenten; so besonders am Beginn des dritten Acts die Scene zwischen
dem Herzog und Viola. Die Finales sind getragen von glänzendem poly¬
phonem Schwung; das Ende des ersten Acts ist auch samisch sehr wirksam.
Der allgemeine Charakter der Musik ist derjenige aller Taubert'schen (Kompo¬
sitionen: correcte Harmonie, edler Stil, süßer Wohllaut — als Musik an
und für sich sehr achtungswerth, als dramatische Musik aber nicht haltbar.
Es fehlt ihr die Kraft der Charakteristik, das organische Verwachsensein mit
dem Stoffe. Als Operncomponist gehört Taubert einer Schule an, die nach
Wagner, mag man über diesen sonst denken wie man will, nicht mehr lebens¬
fähig ist.

Das Schauspielhaus brachte, neben einigen kleinen Novitäten, eine Komödie


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[0125] vorherzusehen. Berlin soll demnächst mit einer Reihe umliegender Ortschaften zu einer Provinz vereinigt und unter eine besondere Provinzialordnung gestellt werden. Was über den von der Regierung fertig gestellten Entwurf der letzteren verlautet hat, ließ vermuthen, daß die liberale Partei im Interesse einer ersprießlichen Selbstverwaltung manche Aenderungen werde verlangen müssen. Daß aber Borgänge, wie der vom letzten Donnerstag, dem Erfolge eines derartigen Verlangens direct entgegenarbeiten und die Position der libe¬ ralen Partei nur schwächen können, sollte auch dem blödesten Auge klar sein. In der That, der 7. Januar hat in weiten Kreisen die traurige Befürchtung erzeugt, daß in der deutschen Hauptstadt die Selbstverwaltung Bankerott machen könne. — Mit dieser trüben Perspective meinen Brief zu schließen, bringe ich nicht übers Herz. Werfen wir denn, da die Kunst ja doch immer „heiter" ist, noch einen kurzen Blick auf unsere Theaterwelt. In der Prosa des ernsten Lebens habe ich lange nicht mehr die Muße zu loser Plauderei gefunden; auch heute gestattet der Raum nur ein summarisches Verfahren. Da sind also zunächst die königlichen Schauspiele. Die Oper hat uns vor einiger Zeit mit einer Novität beschenkt. „Cesario" nennt sich dieselbe, das Libretto Shake¬ speare's „Was ihr wollt" entnommen, die Composition von unserm Capell- meister Taubert. Ein kühnes Wagniß, eine der eigenartigsten Dichtungen des großen Briten in Musik zu setzen. Die hochpoetische, zarte und duf¬ tige Seite des Werkes in Tönen wiederzugeben, mag verhältnißmäßig leicht gelingen; eine arge Klippe aber sind die komischen Stellen und Charaktere. Nicolai-in seinen „Luftiger Weibern" hat diese Klippe unter der Gunst der Götter umschifft; die Muse Taubert's, sagen wir es offen, ist nicht so glück¬ lich gewesen. Die Scenen sprudelnden, übermüthigen Humors zwischen Junker Tobias, Junker Christoph von Bleichenwang, Marie und Malvolio wider¬ streben prinzipiell dem ganzen Wesen der Taubert'schen Musik; sie sind außer¬ dem in übermäßiger Breite angelegt. Sonst aber fehlt es nicht an ergreifen¬ den Momenten; so besonders am Beginn des dritten Acts die Scene zwischen dem Herzog und Viola. Die Finales sind getragen von glänzendem poly¬ phonem Schwung; das Ende des ersten Acts ist auch samisch sehr wirksam. Der allgemeine Charakter der Musik ist derjenige aller Taubert'schen (Kompo¬ sitionen: correcte Harmonie, edler Stil, süßer Wohllaut — als Musik an und für sich sehr achtungswerth, als dramatische Musik aber nicht haltbar. Es fehlt ihr die Kraft der Charakteristik, das organische Verwachsensein mit dem Stoffe. Als Operncomponist gehört Taubert einer Schule an, die nach Wagner, mag man über diesen sonst denken wie man will, nicht mehr lebens¬ fähig ist. Das Schauspielhaus brachte, neben einigen kleinen Novitäten, eine Komödie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/125>, abgerufen am 23.07.2024.