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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Wahrung bleibt wahrscheinlich, daß, wenn der jetzige fortschrittliche Antrag,
der den Namen Hoffmann trägt, nicht auf irgend eine Weise geräuschlos be¬
graben "wird, derselbe eine Krisis der nationalliberalen Partei zur Folge hat.

Zum 16. Januar ist der preußische Landtag einberufen. Der Reichstag
wird an diesem Tage seine Arbeiten auf keinen Fall beendigt haben. Aber
die Einberufung des Landtags konnte nicht länger aufgeschoben werden, weil
die preußische Verfassung die alljährliche Einberufung zwischen Anfang No¬
vember und Mitte Januar verlangt. Der Landtag wird eine Anzahl Com¬
missionen wählen und alsdann bis zum Schlüsse des Reichstags nur eine
oder die andere Sitzung für formelle Geschäfte halten. So lassen sich die
Uebelstände des Nebeneinandertagens einigermaßen vermeiden, obwohl nicht
gänzlich. Denn die Landtagseommissionen, deren Mitglieder meistens auch
im Reichstage beschäftigt sind, werden zunächst nicht viel arbeiten, und der
Landtag wird unmittelbar nach dem Schluß des Reichstags von seinen wich¬
tigeren Geschäften noch keine vorbereitet finden. Die Folge wird sein, daß
die Landtagssession sich bis tief in den Sommer hinein erstreckt. Wenn da¬
mit bloß die angebliche Beschwerde für die Landtagsmitglieder verbunden wäre,
einen Theil der schönen Sommerszeit in Berlin fein zu müssen, so würde
uns dieses Unglück völlig ungerührt lassen. Es ist aber zuviel parlamentarische
Arbeit vom October bis zum Juni, also während dreier Viertheile des Jahres.

Zu viel für die Nation, welche diese Berathungen mit dieser Theilnahme
begleiten und für sich verarbeiten soll. Zu viel für die Regierungsmitglieder,
welche diese Arbeiten leiten, vorbereiten und mit, der Staatspraxis in Har¬
monie erhalten sollen, zu viel für die Parlamentarier, deren arbeitender Theil
dem preußischen Abgeordnetenhaus wie dem deutschen Reichstag angehört.
Wo ist der Sitz des Uebels? Man hat oft gesagt: in der unvermeidlichen
Arbeitsüberhäufung einer Regenerationsepoche. Man mag diesem Grund noch
so viel Achtung zollen, wie wir es entschieden thun, das Uebel könnte und
sollte besser in Schranken gehalten werden. Wenn wir uns zwar in einer
Regenerationsepoche befinden: die Arbeit brauchte nicht in dem Maße, wie
es geschieht, überstürzt zu werden. Dem jetzt zusammentretender Landtag soll
ziemlich der ganze Complex der Gesetze vorgelegt werden, welche die preußische
Verwaltungsreform einschließen. Ein großes und dringendes Unternehmen,
das aber gleichwohl, ohne den geringsten Schaden zu leiden, noch um eine
Session, und selbst um eine Legislaturperiode hätte verschoben werden dürfen.
Es giebt Gesetze, die sich durchaus nicht aufschieben lassen, weil durch ihre
Abwesenheit so zu sagen ein Leck im Schiff entsteht. Solcher Art ist das
Bankgesetz. Solcher Art ist aber mit Nichten die preußische Verwaltungsre¬
form. Hier handelt es sich um einen Bau, der ein gesundes Staatsleben
durch Jahrhunderte tragen soll, und dem nichts gefährlicher, als wenn er aus


Wahrung bleibt wahrscheinlich, daß, wenn der jetzige fortschrittliche Antrag,
der den Namen Hoffmann trägt, nicht auf irgend eine Weise geräuschlos be¬
graben "wird, derselbe eine Krisis der nationalliberalen Partei zur Folge hat.

Zum 16. Januar ist der preußische Landtag einberufen. Der Reichstag
wird an diesem Tage seine Arbeiten auf keinen Fall beendigt haben. Aber
die Einberufung des Landtags konnte nicht länger aufgeschoben werden, weil
die preußische Verfassung die alljährliche Einberufung zwischen Anfang No¬
vember und Mitte Januar verlangt. Der Landtag wird eine Anzahl Com¬
missionen wählen und alsdann bis zum Schlüsse des Reichstags nur eine
oder die andere Sitzung für formelle Geschäfte halten. So lassen sich die
Uebelstände des Nebeneinandertagens einigermaßen vermeiden, obwohl nicht
gänzlich. Denn die Landtagseommissionen, deren Mitglieder meistens auch
im Reichstage beschäftigt sind, werden zunächst nicht viel arbeiten, und der
Landtag wird unmittelbar nach dem Schluß des Reichstags von seinen wich¬
tigeren Geschäften noch keine vorbereitet finden. Die Folge wird sein, daß
die Landtagssession sich bis tief in den Sommer hinein erstreckt. Wenn da¬
mit bloß die angebliche Beschwerde für die Landtagsmitglieder verbunden wäre,
einen Theil der schönen Sommerszeit in Berlin fein zu müssen, so würde
uns dieses Unglück völlig ungerührt lassen. Es ist aber zuviel parlamentarische
Arbeit vom October bis zum Juni, also während dreier Viertheile des Jahres.

Zu viel für die Nation, welche diese Berathungen mit dieser Theilnahme
begleiten und für sich verarbeiten soll. Zu viel für die Regierungsmitglieder,
welche diese Arbeiten leiten, vorbereiten und mit, der Staatspraxis in Har¬
monie erhalten sollen, zu viel für die Parlamentarier, deren arbeitender Theil
dem preußischen Abgeordnetenhaus wie dem deutschen Reichstag angehört.
Wo ist der Sitz des Uebels? Man hat oft gesagt: in der unvermeidlichen
Arbeitsüberhäufung einer Regenerationsepoche. Man mag diesem Grund noch
so viel Achtung zollen, wie wir es entschieden thun, das Uebel könnte und
sollte besser in Schranken gehalten werden. Wenn wir uns zwar in einer
Regenerationsepoche befinden: die Arbeit brauchte nicht in dem Maße, wie
es geschieht, überstürzt zu werden. Dem jetzt zusammentretender Landtag soll
ziemlich der ganze Complex der Gesetze vorgelegt werden, welche die preußische
Verwaltungsreform einschließen. Ein großes und dringendes Unternehmen,
das aber gleichwohl, ohne den geringsten Schaden zu leiden, noch um eine
Session, und selbst um eine Legislaturperiode hätte verschoben werden dürfen.
Es giebt Gesetze, die sich durchaus nicht aufschieben lassen, weil durch ihre
Abwesenheit so zu sagen ein Leck im Schiff entsteht. Solcher Art ist das
Bankgesetz. Solcher Art ist aber mit Nichten die preußische Verwaltungsre¬
form. Hier handelt es sich um einen Bau, der ein gesundes Staatsleben
durch Jahrhunderte tragen soll, und dem nichts gefährlicher, als wenn er aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/120>, abgerufen am 23.07.2024.