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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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etwa stündlich eine Fahrgelegenheit sich mir darbietet, so bin ich viel zu sehr
an bestimmte Zeiten gebunden, um mit Ruhe und Vortheil meinen Wohnsitz
nach außerhalb verlegen zu können. Die Stadtbahnen haben zwar aus einer
ganzen Reihe von Städten, Städtchen und Landhauscolonien erst ein großes
Ganzes geschaffen, aber andererseits auch wieder so decentralisirend gewirkt,
daß man kaum mehr von einer Stadt reden kann und dadurch, daß die Be¬
völkerung jetzt schon viel weniger dicht ist, wie bei irgend einer andern Gro߬
stadt, und die Dichtigkeit noch stetig abnimmt, außerordentlich wohlthätig
gewirkt.

Wenn auch viele Einrichtungen der Londoner Bahnen nicht schön und
bequem sind, wenn auch in der Regel für das Publikum und dessen möglichste
Bequemlichkeit in Deutschland viel mehr gethan wird, - was freilich auch
nur durch ein ziemlich entwickeltes Bevormundungssystem erreicht werden kann
-- so sind doch sicherlich alle jene Einrichtungen aus speziellen Lokal-Bedürf-
nissen als nothwendig oder wünschenswert!) hervorgegangen -und sind daher
unter ähnlichen Verhältnissen auch gewiß nachcihmenswerth. Es gilt dies
vor allen Dingen auch von der überall so scharf durchgeführten Perronab¬
sperrung, welche ja auch in Deutschland eingeführt werden soll, gegen die sich
aber das Publikum eigenthümlicherweise Weise ganz gegen sein Interesse
sträubt. Wer nicht mitreisen will, hat auch nichts auf dem Perron zu suchen,
und alle die vielen Abschiednehmenden stören nur, ohne irgend welchen
Nutzen zu bringen, häufig aber führen sie Gefahren herbei. Sentimentalität
ist hier weniger am Platze wie irgend sonst wo.

Eine andere sehr löbliche Einrichtung ist die scharfe Trennung des Local-
verkehrs vom großen Verkehr der Hauptbahnen, die besonders in der neuesten
Endstation der Great Eastern Bahn mit äusterster Consequenz durchgeführt
ist und den erster" vollständig als Omnibusverkehr behandelt, d. h. auf eine
bequeme, per Droschke zu ermöglichende Verbindung zwischen Zug und Straße
verzichtet und dafür sorgt, daß der zu Fuß zurückzulegende Weg ein möglichst
kurzer und geradliniger sei, während die Vermittlung zwischen dem Verkehre
der Hauptbahn und dem der Straße auf folgende sehr vollkommene Weise
erfolgt. Man kann mit dem Straßenfuhrwerk bis unmittelbar vor die Billet¬
schalter fahren, so daß man trockenen Fußes dahin gelangt -- soweit stimmt
die Verbindung mit deutschen Einrichtungen überein -- und man kann ebenso,
aus dem Zuge aussteigend, gleich vom Perron aus in eine Droschke steigen,
deren Haidestraße stets innerhalb der großmächtigen Bahnhofshallen zwischen
den Ankunftsgleisen angebracht sind, und von da abfahren, ohne sich erst eine
Marke geben lassen und auf einem oft weit entfernten Droschkenhalteplatz
in Regen, Sturm und Schnee sich'erst seine bestimmte Droschke aussuchen zu
müssen. Gewiß ist die in Deutschland eingeführte Markencontrvle eine wehend-


etwa stündlich eine Fahrgelegenheit sich mir darbietet, so bin ich viel zu sehr
an bestimmte Zeiten gebunden, um mit Ruhe und Vortheil meinen Wohnsitz
nach außerhalb verlegen zu können. Die Stadtbahnen haben zwar aus einer
ganzen Reihe von Städten, Städtchen und Landhauscolonien erst ein großes
Ganzes geschaffen, aber andererseits auch wieder so decentralisirend gewirkt,
daß man kaum mehr von einer Stadt reden kann und dadurch, daß die Be¬
völkerung jetzt schon viel weniger dicht ist, wie bei irgend einer andern Gro߬
stadt, und die Dichtigkeit noch stetig abnimmt, außerordentlich wohlthätig
gewirkt.

Wenn auch viele Einrichtungen der Londoner Bahnen nicht schön und
bequem sind, wenn auch in der Regel für das Publikum und dessen möglichste
Bequemlichkeit in Deutschland viel mehr gethan wird, - was freilich auch
nur durch ein ziemlich entwickeltes Bevormundungssystem erreicht werden kann
— so sind doch sicherlich alle jene Einrichtungen aus speziellen Lokal-Bedürf-
nissen als nothwendig oder wünschenswert!) hervorgegangen -und sind daher
unter ähnlichen Verhältnissen auch gewiß nachcihmenswerth. Es gilt dies
vor allen Dingen auch von der überall so scharf durchgeführten Perronab¬
sperrung, welche ja auch in Deutschland eingeführt werden soll, gegen die sich
aber das Publikum eigenthümlicherweise Weise ganz gegen sein Interesse
sträubt. Wer nicht mitreisen will, hat auch nichts auf dem Perron zu suchen,
und alle die vielen Abschiednehmenden stören nur, ohne irgend welchen
Nutzen zu bringen, häufig aber führen sie Gefahren herbei. Sentimentalität
ist hier weniger am Platze wie irgend sonst wo.

Eine andere sehr löbliche Einrichtung ist die scharfe Trennung des Local-
verkehrs vom großen Verkehr der Hauptbahnen, die besonders in der neuesten
Endstation der Great Eastern Bahn mit äusterster Consequenz durchgeführt
ist und den erster» vollständig als Omnibusverkehr behandelt, d. h. auf eine
bequeme, per Droschke zu ermöglichende Verbindung zwischen Zug und Straße
verzichtet und dafür sorgt, daß der zu Fuß zurückzulegende Weg ein möglichst
kurzer und geradliniger sei, während die Vermittlung zwischen dem Verkehre
der Hauptbahn und dem der Straße auf folgende sehr vollkommene Weise
erfolgt. Man kann mit dem Straßenfuhrwerk bis unmittelbar vor die Billet¬
schalter fahren, so daß man trockenen Fußes dahin gelangt — soweit stimmt
die Verbindung mit deutschen Einrichtungen überein — und man kann ebenso,
aus dem Zuge aussteigend, gleich vom Perron aus in eine Droschke steigen,
deren Haidestraße stets innerhalb der großmächtigen Bahnhofshallen zwischen
den Ankunftsgleisen angebracht sind, und von da abfahren, ohne sich erst eine
Marke geben lassen und auf einem oft weit entfernten Droschkenhalteplatz
in Regen, Sturm und Schnee sich'erst seine bestimmte Droschke aussuchen zu
müssen. Gewiß ist die in Deutschland eingeführte Markencontrvle eine wehend-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/116>, abgerufen am 23.07.2024.