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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Tagen noch hat die Zurückziehung der Budgetposition für einen deutschen
Gesandten beim päpstlichen Stuhl aller Welt gezeigt, wie weit die Feindselig¬
keit auf römischer, die Erkenntniß und Energie auf deutscher Seite gediehen
sind. Und wie erfolgreich Regierung und Volk in Spanien, in Italien, in
England und Rußland für die deutsche Politik gewonnen wurde, dafür liegen
von allen Seiten unvergessene öffentliche Zeugnisse und Kundgebungen vor.
So ist es gelungen, die römischen Kriegsknechte in Deutschland durchaus auf
sich selbst zu stellen. Selbst die Fühlung mit dem Oberbefehlshaber in Rom
beginnt mitunter den deutschen Führern der Schwarzen zu fehlen.

Auch die Erfolge der parlamentarischen Arbeit dieses Jahres erachten
wir keineswegs von geringer Bedeutung für die Entscheidung des großen
Kulturkampfes. Schon die Resultate der Reichstagswahlen im Vorfrühjahr
gaben der Entwickelung des deutschen Parteilebens einen sehr energischen An¬
stoß. Das Anwachsen der Socialdemokraten, die erstaunliche Zunahme des
schwarzen Centrums im Reichstage legte den Patrioten in den von den Reichs-
feinden zumeist bedrohten Landestheilen: in den Rheinlanden, in Westphalen,
in Schlesien, in Baiern, in Sachsen die dringende Verpflichtung auf, alle
kleinen trennenden Fractionsunterschiede der reichstreuen Männer bei Seite
zu setzen, und, gewitzigt durch das einmüthige Zusammenhalten der Reichs¬
feinde, diesen bei jeder Aeußerung des politischen Lebens die geschlossene
Phalanx der Reichsfreunde gegenüberzustellen. Aus diesem löblichen Streben
ist überall in den genannten Districten des deutschen Reiches die Bil¬
dung von "Reichsvereinen" hervorgegangen, die zum Theil schon erhebliche
Leistungen auszuweisen haben und sich überall der Förderung und der Aner¬
kennung der Regierung erfreuen, mit Ausnahme des Königreiches Sachsen,
wo die Regierung sich öffentlich gegen den Reichsverein erklärte und ihm die
nachgesuchte Ertheilung von Corporationsrechten verweigerte, weil sie sich selbst
außer Stande erklärte, reichstreue Vereinigungen von reichsseindlichen zu un¬
terscheiden.

Von der größten Bedeutung waren die Arbeiten des deutschen Reichstags
selbst. Im Frühjahr schon setzten die reichsfeindlichen Parteien und der doc-
trinäre Radicalismus alle Kraft daran, das deutsche Militatrgesetz zu Fall zu
bringen. Die absolute Sicherstellung der deutschen Heeresbedürfnisse auf sieben
Jahre ging aus diesen lebhaften Kämpfen hervor; und nicht am wenigsten
ist dieser rühmliche Beschluß des Reichstags zu danken dem einmüthigen pa¬
triotischen Drängen des ganzen deutschen Volkes, das in taufenden von
Adressen, Petitionen und Briefen damals die Vertreter des Volkes anging,
eine Schwächung der deutschen Wehrkraft unter keinen Umständen zu dulden.
Einen andern sehr erfreulichen Act der Gesetzgebung brachte der deutsche Reichs¬
tag gleichfalls noch im Frühjahr zum Abschluß: das deutsche Preßgesetz, un-


Tagen noch hat die Zurückziehung der Budgetposition für einen deutschen
Gesandten beim päpstlichen Stuhl aller Welt gezeigt, wie weit die Feindselig¬
keit auf römischer, die Erkenntniß und Energie auf deutscher Seite gediehen
sind. Und wie erfolgreich Regierung und Volk in Spanien, in Italien, in
England und Rußland für die deutsche Politik gewonnen wurde, dafür liegen
von allen Seiten unvergessene öffentliche Zeugnisse und Kundgebungen vor.
So ist es gelungen, die römischen Kriegsknechte in Deutschland durchaus auf
sich selbst zu stellen. Selbst die Fühlung mit dem Oberbefehlshaber in Rom
beginnt mitunter den deutschen Führern der Schwarzen zu fehlen.

Auch die Erfolge der parlamentarischen Arbeit dieses Jahres erachten
wir keineswegs von geringer Bedeutung für die Entscheidung des großen
Kulturkampfes. Schon die Resultate der Reichstagswahlen im Vorfrühjahr
gaben der Entwickelung des deutschen Parteilebens einen sehr energischen An¬
stoß. Das Anwachsen der Socialdemokraten, die erstaunliche Zunahme des
schwarzen Centrums im Reichstage legte den Patrioten in den von den Reichs-
feinden zumeist bedrohten Landestheilen: in den Rheinlanden, in Westphalen,
in Schlesien, in Baiern, in Sachsen die dringende Verpflichtung auf, alle
kleinen trennenden Fractionsunterschiede der reichstreuen Männer bei Seite
zu setzen, und, gewitzigt durch das einmüthige Zusammenhalten der Reichs¬
feinde, diesen bei jeder Aeußerung des politischen Lebens die geschlossene
Phalanx der Reichsfreunde gegenüberzustellen. Aus diesem löblichen Streben
ist überall in den genannten Districten des deutschen Reiches die Bil¬
dung von „Reichsvereinen" hervorgegangen, die zum Theil schon erhebliche
Leistungen auszuweisen haben und sich überall der Förderung und der Aner¬
kennung der Regierung erfreuen, mit Ausnahme des Königreiches Sachsen,
wo die Regierung sich öffentlich gegen den Reichsverein erklärte und ihm die
nachgesuchte Ertheilung von Corporationsrechten verweigerte, weil sie sich selbst
außer Stande erklärte, reichstreue Vereinigungen von reichsseindlichen zu un¬
terscheiden.

Von der größten Bedeutung waren die Arbeiten des deutschen Reichstags
selbst. Im Frühjahr schon setzten die reichsfeindlichen Parteien und der doc-
trinäre Radicalismus alle Kraft daran, das deutsche Militatrgesetz zu Fall zu
bringen. Die absolute Sicherstellung der deutschen Heeresbedürfnisse auf sieben
Jahre ging aus diesen lebhaften Kämpfen hervor; und nicht am wenigsten
ist dieser rühmliche Beschluß des Reichstags zu danken dem einmüthigen pa¬
triotischen Drängen des ganzen deutschen Volkes, das in taufenden von
Adressen, Petitionen und Briefen damals die Vertreter des Volkes anging,
eine Schwächung der deutschen Wehrkraft unter keinen Umständen zu dulden.
Einen andern sehr erfreulichen Act der Gesetzgebung brachte der deutsche Reichs¬
tag gleichfalls noch im Frühjahr zum Abschluß: das deutsche Preßgesetz, un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/11>, abgerufen am 01.10.2024.