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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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welcher Erfahrung zu gelangen, gerade wie mit Raum und Zeit, so auch mit
ihr operiren. Festgeschlossen ist die Kette von Ursachen und Wirkungen, nicht
ein Glied kann ohne das andere herausgenommen werden, gerade so wenig
wie der geringste Theil von Raum oder Zeit aus dem Continuum für sich
herausgeschnitten werden kann. Bon Ursache wird man bei der Forschung
zu Ursache getrieben, und es ist die Kette ganz ebenso unendlich wie Raum
und Zeit, und ein Aufgeben geradezu des Gesetzes ist es, wenn man ein erstes
Glied der Reihe annimmt. Ein Bedürfniß des Menschen mag dazu nöthigen,
das Gesetz selbst schließt den Anfang aus.

Wird dies Gesetz der causas czfüeisntes als das weltbewegende ange¬
nommen, so haben wir den Mechanismus, wie er sich ausgebildet hat in der
antiken atomistischen Lehre, in dem Materialismus der neueren Zeit, aber
auch mit bestimmtem Ausdruck in der Physik des Begründers der neuen
dogmatischen Philosophie, des Descartes, und besonders bei dessen großem
Nachfolger, Spinoza. Aus der Lehre des letzteren lernen wir, daß mit ^dem
Mechanismus nicht nothwendig verbunden ist der Materialismus. Denn so
häufig Spinoza auch zu den Materialisten gezählt wird, er darf doch nicht
als solcher bezeichnet werden; man müßte denn unter Materialismus ver¬
stehen die Anerkennung der ausnahmslosen Causalität. Dann würden aber
viele Andere, die bisher nicht zu den Materialisten gerechnet wurden, sich
diesen Namen gefallen lassen müssen.

Blutend ist das Gesetz der Causalität in allen Fällen, so daß man sich
nicht von ihm lösen kann. Ob es aber auch ausreicht zur Erklärung von
Allem, was in der Erfahrung ausstößt? Die rein wirkenden Ursachen scheinen
blind, es kann zu dem Einen das Andere nicht passend vorhergeformt werden
durch das blinde Aufeinanderfolgen von Ursache und Wirkung, und doch ist
eine Harmonie in dem Ganzen der Welt trotz der mannigfachen Dissonanzen
nicht in Abrede zu stellen. Es besteht eine Harmonie zwischen den einzelnen
Objecten im ganzen und großen Weltenraum und auch auf unserer Erde; es
besteht eine Harmonie zwischen den einzelnen Theilen der Organismen, indem
sich Eins zum Andern fügt, Eins das Andere stützt und fördert, so daß Keins
ohne das Andere sich denken läßt; es besteht aber ganz besonders eine Har¬
monie zwischen dem Object und dem Subject, so daß eine Empfindung, An¬
schauung. Erfahrung zu Stande gebracht wird. Ohne genügende und wirkende
Ursachen kann man sich nichts von dem allem entstanden denken; aber reichen
diese hin um die Wirkung, wie sie vorliegt, ganz zu erklären? Es findet sich
im Cicero die sehr bemerkenswerthe Stelle:

"Wer meint, daß die Welt nur durch zufällige Zusammenfügung von
Atomen entstanden ist, der kann auch glauben, daß wenn unzählige Formen
von Buchstaben unter einander geworfen würden, die Annalen des Ennius


welcher Erfahrung zu gelangen, gerade wie mit Raum und Zeit, so auch mit
ihr operiren. Festgeschlossen ist die Kette von Ursachen und Wirkungen, nicht
ein Glied kann ohne das andere herausgenommen werden, gerade so wenig
wie der geringste Theil von Raum oder Zeit aus dem Continuum für sich
herausgeschnitten werden kann. Bon Ursache wird man bei der Forschung
zu Ursache getrieben, und es ist die Kette ganz ebenso unendlich wie Raum
und Zeit, und ein Aufgeben geradezu des Gesetzes ist es, wenn man ein erstes
Glied der Reihe annimmt. Ein Bedürfniß des Menschen mag dazu nöthigen,
das Gesetz selbst schließt den Anfang aus.

Wird dies Gesetz der causas czfüeisntes als das weltbewegende ange¬
nommen, so haben wir den Mechanismus, wie er sich ausgebildet hat in der
antiken atomistischen Lehre, in dem Materialismus der neueren Zeit, aber
auch mit bestimmtem Ausdruck in der Physik des Begründers der neuen
dogmatischen Philosophie, des Descartes, und besonders bei dessen großem
Nachfolger, Spinoza. Aus der Lehre des letzteren lernen wir, daß mit ^dem
Mechanismus nicht nothwendig verbunden ist der Materialismus. Denn so
häufig Spinoza auch zu den Materialisten gezählt wird, er darf doch nicht
als solcher bezeichnet werden; man müßte denn unter Materialismus ver¬
stehen die Anerkennung der ausnahmslosen Causalität. Dann würden aber
viele Andere, die bisher nicht zu den Materialisten gerechnet wurden, sich
diesen Namen gefallen lassen müssen.

Blutend ist das Gesetz der Causalität in allen Fällen, so daß man sich
nicht von ihm lösen kann. Ob es aber auch ausreicht zur Erklärung von
Allem, was in der Erfahrung ausstößt? Die rein wirkenden Ursachen scheinen
blind, es kann zu dem Einen das Andere nicht passend vorhergeformt werden
durch das blinde Aufeinanderfolgen von Ursache und Wirkung, und doch ist
eine Harmonie in dem Ganzen der Welt trotz der mannigfachen Dissonanzen
nicht in Abrede zu stellen. Es besteht eine Harmonie zwischen den einzelnen
Objecten im ganzen und großen Weltenraum und auch auf unserer Erde; es
besteht eine Harmonie zwischen den einzelnen Theilen der Organismen, indem
sich Eins zum Andern fügt, Eins das Andere stützt und fördert, so daß Keins
ohne das Andere sich denken läßt; es besteht aber ganz besonders eine Har¬
monie zwischen dem Object und dem Subject, so daß eine Empfindung, An¬
schauung. Erfahrung zu Stande gebracht wird. Ohne genügende und wirkende
Ursachen kann man sich nichts von dem allem entstanden denken; aber reichen
diese hin um die Wirkung, wie sie vorliegt, ganz zu erklären? Es findet sich
im Cicero die sehr bemerkenswerthe Stelle:

„Wer meint, daß die Welt nur durch zufällige Zusammenfügung von
Atomen entstanden ist, der kann auch glauben, daß wenn unzählige Formen
von Buchstaben unter einander geworfen würden, die Annalen des Ennius


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/86>, abgerufen am 27.07.2024.