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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Jugenderinnerungen Karl' Irieorich's v. Kloben.*)

Unter diesem Titel giebt eine umfangreiche Selbstbiographie des bekannten
Gelehrten und Erziehungs-Direktors Klöden neben dem sehr interessanten
Lebensgang zugleick ein Kulturbild, das wohl fast einzig in seiner Art dasteht,
denn es beleuchtet uns eine Stufe der socialen Gesellschaft, die sich zu seiner
Zeit jeder anderen Schilderung entzog.'

Wir werden in die letzten Regierungsjahre Friednchs des Großen ein¬
geführt. Die glänzenden Waffenthaten des siebenjährigen Krieges haben
Preußen zu einer gefürchteten Macht erhoben, des Königs große Theilnahme
ein philosophischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen hat dem
jungen Reich neben dem Kriegsruhm auch ein weites Feld geistigen Wachs¬
thums, das Wirken großer und bedeutender Gelehrten und Philosophen
erschaffen. Aber auf diesem glänzenden Hintergrund entrollt sich ein Bild
des niederen, Schwergedrückten Soldaten- und Kasernenlebens, ein Elend des
unteren Beamtenthums, wie es erschütternder kaum gedacht werden kann.
Der einzige Sohn eines alten, preußischen, einst reich begüterten Adels¬
geschlechtes lebt als Unteroffizier mit Frau und Kind in der Kaserne. Zu
der Sorge um die dürftigste Existenz gesellen sich täglich die abschreckenden
Eindrücke der harten Disciplinarstrafen, durch welch letztere das buntzusammen¬
gewürfelte Heer in Zucht gehalten werden soll.

Bis zu welch verzweifelten Schritten die rohen Soldaten sich oft reißen
"eßen, davon erzählt Klöden ein entsetzliches Beispiel: "Ich war zwei Jahre
"le; meine Mutter trug mich noch auf dem Arm und ging mit mir vom
Borgen-Kirchhof durch den Gang am Hospitale nach der Landsbergerstraße.
Kaum tritt sie aus dem Gang heraus, so entdeckt sie. nicht 30 Schritte von
^es entfernt, einen Soldaten mit einem langen Messer in der Hand, dessen
furchtbar verstörtes Ansehen die heftigste Exaltation verräth. Die Straße ist
"uf größere Entfernung menschenleer, ringsum aber liegen die Bewohner
Angstvoll in den Fenstern. Meine Mutter überblickt im Momente den Stand
^er Dinge; aus den Fenstern ruft man ihr zu: "Retten Sie sich, retten
Sie sich und das Kind." Umkehren konnte sie nicht, ohne den Menschen
^meer sich herzuziehen; ängstlich wagte sie es. an den Häusern herzuschleichen,
"ut flüchtete sich dann in die nächste, offene Hausthüre. Der Kerl hatte sie
^ohl gesehen, aber nicht verfolgt. Sie wurde mit einer Art von Jubel
Abfangen und erfuhr, daß der Mensch schon seit einer Viertelstunde in der
^abe auf entsetzliche Art geflucht, getobt und sein Messer auf den Steinstufen



*) Herausgegeben und durch einen Umriß seines Wciterlebens vervollständigt von Max
usus. Leipzig. Verlag von F. W, Grunow.
Jugenderinnerungen Karl' Irieorich's v. Kloben.*)

Unter diesem Titel giebt eine umfangreiche Selbstbiographie des bekannten
Gelehrten und Erziehungs-Direktors Klöden neben dem sehr interessanten
Lebensgang zugleick ein Kulturbild, das wohl fast einzig in seiner Art dasteht,
denn es beleuchtet uns eine Stufe der socialen Gesellschaft, die sich zu seiner
Zeit jeder anderen Schilderung entzog.'

Wir werden in die letzten Regierungsjahre Friednchs des Großen ein¬
geführt. Die glänzenden Waffenthaten des siebenjährigen Krieges haben
Preußen zu einer gefürchteten Macht erhoben, des Königs große Theilnahme
ein philosophischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen hat dem
jungen Reich neben dem Kriegsruhm auch ein weites Feld geistigen Wachs¬
thums, das Wirken großer und bedeutender Gelehrten und Philosophen
erschaffen. Aber auf diesem glänzenden Hintergrund entrollt sich ein Bild
des niederen, Schwergedrückten Soldaten- und Kasernenlebens, ein Elend des
unteren Beamtenthums, wie es erschütternder kaum gedacht werden kann.
Der einzige Sohn eines alten, preußischen, einst reich begüterten Adels¬
geschlechtes lebt als Unteroffizier mit Frau und Kind in der Kaserne. Zu
der Sorge um die dürftigste Existenz gesellen sich täglich die abschreckenden
Eindrücke der harten Disciplinarstrafen, durch welch letztere das buntzusammen¬
gewürfelte Heer in Zucht gehalten werden soll.

Bis zu welch verzweifelten Schritten die rohen Soldaten sich oft reißen
"eßen, davon erzählt Klöden ein entsetzliches Beispiel: „Ich war zwei Jahre
"le; meine Mutter trug mich noch auf dem Arm und ging mit mir vom
Borgen-Kirchhof durch den Gang am Hospitale nach der Landsbergerstraße.
Kaum tritt sie aus dem Gang heraus, so entdeckt sie. nicht 30 Schritte von
^es entfernt, einen Soldaten mit einem langen Messer in der Hand, dessen
furchtbar verstörtes Ansehen die heftigste Exaltation verräth. Die Straße ist
"uf größere Entfernung menschenleer, ringsum aber liegen die Bewohner
Angstvoll in den Fenstern. Meine Mutter überblickt im Momente den Stand
^er Dinge; aus den Fenstern ruft man ihr zu: „Retten Sie sich, retten
Sie sich und das Kind." Umkehren konnte sie nicht, ohne den Menschen
^meer sich herzuziehen; ängstlich wagte sie es. an den Häusern herzuschleichen,
"ut flüchtete sich dann in die nächste, offene Hausthüre. Der Kerl hatte sie
^ohl gesehen, aber nicht verfolgt. Sie wurde mit einer Art von Jubel
Abfangen und erfuhr, daß der Mensch schon seit einer Viertelstunde in der
^abe auf entsetzliche Art geflucht, getobt und sein Messer auf den Steinstufen



*) Herausgegeben und durch einen Umriß seines Wciterlebens vervollständigt von Max
usus. Leipzig. Verlag von F. W, Grunow.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/55>, abgerufen am 27.07.2024.