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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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eigene Kraft in der Beurtheilung der ihm zugeeigneten Objecte erproben, die
historischen, ästhetischen, moralischen Bestandtheile des Wissens reproduziren.
Es war dies eine Gelegenheit, in hervorragender Weise, positiv und negativ,
die sich bildende Gesammtanschauung des Schülers zu reguliren. Aber wie
soll dies möglich sein ohne die religiös-ethische Einheit der Schule! Wenn
wir endlich das Directorium und die Klassen - Ordinariate als Träger der
confessionellen Bestimmtheit betrachten, so geschieht es, weil wir die Schule
nicht blos als ein Lehr- sondern auch als ein Erziehungsinstitut gesehen. Und
wem Erziehung etwas anderes ist als Dressur, der wird sich nicht dem Zu-
geständniß entziehen können, daß die confessionelle Bestimmtheit auch in die
Ethik hineinragt. Protestantismus und Katholicismus, Christenthum und
Judenthum sind nicht nur dogmatisch, sondern auch ethisch different. Wir
halten deßhalb an der Forderung der confessionellen Schule fest, tragen aber
kein Bedenken gegen die Bildung von Simultanschulen. Sind die von uns
ausgesprochenen Forderungen befriedigt, so braucht der Unterricht in der Phi¬
lologie. Mathematik, der Naturwissenschaften nicht an die confessionelle Be¬
stimmtheit der Lehrer gebunden zu werden. Auf diese Weise wird das In-
teresse des Staates, welches nicht auf die Jndifferenzirung. sondern auf die
Milderung der confessionellen Gegensätze gerichtet sein kann. Befriedigung finden.

Auch in anderer Hinsicht müssen wir diesen Abschnitt in Anspruch neh¬
men. Er zeugt nämlich wieder von der unzureichenden religious-philosophischen
Durchbildung des Verfassers. Oder können wir anders die Meinung beur¬
theilen. daß der Einfluß der Religion, als einer das Leben umfassenden und
erhebenden Gemüthskraft abnehme, je mehr der Verstand dem wissenschaftli¬
chen Stoffe zugänglich werde und sich denselben aneigne? Wer ein solches
Urtheil zu fällen vermag, weiß allerdings nicht, was Religion ist.

Was den Abschnitt von Klöstern, geistlichen Orden und Congregationen
betrifft, so machen wir nur auf eine geschichtliche Unrichtigkeit aufmerksam-
Das Klosterwesen des Abendlandes ist nicht im ersten Jahrhundert durch
Einführung einer geregelten Lebensweise geordnet worden, sondern vielmehr
im sechsten Jahrhundert. Die maßgebende Mönchsregel des Benedictus von
Nursia stammt aus dem Jahre 529.

Indem wir unser Referat schließen, müssen wir von neuem unser Be¬
dauern darüber aussprechen, daß die Schrift des Verfassers den Werth, der
ihr mit Rücksicht auf das sich in ihr bezeugende objective, unbefangene und
meist richtige Urtheil zuerkannt werden muH. durch einen auffälligen Man¬
gel auf dem Gebiet religious-philosophischer Begründung wesentlich verringert.
Zu einer systematischen Bearbeitung der Religionspolitik fehlen dem Ver¬
fasser die nothwendigen Voraussetzungen.


H. Jacoby.


eigene Kraft in der Beurtheilung der ihm zugeeigneten Objecte erproben, die
historischen, ästhetischen, moralischen Bestandtheile des Wissens reproduziren.
Es war dies eine Gelegenheit, in hervorragender Weise, positiv und negativ,
die sich bildende Gesammtanschauung des Schülers zu reguliren. Aber wie
soll dies möglich sein ohne die religiös-ethische Einheit der Schule! Wenn
wir endlich das Directorium und die Klassen - Ordinariate als Träger der
confessionellen Bestimmtheit betrachten, so geschieht es, weil wir die Schule
nicht blos als ein Lehr- sondern auch als ein Erziehungsinstitut gesehen. Und
wem Erziehung etwas anderes ist als Dressur, der wird sich nicht dem Zu-
geständniß entziehen können, daß die confessionelle Bestimmtheit auch in die
Ethik hineinragt. Protestantismus und Katholicismus, Christenthum und
Judenthum sind nicht nur dogmatisch, sondern auch ethisch different. Wir
halten deßhalb an der Forderung der confessionellen Schule fest, tragen aber
kein Bedenken gegen die Bildung von Simultanschulen. Sind die von uns
ausgesprochenen Forderungen befriedigt, so braucht der Unterricht in der Phi¬
lologie. Mathematik, der Naturwissenschaften nicht an die confessionelle Be¬
stimmtheit der Lehrer gebunden zu werden. Auf diese Weise wird das In-
teresse des Staates, welches nicht auf die Jndifferenzirung. sondern auf die
Milderung der confessionellen Gegensätze gerichtet sein kann. Befriedigung finden.

Auch in anderer Hinsicht müssen wir diesen Abschnitt in Anspruch neh¬
men. Er zeugt nämlich wieder von der unzureichenden religious-philosophischen
Durchbildung des Verfassers. Oder können wir anders die Meinung beur¬
theilen. daß der Einfluß der Religion, als einer das Leben umfassenden und
erhebenden Gemüthskraft abnehme, je mehr der Verstand dem wissenschaftli¬
chen Stoffe zugänglich werde und sich denselben aneigne? Wer ein solches
Urtheil zu fällen vermag, weiß allerdings nicht, was Religion ist.

Was den Abschnitt von Klöstern, geistlichen Orden und Congregationen
betrifft, so machen wir nur auf eine geschichtliche Unrichtigkeit aufmerksam-
Das Klosterwesen des Abendlandes ist nicht im ersten Jahrhundert durch
Einführung einer geregelten Lebensweise geordnet worden, sondern vielmehr
im sechsten Jahrhundert. Die maßgebende Mönchsregel des Benedictus von
Nursia stammt aus dem Jahre 529.

Indem wir unser Referat schließen, müssen wir von neuem unser Be¬
dauern darüber aussprechen, daß die Schrift des Verfassers den Werth, der
ihr mit Rücksicht auf das sich in ihr bezeugende objective, unbefangene und
meist richtige Urtheil zuerkannt werden muH. durch einen auffälligen Man¬
gel auf dem Gebiet religious-philosophischer Begründung wesentlich verringert.
Zu einer systematischen Bearbeitung der Religionspolitik fehlen dem Ver¬
fasser die nothwendigen Voraussetzungen.


H. Jacoby.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/54>, abgerufen am 27.07.2024.