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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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schlugen den Verlust für den Augenblick doch höher an. Das macht ihrer
Einsicht immerhin Ehre. Das Vertrauensvotum kommt ihnen aber doch
nachträglich sauer an. Es ist doch zu wenig fortschrittlich. Die Partei läßt
daher nachträglich erklären, sie habe kein Vertrauensvotum geben wollen,
sondern die geheimen Ausgaben des Auswärtigen Amtes seien nach ihrer
"Tradition" ein überall nothwendiger Posten. Wir wollen diese "Tradition"
einer historischen Kritik nicht unterziehen. Genug, daß die Fortschrittspartei
sich gegen das Vertrauensvotum für den Reichskanzler verwahrt. Man sollte
fast denken, die Herren glauben die Zeit nicht so fern, wo ihnen die Geschäfte
zufallen, und machen darum den Anfang mit der Anerkennung gouvernemen-
taler Traditionen.

Uns ist bei diesen Aeußerungen sehr wenig scherzhaft zu Muthe. Welches
ist unsere Lage? Der Kanzler hatte am 16. Dezember sein Demisstonsgesuch
eingereicht, der Kaiser aber es nicht angenommen. Nachdem der Reichstag
die Gelegenheit rasch benutzt hat, den Eindruck des Votums vom 16. Dezember
auszulöschen, hat der Kanzler zunächst äußerlich keinen Grund, auf seiner
Demission zu beharren. Alle Welt aber sagt sich, daß er Grund haben muß,
mit seiner Stellung nicht zufrieden zu sein, und zerbricht sich über diesen
Grund den Kopf. Wir wissen nicht mehr als alle Welt, aber eine Ver¬
muthung liegt nahe genug, und wenn man recht überlegt, eigentlich nur
diese Eine. Es ist kein Geheimniß, daß eine Partei, die in die höchsten
Kreise dringt, unermüdlich daran arbeitet, die Ueberzeugung zu befestigen, daß
der vom Kanzler geführte Kampf mit Rom ebenso unnöthig als gefährlich
sei. Man bietet einen Frieden an, der äußerlich das Ansehen des Staates
nicht beeinträchtigen würde. Fürst Bismarck aber, der, wie die nun ver¬
öffentlichten geheimen Dokumente beweisen, so eifrig den Frieden mit Frank¬
reich will, kann den Frieden mit Rom nicht wollen, weil er Rom nicht als
kriegführende Macht anerkennt, oder vielmehr, weil kein Staat, am wenigsten
aber das deutsche Reich, Rom diese Anerkennung gewähren darf. Der Fürst
verlangt von Rom nicht den Frieden auf irgend welche Bedingungen, die
eines Tages umgestoßen werden können und vom ersten Tage an nicht ge¬
halten werden, sondern er verlangt, nicht von Rom, wohl aber von jedem
deutschen Katholiken die Unterwerfung unter das Staatsgesetz. Wer
will ermessen, wie dem Fürsten Bismarck die Behauptung dieser einzig correkten
und fruchtbaren Position erschwert werden mag. Leicht möglich, daß er sie
nur behaupten kann durch die Ueberzeugung, daß der Reichstag ihm unwankend
folgt. Wird diese Ueberzeugung durch eine Abstimmung, wie die vom 16. Dez.,
widerlegt, so kann es wohl kommen, daß die Kraft des Fürsten den Kampf
gegen geheime und offne Gegner zugleich nicht fortsetzen will.


schlugen den Verlust für den Augenblick doch höher an. Das macht ihrer
Einsicht immerhin Ehre. Das Vertrauensvotum kommt ihnen aber doch
nachträglich sauer an. Es ist doch zu wenig fortschrittlich. Die Partei läßt
daher nachträglich erklären, sie habe kein Vertrauensvotum geben wollen,
sondern die geheimen Ausgaben des Auswärtigen Amtes seien nach ihrer
„Tradition" ein überall nothwendiger Posten. Wir wollen diese „Tradition"
einer historischen Kritik nicht unterziehen. Genug, daß die Fortschrittspartei
sich gegen das Vertrauensvotum für den Reichskanzler verwahrt. Man sollte
fast denken, die Herren glauben die Zeit nicht so fern, wo ihnen die Geschäfte
zufallen, und machen darum den Anfang mit der Anerkennung gouvernemen-
taler Traditionen.

Uns ist bei diesen Aeußerungen sehr wenig scherzhaft zu Muthe. Welches
ist unsere Lage? Der Kanzler hatte am 16. Dezember sein Demisstonsgesuch
eingereicht, der Kaiser aber es nicht angenommen. Nachdem der Reichstag
die Gelegenheit rasch benutzt hat, den Eindruck des Votums vom 16. Dezember
auszulöschen, hat der Kanzler zunächst äußerlich keinen Grund, auf seiner
Demission zu beharren. Alle Welt aber sagt sich, daß er Grund haben muß,
mit seiner Stellung nicht zufrieden zu sein, und zerbricht sich über diesen
Grund den Kopf. Wir wissen nicht mehr als alle Welt, aber eine Ver¬
muthung liegt nahe genug, und wenn man recht überlegt, eigentlich nur
diese Eine. Es ist kein Geheimniß, daß eine Partei, die in die höchsten
Kreise dringt, unermüdlich daran arbeitet, die Ueberzeugung zu befestigen, daß
der vom Kanzler geführte Kampf mit Rom ebenso unnöthig als gefährlich
sei. Man bietet einen Frieden an, der äußerlich das Ansehen des Staates
nicht beeinträchtigen würde. Fürst Bismarck aber, der, wie die nun ver¬
öffentlichten geheimen Dokumente beweisen, so eifrig den Frieden mit Frank¬
reich will, kann den Frieden mit Rom nicht wollen, weil er Rom nicht als
kriegführende Macht anerkennt, oder vielmehr, weil kein Staat, am wenigsten
aber das deutsche Reich, Rom diese Anerkennung gewähren darf. Der Fürst
verlangt von Rom nicht den Frieden auf irgend welche Bedingungen, die
eines Tages umgestoßen werden können und vom ersten Tage an nicht ge¬
halten werden, sondern er verlangt, nicht von Rom, wohl aber von jedem
deutschen Katholiken die Unterwerfung unter das Staatsgesetz. Wer
will ermessen, wie dem Fürsten Bismarck die Behauptung dieser einzig correkten
und fruchtbaren Position erschwert werden mag. Leicht möglich, daß er sie
nur behaupten kann durch die Ueberzeugung, daß der Reichstag ihm unwankend
folgt. Wird diese Ueberzeugung durch eine Abstimmung, wie die vom 16. Dez.,
widerlegt, so kann es wohl kommen, daß die Kraft des Fürsten den Kampf
gegen geheime und offne Gegner zugleich nicht fortsetzen will.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/523>, abgerufen am 27.07.2024.