Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

segensreiche Anlagen zu verbessern und oft ihre beste Zeit und ihre besten
Kräfte an den Schwierigkeiten vergeuden, die ihnen durch die so überreich
gegliederten, um nicht zu sagen zergliederten Behörden Berlins, die trotz des
besten Willens, aber wegen ihrer Vielgliedrigkeit diese Schwierigkeiten nicht
zu bewältigen vermögen, bereitet werden.

Die deutsche Auffassung der Eisenbahnen als gemeinnützige Verkehrs-
anstalten, die uns mehr und mehr zum Staatseisenbahnsystem hingeführt hat
und täglich demselben noch näher führt: dieselbe Auffassung, die auch bei allen
Landstraßen in noch viel ausgeprägterer Weise auftritt und mit vollem Recht
deren vollständige Freigabe verlangt, scheint momentan, besonders in Berlin,
in Bezug auf städtische Straßen etwas verschoben zu sein, sonst hätte die
Stadt selbst schon längst die so nothwendige Schaffung neuer Verkehrswege
in die Hand nehmen müssen. Allerdings ist bei allen von Privaten ausge¬
führten derartigen Anlagen durch Polizeivorschriften und Concessionsbeding¬
ungen nach besten Kräften dahin gewirkt worden, das öffentliche Interesse
zu wahren. Aber in vollem Maaße kann das doch nie geschehen, denn erstens
suchen die Privaten doch ausschließlich ihren eigenen pecuniären Vortheil
und dann kann durch solche Privatanlagen sehr leicht die nothwendige Aus¬
führung wirklich gesunder Straßenzüge geradezu vereitelt werden, weil sie
häufig zwar annähernd dasselbe leisten, aber aus Privatrücksichten doch
nicht die wirklich einzig richtige Lage erhalten konnten und diese letztere
nun, des nochmaligen Kostenaufwandes wegen, trotz des ungenügenden Er-
s-atzes doch nicht mehr ausführbar erscheint.

Zum Ueberfluß werden aber auch, trotz aller Vorsicht de< Behörden
diese selbst oft noch getäuscht. Ich brauche hier wohl nur an das Geber'sche
Jndustriegebäude in der Kommandantenstraße in Berlin zu erinnern. Der
Fall dürfte wohl, da er in vielen Blättern seiner Zeit besprochen wurde, auch
über Berliner Kreise hinaus bekannt sein. Dort soll sich jetzt die Stadt an¬
schicken dem Gebäude gegenüber mit großen Kosten dieselbe Straßenverbrei¬
terung vorzunehmen, die sich vor Jahren beinahe ohne Kosten durch Zurück¬
setzen der Fluchtlinie bei dem sogenannten "Umbau" des fraglichen Gebäudes
hätte erreichen lassen.

In der englischen Hauptstadt werden, wie gesagt, beinahe alle diese neuen
Straßenanlagen durch die Gemeinde ausgeführt und dieselbe findet, abgesehen
von Kaianlagen, auch noch mit der Zeit ihre Rechnung dabei. Der Eng¬
länder liebt irgend welche Störung und Schmälerung seines Besitzes weniger
als irgend sonst etwas und so kommt es, daß er in den meisten Fällen, wo
auch nur kleine Theile seines Grundstücks für die Straßenanlagen gebraucht
werden doch auf den Erwerb seines ganzen Besitzes dringt und das Gesetz
schützt ihn auch in diesem seinen Verlangen. So gelangt die Stadt in den


segensreiche Anlagen zu verbessern und oft ihre beste Zeit und ihre besten
Kräfte an den Schwierigkeiten vergeuden, die ihnen durch die so überreich
gegliederten, um nicht zu sagen zergliederten Behörden Berlins, die trotz des
besten Willens, aber wegen ihrer Vielgliedrigkeit diese Schwierigkeiten nicht
zu bewältigen vermögen, bereitet werden.

Die deutsche Auffassung der Eisenbahnen als gemeinnützige Verkehrs-
anstalten, die uns mehr und mehr zum Staatseisenbahnsystem hingeführt hat
und täglich demselben noch näher führt: dieselbe Auffassung, die auch bei allen
Landstraßen in noch viel ausgeprägterer Weise auftritt und mit vollem Recht
deren vollständige Freigabe verlangt, scheint momentan, besonders in Berlin,
in Bezug auf städtische Straßen etwas verschoben zu sein, sonst hätte die
Stadt selbst schon längst die so nothwendige Schaffung neuer Verkehrswege
in die Hand nehmen müssen. Allerdings ist bei allen von Privaten ausge¬
führten derartigen Anlagen durch Polizeivorschriften und Concessionsbeding¬
ungen nach besten Kräften dahin gewirkt worden, das öffentliche Interesse
zu wahren. Aber in vollem Maaße kann das doch nie geschehen, denn erstens
suchen die Privaten doch ausschließlich ihren eigenen pecuniären Vortheil
und dann kann durch solche Privatanlagen sehr leicht die nothwendige Aus¬
führung wirklich gesunder Straßenzüge geradezu vereitelt werden, weil sie
häufig zwar annähernd dasselbe leisten, aber aus Privatrücksichten doch
nicht die wirklich einzig richtige Lage erhalten konnten und diese letztere
nun, des nochmaligen Kostenaufwandes wegen, trotz des ungenügenden Er-
s-atzes doch nicht mehr ausführbar erscheint.

Zum Ueberfluß werden aber auch, trotz aller Vorsicht de< Behörden
diese selbst oft noch getäuscht. Ich brauche hier wohl nur an das Geber'sche
Jndustriegebäude in der Kommandantenstraße in Berlin zu erinnern. Der
Fall dürfte wohl, da er in vielen Blättern seiner Zeit besprochen wurde, auch
über Berliner Kreise hinaus bekannt sein. Dort soll sich jetzt die Stadt an¬
schicken dem Gebäude gegenüber mit großen Kosten dieselbe Straßenverbrei¬
terung vorzunehmen, die sich vor Jahren beinahe ohne Kosten durch Zurück¬
setzen der Fluchtlinie bei dem sogenannten „Umbau" des fraglichen Gebäudes
hätte erreichen lassen.

In der englischen Hauptstadt werden, wie gesagt, beinahe alle diese neuen
Straßenanlagen durch die Gemeinde ausgeführt und dieselbe findet, abgesehen
von Kaianlagen, auch noch mit der Zeit ihre Rechnung dabei. Der Eng¬
länder liebt irgend welche Störung und Schmälerung seines Besitzes weniger
als irgend sonst etwas und so kommt es, daß er in den meisten Fällen, wo
auch nur kleine Theile seines Grundstücks für die Straßenanlagen gebraucht
werden doch auf den Erwerb seines ganzen Besitzes dringt und das Gesetz
schützt ihn auch in diesem seinen Verlangen. So gelangt die Stadt in den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132718"/>
          <p xml:id="ID_1447" prev="#ID_1446"> segensreiche Anlagen zu verbessern und oft ihre beste Zeit und ihre besten<lb/>
Kräfte an den Schwierigkeiten vergeuden, die ihnen durch die so überreich<lb/>
gegliederten, um nicht zu sagen zergliederten Behörden Berlins, die trotz des<lb/>
besten Willens, aber wegen ihrer Vielgliedrigkeit diese Schwierigkeiten nicht<lb/>
zu bewältigen vermögen, bereitet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1448"> Die deutsche Auffassung der Eisenbahnen als gemeinnützige Verkehrs-<lb/>
anstalten, die uns mehr und mehr zum Staatseisenbahnsystem hingeführt hat<lb/>
und täglich demselben noch näher führt: dieselbe Auffassung, die auch bei allen<lb/>
Landstraßen in noch viel ausgeprägterer Weise auftritt und mit vollem Recht<lb/>
deren vollständige Freigabe verlangt, scheint momentan, besonders in Berlin,<lb/>
in Bezug auf städtische Straßen etwas verschoben zu sein, sonst hätte die<lb/>
Stadt selbst schon längst die so nothwendige Schaffung neuer Verkehrswege<lb/>
in die Hand nehmen müssen. Allerdings ist bei allen von Privaten ausge¬<lb/>
führten derartigen Anlagen durch Polizeivorschriften und Concessionsbeding¬<lb/>
ungen nach besten Kräften dahin gewirkt worden, das öffentliche Interesse<lb/>
zu wahren. Aber in vollem Maaße kann das doch nie geschehen, denn erstens<lb/>
suchen die Privaten doch ausschließlich ihren eigenen pecuniären Vortheil<lb/>
und dann kann durch solche Privatanlagen sehr leicht die nothwendige Aus¬<lb/>
führung wirklich gesunder Straßenzüge geradezu vereitelt werden, weil sie<lb/>
häufig zwar annähernd dasselbe leisten, aber aus Privatrücksichten doch<lb/>
nicht die wirklich einzig richtige Lage erhalten konnten und diese letztere<lb/>
nun, des nochmaligen Kostenaufwandes wegen, trotz des ungenügenden Er-<lb/>
s-atzes doch nicht mehr ausführbar erscheint.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1449"> Zum Ueberfluß werden aber auch, trotz aller Vorsicht de&lt; Behörden<lb/>
diese selbst oft noch getäuscht. Ich brauche hier wohl nur an das Geber'sche<lb/>
Jndustriegebäude in der Kommandantenstraße in Berlin zu erinnern. Der<lb/>
Fall dürfte wohl, da er in vielen Blättern seiner Zeit besprochen wurde, auch<lb/>
über Berliner Kreise hinaus bekannt sein. Dort soll sich jetzt die Stadt an¬<lb/>
schicken dem Gebäude gegenüber mit großen Kosten dieselbe Straßenverbrei¬<lb/>
terung vorzunehmen, die sich vor Jahren beinahe ohne Kosten durch Zurück¬<lb/>
setzen der Fluchtlinie bei dem sogenannten &#x201E;Umbau" des fraglichen Gebäudes<lb/>
hätte erreichen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1450" next="#ID_1451"> In der englischen Hauptstadt werden, wie gesagt, beinahe alle diese neuen<lb/>
Straßenanlagen durch die Gemeinde ausgeführt und dieselbe findet, abgesehen<lb/>
von Kaianlagen, auch noch mit der Zeit ihre Rechnung dabei. Der Eng¬<lb/>
länder liebt irgend welche Störung und Schmälerung seines Besitzes weniger<lb/>
als irgend sonst etwas und so kommt es, daß er in den meisten Fällen, wo<lb/>
auch nur kleine Theile seines Grundstücks für die Straßenanlagen gebraucht<lb/>
werden doch auf den Erwerb seines ganzen Besitzes dringt und das Gesetz<lb/>
schützt ihn auch in diesem seinen Verlangen. So gelangt die Stadt in den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0496] segensreiche Anlagen zu verbessern und oft ihre beste Zeit und ihre besten Kräfte an den Schwierigkeiten vergeuden, die ihnen durch die so überreich gegliederten, um nicht zu sagen zergliederten Behörden Berlins, die trotz des besten Willens, aber wegen ihrer Vielgliedrigkeit diese Schwierigkeiten nicht zu bewältigen vermögen, bereitet werden. Die deutsche Auffassung der Eisenbahnen als gemeinnützige Verkehrs- anstalten, die uns mehr und mehr zum Staatseisenbahnsystem hingeführt hat und täglich demselben noch näher führt: dieselbe Auffassung, die auch bei allen Landstraßen in noch viel ausgeprägterer Weise auftritt und mit vollem Recht deren vollständige Freigabe verlangt, scheint momentan, besonders in Berlin, in Bezug auf städtische Straßen etwas verschoben zu sein, sonst hätte die Stadt selbst schon längst die so nothwendige Schaffung neuer Verkehrswege in die Hand nehmen müssen. Allerdings ist bei allen von Privaten ausge¬ führten derartigen Anlagen durch Polizeivorschriften und Concessionsbeding¬ ungen nach besten Kräften dahin gewirkt worden, das öffentliche Interesse zu wahren. Aber in vollem Maaße kann das doch nie geschehen, denn erstens suchen die Privaten doch ausschließlich ihren eigenen pecuniären Vortheil und dann kann durch solche Privatanlagen sehr leicht die nothwendige Aus¬ führung wirklich gesunder Straßenzüge geradezu vereitelt werden, weil sie häufig zwar annähernd dasselbe leisten, aber aus Privatrücksichten doch nicht die wirklich einzig richtige Lage erhalten konnten und diese letztere nun, des nochmaligen Kostenaufwandes wegen, trotz des ungenügenden Er- s-atzes doch nicht mehr ausführbar erscheint. Zum Ueberfluß werden aber auch, trotz aller Vorsicht de< Behörden diese selbst oft noch getäuscht. Ich brauche hier wohl nur an das Geber'sche Jndustriegebäude in der Kommandantenstraße in Berlin zu erinnern. Der Fall dürfte wohl, da er in vielen Blättern seiner Zeit besprochen wurde, auch über Berliner Kreise hinaus bekannt sein. Dort soll sich jetzt die Stadt an¬ schicken dem Gebäude gegenüber mit großen Kosten dieselbe Straßenverbrei¬ terung vorzunehmen, die sich vor Jahren beinahe ohne Kosten durch Zurück¬ setzen der Fluchtlinie bei dem sogenannten „Umbau" des fraglichen Gebäudes hätte erreichen lassen. In der englischen Hauptstadt werden, wie gesagt, beinahe alle diese neuen Straßenanlagen durch die Gemeinde ausgeführt und dieselbe findet, abgesehen von Kaianlagen, auch noch mit der Zeit ihre Rechnung dabei. Der Eng¬ länder liebt irgend welche Störung und Schmälerung seines Besitzes weniger als irgend sonst etwas und so kommt es, daß er in den meisten Fällen, wo auch nur kleine Theile seines Grundstücks für die Straßenanlagen gebraucht werden doch auf den Erwerb seines ganzen Besitzes dringt und das Gesetz schützt ihn auch in diesem seinen Verlangen. So gelangt die Stadt in den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/496
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/496>, abgerufen am 27.07.2024.