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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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nischen Kulturgebäudes, der kanonischen Rechtsordnung, auf allen Gebieten,
auf denen sie einst mächtig emporragten über die Staaten und Völker der
mittelalterlichen Welt: der Jurist wird dennoch überall daran erinnert, daß
dieses Gebäude und diese Ordnung auf einem Fundamente ruht, das mit
rechtlicher Beurtheilung und Construction so wenig als möglich zu thun hat,
auf dem blinden Glauben, dem zwingenden Dogma. Daher muß die Grund¬
lage versinken und der stolze Bau stürzen, sobald der Glaube wankt und der
Zwang des Dogmas bezweifelt wird. Es genügt, daß Endemann den Ver¬
lauf dieser natürlichen Entwickelung an einzelnen Rechtserscheinungen bis ins
Kleinste nachweist. Damit ist für manche anderen der leitende Fingerzeig
gegeben. den Spuren zu folgen, welche zuerst die exacte aber veraltete Denk¬
weise des Römers, dann die humane Tyrannis der kanonischen Theorie, dann
das Bedürfniß moderneren Freiheitsstrebens in den gangbarsten und wich¬
tigsten Formen des Rechtsverkehrs hinterlassen haben. Auch die unmittelbaren
Folgerungen für die Gegenwart wird der Sachkenner überall direct an diese
Nachweise Endemann's anzuknüpfen vermögen. Rager doch so viele btnux
restes der mittelalterlichen Wucherlehre z. B. unmittelbar in die Gegenwart,
in zahlreichen Dunkelheiten, Controversen und Schrullen des lebendigen Rechtes
in wichtigen Zweigen des öffentlichen Verkehrslebens.

Jedem, der die beiden Bücher studirt hat, wird die Verwandtschaft auf¬
fallen, welche diese Untersuchungen Endemann's mit denen Wilhelm Roscher's
in seinem neulich besprochenen Werke, die "Geschichte der Nationalökonomik"
haben. Der Natur der Sache nach ist Endemann's Aufgabe etwa in dem¬
selben Maaße begrenzter, wie Roscher's Unternehmung gegenüber der Geschichte
und Literatur der Staatswissenschaften, die Robert von Mohl zu liefern
unternommen. Endemann mußte in engerem Rahmen arbeiten, weil die
nationalökonomische Theorie der positiven Rechtsverkehrsnorm gegenüber die leichte
Expansivkraft des Dampfes im Vergleich zum Wasser besitzt. Das Verkehrs¬
recht ist die zum Gemeingut der Nation gewordene Anerkennung einer bestimm¬
ten Theorie der Volkswirthschaft. Und die Völker leben bei weitem lang¬
samer und zäher als die einzelnen Denker. Aber dafür ist Endemann's Auf¬
gabe und Darstellung insofern auch reicher, wie diejenige Roscher's, als
Endemann auch die praktische Uebung und virtuose Überlegenheit des
Wirthschaftslebens über die kanonisch, romanische Doctrin zur Anschauung
bringen kann, während Röscher, seinem Plane gemäß, nur die Umrisse und
Wandlung der nationalökonomischen Theorien in Deutschland seit Ausgang
des Mittelalters uns vorführt. Auch durch das Aneinanderpassen der beiden
Geschichtsperioden, der mittelalterlichen Endemann's zur modernen Roscher's,
ist das gleichzeitige Erscheinen der beiden bedeutenden Werke besonders erfreulich.


H. B.


nischen Kulturgebäudes, der kanonischen Rechtsordnung, auf allen Gebieten,
auf denen sie einst mächtig emporragten über die Staaten und Völker der
mittelalterlichen Welt: der Jurist wird dennoch überall daran erinnert, daß
dieses Gebäude und diese Ordnung auf einem Fundamente ruht, das mit
rechtlicher Beurtheilung und Construction so wenig als möglich zu thun hat,
auf dem blinden Glauben, dem zwingenden Dogma. Daher muß die Grund¬
lage versinken und der stolze Bau stürzen, sobald der Glaube wankt und der
Zwang des Dogmas bezweifelt wird. Es genügt, daß Endemann den Ver¬
lauf dieser natürlichen Entwickelung an einzelnen Rechtserscheinungen bis ins
Kleinste nachweist. Damit ist für manche anderen der leitende Fingerzeig
gegeben. den Spuren zu folgen, welche zuerst die exacte aber veraltete Denk¬
weise des Römers, dann die humane Tyrannis der kanonischen Theorie, dann
das Bedürfniß moderneren Freiheitsstrebens in den gangbarsten und wich¬
tigsten Formen des Rechtsverkehrs hinterlassen haben. Auch die unmittelbaren
Folgerungen für die Gegenwart wird der Sachkenner überall direct an diese
Nachweise Endemann's anzuknüpfen vermögen. Rager doch so viele btnux
restes der mittelalterlichen Wucherlehre z. B. unmittelbar in die Gegenwart,
in zahlreichen Dunkelheiten, Controversen und Schrullen des lebendigen Rechtes
in wichtigen Zweigen des öffentlichen Verkehrslebens.

Jedem, der die beiden Bücher studirt hat, wird die Verwandtschaft auf¬
fallen, welche diese Untersuchungen Endemann's mit denen Wilhelm Roscher's
in seinem neulich besprochenen Werke, die „Geschichte der Nationalökonomik"
haben. Der Natur der Sache nach ist Endemann's Aufgabe etwa in dem¬
selben Maaße begrenzter, wie Roscher's Unternehmung gegenüber der Geschichte
und Literatur der Staatswissenschaften, die Robert von Mohl zu liefern
unternommen. Endemann mußte in engerem Rahmen arbeiten, weil die
nationalökonomische Theorie der positiven Rechtsverkehrsnorm gegenüber die leichte
Expansivkraft des Dampfes im Vergleich zum Wasser besitzt. Das Verkehrs¬
recht ist die zum Gemeingut der Nation gewordene Anerkennung einer bestimm¬
ten Theorie der Volkswirthschaft. Und die Völker leben bei weitem lang¬
samer und zäher als die einzelnen Denker. Aber dafür ist Endemann's Auf¬
gabe und Darstellung insofern auch reicher, wie diejenige Roscher's, als
Endemann auch die praktische Uebung und virtuose Überlegenheit des
Wirthschaftslebens über die kanonisch, romanische Doctrin zur Anschauung
bringen kann, während Röscher, seinem Plane gemäß, nur die Umrisse und
Wandlung der nationalökonomischen Theorien in Deutschland seit Ausgang
des Mittelalters uns vorführt. Auch durch das Aneinanderpassen der beiden
Geschichtsperioden, der mittelalterlichen Endemann's zur modernen Roscher's,
ist das gleichzeitige Erscheinen der beiden bedeutenden Werke besonders erfreulich.


H. B.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/494>, abgerufen am 27.07.2024.