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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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werthen Schriften für das Fest sein, den größeren literarischen Kritiken dieses
Blattes zur Ergänzung zu dienen oder gar mit denselben in Widerspruch zu
treten. An erster Stelle dieses Heftes ist ein berufsmäßiges Urtheil gefällt
worden über die vornehmsten Schriften p reußischer Geschichtskunde.
Der Mann der Wissenschaft hat die besten Namen preußischer Geschichts¬
forschung uns vorgeführt. Wir würden gering denken von unsern Lesern,
wenn wir annähmen, daß sie nicht ihr Streben und ihren Stolz darein setzen
wollten, diese Werke ersten Ranges zu besitzen. Aber nicht Alle sind in der
Lage, diesem Wunsche sofort Raum zu geben. Und Allen ist es doch Be¬
dürfniß, eine zuverlässige, moderne, auf der Höhe der Zeit stehende Ausgabe
Preußischer Geschichte zu besitzen, welche dem Historiker von Fach wohl zu
wenig Quellenwerk bieten mag. aber die doch die Resultate der neuesten
Quellenstudien Allen zu Nutze macht. Als ein solches zuverlässiges, von
gründlicher Sachkenntniß und dem besten nationalen Geiste getragenes Werk
über Preußische Geschichte können wir das unter diesem Titel bei
Gebr. Paetel in Berlin jetzt in dritter Auflage erschienene zweibändige Buch
des Prof. Dr. William Pierson empfehlen, das die gesammte Entwickelung
des Preußischen Volkes und Staates von den sagenhaft verklärten Anfängen
bis mitten in den heute entbrannten "Kulturkampf" hinein, uns vorführt.

Auch der Historiker von Fach erkennt die volle Wahrheit über die Absicht
und den Werth der Preußischen Politik ebensosehr aus den Lebensäußerungen
und Thaten der Feinde Preußens, als aus den mehr und mehr entschleierten
Geheimnissen des Preußischen Staatsarchivs. Nichts ist belehrender für die
Hoheit und Würde der Politik der deutschen Vormacht, als der ohnmächtige
Ingrimm der deutschen Kleinstaaterei gegen Preußen, als es auf dem schmalen
Wege zur Einheit unerbittlich vorwärts drängte. Nichts zeigt uns deutlicher
den Verfall preußischer Staatskunst, als wenn die Wiener Hofburg unter
Metternich oder die kleinen Höfe ihre allerhöchste Zufriedenheit nach Berlin
vermelden. Endlich als dritter Gesichtspunkt der Vergleichung dient vor-
nehmlich die Schilderung des Volkslebens und der Regierungsmethode in den
Rutschen Kleinstaaten im Unterschied oder im Gegensatz zu Preußen. In
dieser letzten Richtung ist Karl Braun, der bekannte Volkswirth. Politiker
und Abgeordnete, seit Jahren in bemerkenswerther Weise thätig gewesen.
Er hat aus dem verflossenen Mikrokosmus des Herzogthums Nassau, aus
weil. Dalwigk'schen Großherzogthum Hessen, aus Schwaben. Kurhessen
u- s- w. Bilder der deutschen Kleinstaaterei von so typischer Bedeutung und
so unvergänglichen Humor gesammelt, daß man noch in späten
fahren, wenn dem Lebenden die Erinnerung an diese Mißstände längst ent¬
schwunden sein wird, Karl Braun's Arbeiten auf diesem Gebiete als sehr
schätzbare Beiträge zur Kultur- und Staatengeschichte Deutschlands lesen wird.


werthen Schriften für das Fest sein, den größeren literarischen Kritiken dieses
Blattes zur Ergänzung zu dienen oder gar mit denselben in Widerspruch zu
treten. An erster Stelle dieses Heftes ist ein berufsmäßiges Urtheil gefällt
worden über die vornehmsten Schriften p reußischer Geschichtskunde.
Der Mann der Wissenschaft hat die besten Namen preußischer Geschichts¬
forschung uns vorgeführt. Wir würden gering denken von unsern Lesern,
wenn wir annähmen, daß sie nicht ihr Streben und ihren Stolz darein setzen
wollten, diese Werke ersten Ranges zu besitzen. Aber nicht Alle sind in der
Lage, diesem Wunsche sofort Raum zu geben. Und Allen ist es doch Be¬
dürfniß, eine zuverlässige, moderne, auf der Höhe der Zeit stehende Ausgabe
Preußischer Geschichte zu besitzen, welche dem Historiker von Fach wohl zu
wenig Quellenwerk bieten mag. aber die doch die Resultate der neuesten
Quellenstudien Allen zu Nutze macht. Als ein solches zuverlässiges, von
gründlicher Sachkenntniß und dem besten nationalen Geiste getragenes Werk
über Preußische Geschichte können wir das unter diesem Titel bei
Gebr. Paetel in Berlin jetzt in dritter Auflage erschienene zweibändige Buch
des Prof. Dr. William Pierson empfehlen, das die gesammte Entwickelung
des Preußischen Volkes und Staates von den sagenhaft verklärten Anfängen
bis mitten in den heute entbrannten „Kulturkampf" hinein, uns vorführt.

Auch der Historiker von Fach erkennt die volle Wahrheit über die Absicht
und den Werth der Preußischen Politik ebensosehr aus den Lebensäußerungen
und Thaten der Feinde Preußens, als aus den mehr und mehr entschleierten
Geheimnissen des Preußischen Staatsarchivs. Nichts ist belehrender für die
Hoheit und Würde der Politik der deutschen Vormacht, als der ohnmächtige
Ingrimm der deutschen Kleinstaaterei gegen Preußen, als es auf dem schmalen
Wege zur Einheit unerbittlich vorwärts drängte. Nichts zeigt uns deutlicher
den Verfall preußischer Staatskunst, als wenn die Wiener Hofburg unter
Metternich oder die kleinen Höfe ihre allerhöchste Zufriedenheit nach Berlin
vermelden. Endlich als dritter Gesichtspunkt der Vergleichung dient vor-
nehmlich die Schilderung des Volkslebens und der Regierungsmethode in den
Rutschen Kleinstaaten im Unterschied oder im Gegensatz zu Preußen. In
dieser letzten Richtung ist Karl Braun, der bekannte Volkswirth. Politiker
und Abgeordnete, seit Jahren in bemerkenswerther Weise thätig gewesen.
Er hat aus dem verflossenen Mikrokosmus des Herzogthums Nassau, aus
weil. Dalwigk'schen Großherzogthum Hessen, aus Schwaben. Kurhessen
u- s- w. Bilder der deutschen Kleinstaaterei von so typischer Bedeutung und
so unvergänglichen Humor gesammelt, daß man noch in späten
fahren, wenn dem Lebenden die Erinnerung an diese Mißstände längst ent¬
schwunden sein wird, Karl Braun's Arbeiten auf diesem Gebiete als sehr
schätzbare Beiträge zur Kultur- und Staatengeschichte Deutschlands lesen wird.


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[0481] werthen Schriften für das Fest sein, den größeren literarischen Kritiken dieses Blattes zur Ergänzung zu dienen oder gar mit denselben in Widerspruch zu treten. An erster Stelle dieses Heftes ist ein berufsmäßiges Urtheil gefällt worden über die vornehmsten Schriften p reußischer Geschichtskunde. Der Mann der Wissenschaft hat die besten Namen preußischer Geschichts¬ forschung uns vorgeführt. Wir würden gering denken von unsern Lesern, wenn wir annähmen, daß sie nicht ihr Streben und ihren Stolz darein setzen wollten, diese Werke ersten Ranges zu besitzen. Aber nicht Alle sind in der Lage, diesem Wunsche sofort Raum zu geben. Und Allen ist es doch Be¬ dürfniß, eine zuverlässige, moderne, auf der Höhe der Zeit stehende Ausgabe Preußischer Geschichte zu besitzen, welche dem Historiker von Fach wohl zu wenig Quellenwerk bieten mag. aber die doch die Resultate der neuesten Quellenstudien Allen zu Nutze macht. Als ein solches zuverlässiges, von gründlicher Sachkenntniß und dem besten nationalen Geiste getragenes Werk über Preußische Geschichte können wir das unter diesem Titel bei Gebr. Paetel in Berlin jetzt in dritter Auflage erschienene zweibändige Buch des Prof. Dr. William Pierson empfehlen, das die gesammte Entwickelung des Preußischen Volkes und Staates von den sagenhaft verklärten Anfängen bis mitten in den heute entbrannten „Kulturkampf" hinein, uns vorführt. Auch der Historiker von Fach erkennt die volle Wahrheit über die Absicht und den Werth der Preußischen Politik ebensosehr aus den Lebensäußerungen und Thaten der Feinde Preußens, als aus den mehr und mehr entschleierten Geheimnissen des Preußischen Staatsarchivs. Nichts ist belehrender für die Hoheit und Würde der Politik der deutschen Vormacht, als der ohnmächtige Ingrimm der deutschen Kleinstaaterei gegen Preußen, als es auf dem schmalen Wege zur Einheit unerbittlich vorwärts drängte. Nichts zeigt uns deutlicher den Verfall preußischer Staatskunst, als wenn die Wiener Hofburg unter Metternich oder die kleinen Höfe ihre allerhöchste Zufriedenheit nach Berlin vermelden. Endlich als dritter Gesichtspunkt der Vergleichung dient vor- nehmlich die Schilderung des Volkslebens und der Regierungsmethode in den Rutschen Kleinstaaten im Unterschied oder im Gegensatz zu Preußen. In dieser letzten Richtung ist Karl Braun, der bekannte Volkswirth. Politiker und Abgeordnete, seit Jahren in bemerkenswerther Weise thätig gewesen. Er hat aus dem verflossenen Mikrokosmus des Herzogthums Nassau, aus weil. Dalwigk'schen Großherzogthum Hessen, aus Schwaben. Kurhessen u- s- w. Bilder der deutschen Kleinstaaterei von so typischer Bedeutung und so unvergänglichen Humor gesammelt, daß man noch in späten fahren, wenn dem Lebenden die Erinnerung an diese Mißstände längst ent¬ schwunden sein wird, Karl Braun's Arbeiten auf diesem Gebiete als sehr schätzbare Beiträge zur Kultur- und Staatengeschichte Deutschlands lesen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/481>, abgerufen am 27.07.2024.