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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Werk das Verlangen nach einer ähnlichen Arbeit archivalischen Fleißes über
preußische Verfassung und Verwaltung und preußisches Rechtsleben. Noch
nicht zu Ende geführt ist dies Unternehmen wahrhaft großartiger Studien;
die eigentliche Glanzzeit preußischer Diplomatie, die Heldenepoche des großen
Königs, ist nur erst eben eröffnet: mit Spannung fleht man der Fortsetzung
entgegen.

Und nun. nachdem Droysen das Jahr 1740 erreicht hatte, in welchem
früher Ranke's preußische Geschichte erst zu eigentlicher Darstellung ausgeholt
hatte, hat auch der Altmeister selbst noch einmal seine frühere Leistung einer
erweiternden Umarbeitung unterzogen. In einer neuen Ausgabe wurden aus
den früheren neun jetzt zwölf Bücher. Die wichtigen Momente, welche die
Genesis des preußischen Staates bewirkt haben, wünschte Ranke, --
man kann nicht sagen, in Rivalität oder im Gegensatze zu Droysen. wohl
aber neben Droysen -- in seiner Weise noch einmal etwas genauer darzu¬
legen. So ist ein sehr interessantes und geistvolles Buch entstanden. Auch
jetzt erzählt Ranke nicht den historischen Verlauf, er erörtert vielmehr die
hervorstehenden und maßgebenden Punkte desselben. Er benutzt selbstverständlich
das, was Droysen mittlerweile geboten; er ergänzt manches aus eigenen
Studien; er bemüht sich neben der preußischen Anschauung der preußischen
Staatspapiere auch von anderen Stellen her Erläuterungen und Aufklärungen
herbeizuschaffen. Da er sich nicht auf die äußeren Verhältnisse beschränkt,
gelingt es ihm meistens mit seiner allseitigen Betrachtung und seiner mehr¬
seitiger Erwägung das Nebeneinander und Ineinander der einzelnen Faktoren
sehr gut zur Anschauung zu bringen. Irren wir nicht, so wird diese Neu¬
bearbeitung der preußischen Geschichte durch Ranke leichter und dauernder die
Schaaren der Leser um sich versammeln, als dies bisher Droysen möglich ge¬
wesen ist. Aber will man dem letzteren damit nicht Unrecht thun, so muß
man stets festhalten, daß es für einen erfahrenen Historiker großen Stiles
immer leichter ist. in kurzen Zusammenfassungen die Verkettungen des histo¬
rischen Lebens anschaulich zu machen. als in detaillirt ausgeführtem Bilde
der wechselnden Ereignisse die historischen Richtwege in jedem Augenblicke
durchscheinen zu lassen.

Die Auffassung preußischer Geschichte im Großen und Ganzen gelangt
bei Ranke und Droysen zu denselben Ergebnissen: im einzelnen weichen sie
Mohl ab. Doch muß man hier sagen, daß wo Detailausführungen der Beiden
nebeneinander vorliegen, z. B. betreffs 1740--1742. Droysen eine Bestätigung
gebracht dessen, was Ranke vor jetzt 27 Jahren geschaffen.

Droysen's ganze Seele ist mit der preußischen Politik verwachsen. Ranke
äußert nicht so entschieden seine eigene Meinung; bei allen seinen preußischen
Sympathien bestrebt er sich, über den patriotischen Gefühlen zu stehen und


Werk das Verlangen nach einer ähnlichen Arbeit archivalischen Fleißes über
preußische Verfassung und Verwaltung und preußisches Rechtsleben. Noch
nicht zu Ende geführt ist dies Unternehmen wahrhaft großartiger Studien;
die eigentliche Glanzzeit preußischer Diplomatie, die Heldenepoche des großen
Königs, ist nur erst eben eröffnet: mit Spannung fleht man der Fortsetzung
entgegen.

Und nun. nachdem Droysen das Jahr 1740 erreicht hatte, in welchem
früher Ranke's preußische Geschichte erst zu eigentlicher Darstellung ausgeholt
hatte, hat auch der Altmeister selbst noch einmal seine frühere Leistung einer
erweiternden Umarbeitung unterzogen. In einer neuen Ausgabe wurden aus
den früheren neun jetzt zwölf Bücher. Die wichtigen Momente, welche die
Genesis des preußischen Staates bewirkt haben, wünschte Ranke, —
man kann nicht sagen, in Rivalität oder im Gegensatze zu Droysen. wohl
aber neben Droysen — in seiner Weise noch einmal etwas genauer darzu¬
legen. So ist ein sehr interessantes und geistvolles Buch entstanden. Auch
jetzt erzählt Ranke nicht den historischen Verlauf, er erörtert vielmehr die
hervorstehenden und maßgebenden Punkte desselben. Er benutzt selbstverständlich
das, was Droysen mittlerweile geboten; er ergänzt manches aus eigenen
Studien; er bemüht sich neben der preußischen Anschauung der preußischen
Staatspapiere auch von anderen Stellen her Erläuterungen und Aufklärungen
herbeizuschaffen. Da er sich nicht auf die äußeren Verhältnisse beschränkt,
gelingt es ihm meistens mit seiner allseitigen Betrachtung und seiner mehr¬
seitiger Erwägung das Nebeneinander und Ineinander der einzelnen Faktoren
sehr gut zur Anschauung zu bringen. Irren wir nicht, so wird diese Neu¬
bearbeitung der preußischen Geschichte durch Ranke leichter und dauernder die
Schaaren der Leser um sich versammeln, als dies bisher Droysen möglich ge¬
wesen ist. Aber will man dem letzteren damit nicht Unrecht thun, so muß
man stets festhalten, daß es für einen erfahrenen Historiker großen Stiles
immer leichter ist. in kurzen Zusammenfassungen die Verkettungen des histo¬
rischen Lebens anschaulich zu machen. als in detaillirt ausgeführtem Bilde
der wechselnden Ereignisse die historischen Richtwege in jedem Augenblicke
durchscheinen zu lassen.

Die Auffassung preußischer Geschichte im Großen und Ganzen gelangt
bei Ranke und Droysen zu denselben Ergebnissen: im einzelnen weichen sie
Mohl ab. Doch muß man hier sagen, daß wo Detailausführungen der Beiden
nebeneinander vorliegen, z. B. betreffs 1740—1742. Droysen eine Bestätigung
gebracht dessen, was Ranke vor jetzt 27 Jahren geschaffen.

Droysen's ganze Seele ist mit der preußischen Politik verwachsen. Ranke
äußert nicht so entschieden seine eigene Meinung; bei allen seinen preußischen
Sympathien bestrebt er sich, über den patriotischen Gefühlen zu stehen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/455>, abgerufen am 28.07.2024.