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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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nennt, ist vielleicht die Wiederholung der Beschreibung erklärlich. Ich will
mich aber nur auf einige allgemeine Züge beschränken. Man weiß, daß in
einer Weise, wie es deutsche Parlamente wohl noch nicht erlebt haben, das
Centrum und der übrige Theil des Reichstags minutenlang gegeneinander
tobten. War es das Toben des Centrums, welches die nationalen Reihen
mit ihrem Beifall ersticken wollten, öder wollte das Centrum mit seinen Miß-
lauten den Beifall ersticken?

Ich hatte den Eindruck, daß der Beifall eine gewaltige spontane Be¬
wegung war, hervorgerufen durch einen der seltenen Momente, wo die geistige
Größe eines Mannes in unmittelbarer Gegenwart für die augenblickliche
Wahrnehmung erscheint. Der Lärm der Ultramontanen entsprang weniger
dem Bedürfniß ihre Gegner zu übertäuben, als dem imponirenden Einfluß
des gehaßtesten Feindes auf ihr eigenes Gefühl! Das blutige Epigramm,
welches nach dem bezeichnenden Ausdruck der "National-Ztg.", der Kanzler
auf die Schultern eines der rohesten unter den Lärmern heftete, wird unver¬
geßlich bleiben. In dem Augenblick, als es gesprochen wurde, hatte die er¬
regte Empfänglichkeit den Höhepunkt schon verlassen. Die Debatte lenkte
bereits in den Streit mit Argumenten ein, der einer deutschen Versammlung
so natürlich ist. Auch der Reichskanzler, als er zum zweiten Mal gegen
Windthorst's dialektische Künste das Wort nahm, bewegte sich in dem Geleis
der Argumente, als Laster in dem unseres Trachtens sehr berechtigten Gefühl
der unerhörten Schmach, welche die Rede des Jörg der deutschen Nation
angethan, die Aeußerungen desselben als Verbrechen bezeichnete. Der Präsi¬
dent mußte Laster zur Ordnung rufen. Aber die Mehrheit des Reichstags
gab dem Redner Recht, wie nur je. Vergebens suchte Windthorst die Ver¬
urteilung Jörg's durch das grobe Sophisma zu entkräften, das Abrathen
vom Kriege könne patriotisch sein, wie Thiers' Abrathen 1870 patriotisch
gewesen. In diesem Augenblick geschärfter Wahrnehmung am wenigsten
konnte der Rabulist auch nur ein einziges Mitglied darüber täuschen, daß es
Zweierlei ist. gegen den Krieg sprechen, wenn er in Frage ist, und das eigene
Land des Krieges verdächtigen, das im vollen Ernst den Frieden sucht.

Dies die großen Züge der denkwürdigen Sitzung.

Als Fürst Bismarck dem Centrum zurief; "der Verbrecher heftet sich an
Ihre Rockschöße"; da leuchtete es wie ein Blitz durch den Saal, der die Schrift
erhellt: das Verbrechen heftet sich an Euer Thun. Wie maßlos
elend sind die Waffen, mit denen diese Fraktion kämpft, in der so viele an
sich achtbare Männer streiten! Nehmen wir an, es wäre wahr, daß den
Katholiken Unrecht geschähe von der deutschen Reichsregierung, einer der
erfolgreichsten Regierungen, die es gegeben. Wäre da nicht die sittlichste
Waffe die wirksamste, mit stillem Ernst hinzuweisen auf den dunklen Flecken


nennt, ist vielleicht die Wiederholung der Beschreibung erklärlich. Ich will
mich aber nur auf einige allgemeine Züge beschränken. Man weiß, daß in
einer Weise, wie es deutsche Parlamente wohl noch nicht erlebt haben, das
Centrum und der übrige Theil des Reichstags minutenlang gegeneinander
tobten. War es das Toben des Centrums, welches die nationalen Reihen
mit ihrem Beifall ersticken wollten, öder wollte das Centrum mit seinen Miß-
lauten den Beifall ersticken?

Ich hatte den Eindruck, daß der Beifall eine gewaltige spontane Be¬
wegung war, hervorgerufen durch einen der seltenen Momente, wo die geistige
Größe eines Mannes in unmittelbarer Gegenwart für die augenblickliche
Wahrnehmung erscheint. Der Lärm der Ultramontanen entsprang weniger
dem Bedürfniß ihre Gegner zu übertäuben, als dem imponirenden Einfluß
des gehaßtesten Feindes auf ihr eigenes Gefühl! Das blutige Epigramm,
welches nach dem bezeichnenden Ausdruck der „National-Ztg.", der Kanzler
auf die Schultern eines der rohesten unter den Lärmern heftete, wird unver¬
geßlich bleiben. In dem Augenblick, als es gesprochen wurde, hatte die er¬
regte Empfänglichkeit den Höhepunkt schon verlassen. Die Debatte lenkte
bereits in den Streit mit Argumenten ein, der einer deutschen Versammlung
so natürlich ist. Auch der Reichskanzler, als er zum zweiten Mal gegen
Windthorst's dialektische Künste das Wort nahm, bewegte sich in dem Geleis
der Argumente, als Laster in dem unseres Trachtens sehr berechtigten Gefühl
der unerhörten Schmach, welche die Rede des Jörg der deutschen Nation
angethan, die Aeußerungen desselben als Verbrechen bezeichnete. Der Präsi¬
dent mußte Laster zur Ordnung rufen. Aber die Mehrheit des Reichstags
gab dem Redner Recht, wie nur je. Vergebens suchte Windthorst die Ver¬
urteilung Jörg's durch das grobe Sophisma zu entkräften, das Abrathen
vom Kriege könne patriotisch sein, wie Thiers' Abrathen 1870 patriotisch
gewesen. In diesem Augenblick geschärfter Wahrnehmung am wenigsten
konnte der Rabulist auch nur ein einziges Mitglied darüber täuschen, daß es
Zweierlei ist. gegen den Krieg sprechen, wenn er in Frage ist, und das eigene
Land des Krieges verdächtigen, das im vollen Ernst den Frieden sucht.

Dies die großen Züge der denkwürdigen Sitzung.

Als Fürst Bismarck dem Centrum zurief; „der Verbrecher heftet sich an
Ihre Rockschöße"; da leuchtete es wie ein Blitz durch den Saal, der die Schrift
erhellt: das Verbrechen heftet sich an Euer Thun. Wie maßlos
elend sind die Waffen, mit denen diese Fraktion kämpft, in der so viele an
sich achtbare Männer streiten! Nehmen wir an, es wäre wahr, daß den
Katholiken Unrecht geschähe von der deutschen Reichsregierung, einer der
erfolgreichsten Regierungen, die es gegeben. Wäre da nicht die sittlichste
Waffe die wirksamste, mit stillem Ernst hinzuweisen auf den dunklen Flecken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/441>, abgerufen am 27.07.2024.