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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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vielfach geeignet befunden wird, ein römischer Fühler war. Das Dementi,
welches die Reichsregierung sogleich entgegen setzen ließ, konnte man als die
Abweisung dieser Friedensvfferte deuten. Nicht etwa, als ob das deutsche
Reich um jeden Preis kriegerisch gegen Rom aufzutreten gedächte, aber die
Staatsleitung desselben weiß, daß Rom sehr schwer und auf keinen Fall schon
jetzt auf annehmbare Bedingungen zum Frieden bereit ist. Unter diesen Um¬
ständen war die Zurückziehung der Besoldung, mit andern Worten, die Auf¬
hebung der Stelle eines deutschen Gesandten beim römischen Stuhl, eine zweite
und noch weit nachdrücklichere Abweisung des von Rom in seltsamer Form,
aber immerhin mit Wahrscheinlichkeit geäußerten Friedenswunsches. Set es
nun, daß von dem Schreiben des Reichskanzlers bezüglich der römischen Ge¬
sandtschaft schon etwas verlautet hatte, sei es, daß im Geiste des bekannten
Centrumsmitgliedes, des Herrn Jörg, der Plan zu einem Angriff sogleich bei
der Verlesung des Schreibens entsprang, genug der genannte Abgeordnete
wandte sich gelegentlich der Ausgaben für den Bundesrath und seine Aus¬
schüsse, insonderheit der Ausgaben für den auswärtigen Ausschuß, mit über¬
legter Perfidie gegen die auswärtige Politik des Reichskanzlers, um denselben
dem Ausland als Störer des europäischen Friedens zu denunciren, dem In¬
land als denjenigen, der Deutschland in völlige Abhängigkeit von Rußland
gebracht habe. Man konnte diesen Insinuationen sehr viel Aerger und
Böswilligkeit, aber daneben freilich auch die Verlegenheit ansehen, welche zu
den abgeschmacktesten Mitteln greift. Alle, die der Sitzung beiwohnten,
konnten dem Reichskanzler anmerken, daß er antworten werde, und er that
es. Nachdem er mit bewundernswerther Ruhe und sachlicher Herrschaft den
Versuch widerlegt, die Zurückweisung französischer Beleidigungen in amtlichen
Dokumenten und die Bemühung, in Spanien einer Regierung die europäische
Anerkennung zu verschaffen, welche in den internationalen Verkehr wenigstens
nicht den Mord einführt, zu Interventionen zu stempeln, sprach er über das
Verhältniß des Mörders Kullmann zur Centrumspartei. Herrn Jörg gebührt
das Verdienst, diesen Mörder auf die Tribüne des Reichstags gezogen zu
haben. Was der Kanzler in Folge dieser unerhörten Herausforderung seiner
Person aussprach, waren nur nackte Thatsachen. Man kann wohl das Opfer
eines Mordversuches nicht stärker reizen, und nur aus der Absicht zu reizen
und die Person auf das Tiefste zu verletzen, ist es wohl zu erklären, wenn
Jemand das Verbrechen in Gegenwart des Opfers als eine Kleinigkeit dar¬
stellt. Der Fürst antwortete nur, indem er die Aeußerungen aus Kullmann's
eigenem Mund anführte, wie derselbe sein Verhältniß zur Centrumsfraktion
angesehen. Als der Fürst geendet, entwickelte sich eine Scene, deren Be¬
schreibung die Leser schon vielfach vor Augen gehabt haben, wenn ihnen
dieser Bericht vor Augen kommt. Gerade bei dem, was man unbeschreiblich


vielfach geeignet befunden wird, ein römischer Fühler war. Das Dementi,
welches die Reichsregierung sogleich entgegen setzen ließ, konnte man als die
Abweisung dieser Friedensvfferte deuten. Nicht etwa, als ob das deutsche
Reich um jeden Preis kriegerisch gegen Rom aufzutreten gedächte, aber die
Staatsleitung desselben weiß, daß Rom sehr schwer und auf keinen Fall schon
jetzt auf annehmbare Bedingungen zum Frieden bereit ist. Unter diesen Um¬
ständen war die Zurückziehung der Besoldung, mit andern Worten, die Auf¬
hebung der Stelle eines deutschen Gesandten beim römischen Stuhl, eine zweite
und noch weit nachdrücklichere Abweisung des von Rom in seltsamer Form,
aber immerhin mit Wahrscheinlichkeit geäußerten Friedenswunsches. Set es
nun, daß von dem Schreiben des Reichskanzlers bezüglich der römischen Ge¬
sandtschaft schon etwas verlautet hatte, sei es, daß im Geiste des bekannten
Centrumsmitgliedes, des Herrn Jörg, der Plan zu einem Angriff sogleich bei
der Verlesung des Schreibens entsprang, genug der genannte Abgeordnete
wandte sich gelegentlich der Ausgaben für den Bundesrath und seine Aus¬
schüsse, insonderheit der Ausgaben für den auswärtigen Ausschuß, mit über¬
legter Perfidie gegen die auswärtige Politik des Reichskanzlers, um denselben
dem Ausland als Störer des europäischen Friedens zu denunciren, dem In¬
land als denjenigen, der Deutschland in völlige Abhängigkeit von Rußland
gebracht habe. Man konnte diesen Insinuationen sehr viel Aerger und
Böswilligkeit, aber daneben freilich auch die Verlegenheit ansehen, welche zu
den abgeschmacktesten Mitteln greift. Alle, die der Sitzung beiwohnten,
konnten dem Reichskanzler anmerken, daß er antworten werde, und er that
es. Nachdem er mit bewundernswerther Ruhe und sachlicher Herrschaft den
Versuch widerlegt, die Zurückweisung französischer Beleidigungen in amtlichen
Dokumenten und die Bemühung, in Spanien einer Regierung die europäische
Anerkennung zu verschaffen, welche in den internationalen Verkehr wenigstens
nicht den Mord einführt, zu Interventionen zu stempeln, sprach er über das
Verhältniß des Mörders Kullmann zur Centrumspartei. Herrn Jörg gebührt
das Verdienst, diesen Mörder auf die Tribüne des Reichstags gezogen zu
haben. Was der Kanzler in Folge dieser unerhörten Herausforderung seiner
Person aussprach, waren nur nackte Thatsachen. Man kann wohl das Opfer
eines Mordversuches nicht stärker reizen, und nur aus der Absicht zu reizen
und die Person auf das Tiefste zu verletzen, ist es wohl zu erklären, wenn
Jemand das Verbrechen in Gegenwart des Opfers als eine Kleinigkeit dar¬
stellt. Der Fürst antwortete nur, indem er die Aeußerungen aus Kullmann's
eigenem Mund anführte, wie derselbe sein Verhältniß zur Centrumsfraktion
angesehen. Als der Fürst geendet, entwickelte sich eine Scene, deren Be¬
schreibung die Leser schon vielfach vor Augen gehabt haben, wenn ihnen
dieser Bericht vor Augen kommt. Gerade bei dem, was man unbeschreiblich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/440>, abgerufen am 27.07.2024.