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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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seinen untern Theilen zu Geschäftszwccken benutzt wird, fühlt sich der Eng¬
länder in demselben beunruhigt, er strebt danach, ein ruhigeres Heim zu
suchen und so macht es sich sehr schnell, daß ganze Straßen vollständig zu
Geschäftsstraßen werden, die früher Wohnungszwecken dienten. Nicht nur in
der City, sondern auch in den verkehrsreichen Theilen des Westend nimmt
die Bevölkerung stetig ab und in demselben Verhältniß steigen die Bureaux
und Expeditionen in die höhern Stockwerke. So trennt sich die Stadt, abge¬
sehen von der City, die nur Geschäftsstadt ist, streng in Wohnungsstraßen
und -Bezirke und solche, die Geschäftszwecken dienen. In den letztern und
vorzüglich in der City sieht man denn auch dem entsprechend stattliche Ge¬
bäude gediegenster Ausführung, mit Marmor und polirtem Granit, von der
Macht und dem Reichthum der Handelsherrn beredtes Zeugniß ablegen.
Durch die Schaufenster und Expeditionen ausgedehnter Großhandlungen be¬
dingt, für die eine Trennung in verschiedene Stockwerke im höchsten Grade
unbequem wäre, zeigt sich dort überall eine mehr und mehr um sich greifende
Ausdehnung in die Breite, sehr häufig werden mehrere Häuser niedergerissen
um sie zu einem vereinigt wieder neu erstehen zu lassen.

Ganz anders verhält es sich dagegen mit den eigentlichen Wohnhäusern.
Da, wie gesagt, jede Familie ihr eigenes Haus haben will und doch dieses
Haus nur eine Wohnung, sehr oft von bescheidener Ausdehnung, bei theu¬
rem Grund, und Boden, enthalten soll, so folgt naturgemäß, daß die Häuser
möglichst schmale Fronten erhalten, während nach Möglichkeit die Höhe
zur Unterbringung der Wohnräume benutzt wird. Weniger wie 2 Fenster
Front pro Haus habe ich nicht gesehen, weniger läßt sich auch nicht gut
herstellen, aber die Zahl dieser Häuser ist sehr groß und jedenfalls viel bedeu¬
tender als die Zahl der Häuser mit 4 Fenster Front, ja sogar wohl größer
als die Zahl derjenigen mit 3, doch will ich das nicht bestimmt behaupten.

Diese Einrichtung hat unstreitig ihre guten Seiten, denn sie verhindert
ein allzu intensives Ausnutzen des Bauplatzes mit nichtsnutzigen Miethskaser¬
nen, die der Erbauer, selbst wenn er sie errichten wollte, den hiesigen Sitten
gemäß, überhaupt nicht vermiethen könnte. Die absolute Unmöglichkeit, die
Häuser schmaler zu machen als ein Zimmer Breite hat, und die Größe der
Wohnung, setzen den Dimensionen des Hauses ganz bestimmte Grenzen; höher
als 3 Stockwerke sind sie sehr selten; und wenn man hinzu rechnet, daß es,
Dank der ausgezeichneten Communikationsmittel Londons, ganz gleichgültig
ist, in welcher Gegend der Stadt oder deren Umgebung bis Sydenham und
Richmond hin man wohnt, so findet man eine Erklärung für diese billigen
Wohnungsmiethen. Unsere deutschen Miethen, die besonders in Berlin oft
ein Drittel und mehr des ganzen Einkommens verschlingen, sind eine so große


seinen untern Theilen zu Geschäftszwccken benutzt wird, fühlt sich der Eng¬
länder in demselben beunruhigt, er strebt danach, ein ruhigeres Heim zu
suchen und so macht es sich sehr schnell, daß ganze Straßen vollständig zu
Geschäftsstraßen werden, die früher Wohnungszwecken dienten. Nicht nur in
der City, sondern auch in den verkehrsreichen Theilen des Westend nimmt
die Bevölkerung stetig ab und in demselben Verhältniß steigen die Bureaux
und Expeditionen in die höhern Stockwerke. So trennt sich die Stadt, abge¬
sehen von der City, die nur Geschäftsstadt ist, streng in Wohnungsstraßen
und -Bezirke und solche, die Geschäftszwecken dienen. In den letztern und
vorzüglich in der City sieht man denn auch dem entsprechend stattliche Ge¬
bäude gediegenster Ausführung, mit Marmor und polirtem Granit, von der
Macht und dem Reichthum der Handelsherrn beredtes Zeugniß ablegen.
Durch die Schaufenster und Expeditionen ausgedehnter Großhandlungen be¬
dingt, für die eine Trennung in verschiedene Stockwerke im höchsten Grade
unbequem wäre, zeigt sich dort überall eine mehr und mehr um sich greifende
Ausdehnung in die Breite, sehr häufig werden mehrere Häuser niedergerissen
um sie zu einem vereinigt wieder neu erstehen zu lassen.

Ganz anders verhält es sich dagegen mit den eigentlichen Wohnhäusern.
Da, wie gesagt, jede Familie ihr eigenes Haus haben will und doch dieses
Haus nur eine Wohnung, sehr oft von bescheidener Ausdehnung, bei theu¬
rem Grund, und Boden, enthalten soll, so folgt naturgemäß, daß die Häuser
möglichst schmale Fronten erhalten, während nach Möglichkeit die Höhe
zur Unterbringung der Wohnräume benutzt wird. Weniger wie 2 Fenster
Front pro Haus habe ich nicht gesehen, weniger läßt sich auch nicht gut
herstellen, aber die Zahl dieser Häuser ist sehr groß und jedenfalls viel bedeu¬
tender als die Zahl der Häuser mit 4 Fenster Front, ja sogar wohl größer
als die Zahl derjenigen mit 3, doch will ich das nicht bestimmt behaupten.

Diese Einrichtung hat unstreitig ihre guten Seiten, denn sie verhindert
ein allzu intensives Ausnutzen des Bauplatzes mit nichtsnutzigen Miethskaser¬
nen, die der Erbauer, selbst wenn er sie errichten wollte, den hiesigen Sitten
gemäß, überhaupt nicht vermiethen könnte. Die absolute Unmöglichkeit, die
Häuser schmaler zu machen als ein Zimmer Breite hat, und die Größe der
Wohnung, setzen den Dimensionen des Hauses ganz bestimmte Grenzen; höher
als 3 Stockwerke sind sie sehr selten; und wenn man hinzu rechnet, daß es,
Dank der ausgezeichneten Communikationsmittel Londons, ganz gleichgültig
ist, in welcher Gegend der Stadt oder deren Umgebung bis Sydenham und
Richmond hin man wohnt, so findet man eine Erklärung für diese billigen
Wohnungsmiethen. Unsere deutschen Miethen, die besonders in Berlin oft
ein Drittel und mehr des ganzen Einkommens verschlingen, sind eine so große


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[0422] seinen untern Theilen zu Geschäftszwccken benutzt wird, fühlt sich der Eng¬ länder in demselben beunruhigt, er strebt danach, ein ruhigeres Heim zu suchen und so macht es sich sehr schnell, daß ganze Straßen vollständig zu Geschäftsstraßen werden, die früher Wohnungszwecken dienten. Nicht nur in der City, sondern auch in den verkehrsreichen Theilen des Westend nimmt die Bevölkerung stetig ab und in demselben Verhältniß steigen die Bureaux und Expeditionen in die höhern Stockwerke. So trennt sich die Stadt, abge¬ sehen von der City, die nur Geschäftsstadt ist, streng in Wohnungsstraßen und -Bezirke und solche, die Geschäftszwecken dienen. In den letztern und vorzüglich in der City sieht man denn auch dem entsprechend stattliche Ge¬ bäude gediegenster Ausführung, mit Marmor und polirtem Granit, von der Macht und dem Reichthum der Handelsherrn beredtes Zeugniß ablegen. Durch die Schaufenster und Expeditionen ausgedehnter Großhandlungen be¬ dingt, für die eine Trennung in verschiedene Stockwerke im höchsten Grade unbequem wäre, zeigt sich dort überall eine mehr und mehr um sich greifende Ausdehnung in die Breite, sehr häufig werden mehrere Häuser niedergerissen um sie zu einem vereinigt wieder neu erstehen zu lassen. Ganz anders verhält es sich dagegen mit den eigentlichen Wohnhäusern. Da, wie gesagt, jede Familie ihr eigenes Haus haben will und doch dieses Haus nur eine Wohnung, sehr oft von bescheidener Ausdehnung, bei theu¬ rem Grund, und Boden, enthalten soll, so folgt naturgemäß, daß die Häuser möglichst schmale Fronten erhalten, während nach Möglichkeit die Höhe zur Unterbringung der Wohnräume benutzt wird. Weniger wie 2 Fenster Front pro Haus habe ich nicht gesehen, weniger läßt sich auch nicht gut herstellen, aber die Zahl dieser Häuser ist sehr groß und jedenfalls viel bedeu¬ tender als die Zahl der Häuser mit 4 Fenster Front, ja sogar wohl größer als die Zahl derjenigen mit 3, doch will ich das nicht bestimmt behaupten. Diese Einrichtung hat unstreitig ihre guten Seiten, denn sie verhindert ein allzu intensives Ausnutzen des Bauplatzes mit nichtsnutzigen Miethskaser¬ nen, die der Erbauer, selbst wenn er sie errichten wollte, den hiesigen Sitten gemäß, überhaupt nicht vermiethen könnte. Die absolute Unmöglichkeit, die Häuser schmaler zu machen als ein Zimmer Breite hat, und die Größe der Wohnung, setzen den Dimensionen des Hauses ganz bestimmte Grenzen; höher als 3 Stockwerke sind sie sehr selten; und wenn man hinzu rechnet, daß es, Dank der ausgezeichneten Communikationsmittel Londons, ganz gleichgültig ist, in welcher Gegend der Stadt oder deren Umgebung bis Sydenham und Richmond hin man wohnt, so findet man eine Erklärung für diese billigen Wohnungsmiethen. Unsere deutschen Miethen, die besonders in Berlin oft ein Drittel und mehr des ganzen Einkommens verschlingen, sind eine so große

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/422>, abgerufen am 28.07.2024.