Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zufrieden, daß man nur hoffen durfte, daß ein Zusammenstoß werde vermie¬
den werden; die Nationalversammlung war fast soweit gekommen, daß sie,
seit sie am 12. Januar bei Gelegenheit der Debatte über das Mairesgesetz
die Waffen gestreckt hatte, in ihrer Schwäche und Unfähigkeit die einzige
Bürgschaft für ihre Existenz sah.


Georg Zelle.


Maudereien aus London.
2.

Während sich der Engländer mit Stolz rühmt, der Individualität und
Originalität des Einzelnen freien Spielraum zu lassen und nichts so sehr
verabscheut, als äußeren Zwang, selbst wenn derselbe aus den besten Absichten
entspringt, so folgt er andererseits doch beinahe sklavisch den jeweiligen Rich¬
tungen der Mode und hält mit einer Zähigkeit, die wirklich oft einer besseren
Sache werth wäre, an alten Einrichtungen und Gebräuchen fest, die zwar
im Allgemeinen manches Gute haben mögen, aber gerade den Einzelnen mit
dem allerschlimmsten Zwang belegen.

Wer erinnert sich nicht noch der Meetings, die allerwärts in England
vor wenigen Monaten gehalten wurden, um der deutschen Regierung und
dem deutschen Volke Sympathiebezeugungen zu dem Kampfe mit Rom zu
übersenden? Und nun, da die Consequenzen dieses Kampfes immer mehr
und schärfer hervortreten, da die Regierung gezwungen ist, gegen Rebellen,
theilweise unter Anwendung von äußerer Gewalt, einzuschreiten, nun nehmen
hervorragende Organe der Presse mehr oder minder offen für diese Rebellen
Partei und beinahe die ganze englische Presse zieht in einer oft geradezu
gehässigen Weise gegen die deutsche Regierung und die nationalgesinnte Presse
los, wo es sich um den Fall Arnim handelt.

Damals war es Mode, Deutschland zu huldigen, jetzt ist das Gegentheil
der Fall, damals war Gladstone's antiultramontane Richtung am Ruder und
jetzt haben sich die Engländer durch die patriotischen Briefe einiger hervor¬
ragenden Katholiken Sand in die Augen streuen lassen und können nicht
begreifen, warum wir Deutschen nicht desgleichen thun. Die englische Presse,
die sich soviel auf ihre Unabhängigkeit zu Gute thut, ist jedenfalls sehr ab¬
hängig von der öffentlichen Meinung und es ist wohl außer Frage, daß es
besser ist. einer einmal als gut erkannten Regierung treu, eventuell auch gegen
die öffentliche Meinung, zu folgen, als stets den Mantel nach dem Winde


zufrieden, daß man nur hoffen durfte, daß ein Zusammenstoß werde vermie¬
den werden; die Nationalversammlung war fast soweit gekommen, daß sie,
seit sie am 12. Januar bei Gelegenheit der Debatte über das Mairesgesetz
die Waffen gestreckt hatte, in ihrer Schwäche und Unfähigkeit die einzige
Bürgschaft für ihre Existenz sah.


Georg Zelle.


Maudereien aus London.
2.

Während sich der Engländer mit Stolz rühmt, der Individualität und
Originalität des Einzelnen freien Spielraum zu lassen und nichts so sehr
verabscheut, als äußeren Zwang, selbst wenn derselbe aus den besten Absichten
entspringt, so folgt er andererseits doch beinahe sklavisch den jeweiligen Rich¬
tungen der Mode und hält mit einer Zähigkeit, die wirklich oft einer besseren
Sache werth wäre, an alten Einrichtungen und Gebräuchen fest, die zwar
im Allgemeinen manches Gute haben mögen, aber gerade den Einzelnen mit
dem allerschlimmsten Zwang belegen.

Wer erinnert sich nicht noch der Meetings, die allerwärts in England
vor wenigen Monaten gehalten wurden, um der deutschen Regierung und
dem deutschen Volke Sympathiebezeugungen zu dem Kampfe mit Rom zu
übersenden? Und nun, da die Consequenzen dieses Kampfes immer mehr
und schärfer hervortreten, da die Regierung gezwungen ist, gegen Rebellen,
theilweise unter Anwendung von äußerer Gewalt, einzuschreiten, nun nehmen
hervorragende Organe der Presse mehr oder minder offen für diese Rebellen
Partei und beinahe die ganze englische Presse zieht in einer oft geradezu
gehässigen Weise gegen die deutsche Regierung und die nationalgesinnte Presse
los, wo es sich um den Fall Arnim handelt.

Damals war es Mode, Deutschland zu huldigen, jetzt ist das Gegentheil
der Fall, damals war Gladstone's antiultramontane Richtung am Ruder und
jetzt haben sich die Engländer durch die patriotischen Briefe einiger hervor¬
ragenden Katholiken Sand in die Augen streuen lassen und können nicht
begreifen, warum wir Deutschen nicht desgleichen thun. Die englische Presse,
die sich soviel auf ihre Unabhängigkeit zu Gute thut, ist jedenfalls sehr ab¬
hängig von der öffentlichen Meinung und es ist wohl außer Frage, daß es
besser ist. einer einmal als gut erkannten Regierung treu, eventuell auch gegen
die öffentliche Meinung, zu folgen, als stets den Mantel nach dem Winde


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132640"/>
          <p xml:id="ID_1212" prev="#ID_1211"> zufrieden, daß man nur hoffen durfte, daß ein Zusammenstoß werde vermie¬<lb/>
den werden; die Nationalversammlung war fast soweit gekommen, daß sie,<lb/>
seit sie am 12. Januar bei Gelegenheit der Debatte über das Mairesgesetz<lb/>
die Waffen gestreckt hatte, in ihrer Schwäche und Unfähigkeit die einzige<lb/>
Bürgschaft für ihre Existenz sah.</p><lb/>
          <note type="byline"> Georg Zelle.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maudereien aus London.<lb/>
2.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1213"> Während sich der Engländer mit Stolz rühmt, der Individualität und<lb/>
Originalität des Einzelnen freien Spielraum zu lassen und nichts so sehr<lb/>
verabscheut, als äußeren Zwang, selbst wenn derselbe aus den besten Absichten<lb/>
entspringt, so folgt er andererseits doch beinahe sklavisch den jeweiligen Rich¬<lb/>
tungen der Mode und hält mit einer Zähigkeit, die wirklich oft einer besseren<lb/>
Sache werth wäre, an alten Einrichtungen und Gebräuchen fest, die zwar<lb/>
im Allgemeinen manches Gute haben mögen, aber gerade den Einzelnen mit<lb/>
dem allerschlimmsten Zwang belegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1214"> Wer erinnert sich nicht noch der Meetings, die allerwärts in England<lb/>
vor wenigen Monaten gehalten wurden, um der deutschen Regierung und<lb/>
dem deutschen Volke Sympathiebezeugungen zu dem Kampfe mit Rom zu<lb/>
übersenden? Und nun, da die Consequenzen dieses Kampfes immer mehr<lb/>
und schärfer hervortreten, da die Regierung gezwungen ist, gegen Rebellen,<lb/>
theilweise unter Anwendung von äußerer Gewalt, einzuschreiten, nun nehmen<lb/>
hervorragende Organe der Presse mehr oder minder offen für diese Rebellen<lb/>
Partei und beinahe die ganze englische Presse zieht in einer oft geradezu<lb/>
gehässigen Weise gegen die deutsche Regierung und die nationalgesinnte Presse<lb/>
los, wo es sich um den Fall Arnim handelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1215" next="#ID_1216"> Damals war es Mode, Deutschland zu huldigen, jetzt ist das Gegentheil<lb/>
der Fall, damals war Gladstone's antiultramontane Richtung am Ruder und<lb/>
jetzt haben sich die Engländer durch die patriotischen Briefe einiger hervor¬<lb/>
ragenden Katholiken Sand in die Augen streuen lassen und können nicht<lb/>
begreifen, warum wir Deutschen nicht desgleichen thun. Die englische Presse,<lb/>
die sich soviel auf ihre Unabhängigkeit zu Gute thut, ist jedenfalls sehr ab¬<lb/>
hängig von der öffentlichen Meinung und es ist wohl außer Frage, daß es<lb/>
besser ist. einer einmal als gut erkannten Regierung treu, eventuell auch gegen<lb/>
die öffentliche Meinung, zu folgen, als stets den Mantel nach dem Winde</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0418] zufrieden, daß man nur hoffen durfte, daß ein Zusammenstoß werde vermie¬ den werden; die Nationalversammlung war fast soweit gekommen, daß sie, seit sie am 12. Januar bei Gelegenheit der Debatte über das Mairesgesetz die Waffen gestreckt hatte, in ihrer Schwäche und Unfähigkeit die einzige Bürgschaft für ihre Existenz sah. Georg Zelle. Maudereien aus London. 2. Während sich der Engländer mit Stolz rühmt, der Individualität und Originalität des Einzelnen freien Spielraum zu lassen und nichts so sehr verabscheut, als äußeren Zwang, selbst wenn derselbe aus den besten Absichten entspringt, so folgt er andererseits doch beinahe sklavisch den jeweiligen Rich¬ tungen der Mode und hält mit einer Zähigkeit, die wirklich oft einer besseren Sache werth wäre, an alten Einrichtungen und Gebräuchen fest, die zwar im Allgemeinen manches Gute haben mögen, aber gerade den Einzelnen mit dem allerschlimmsten Zwang belegen. Wer erinnert sich nicht noch der Meetings, die allerwärts in England vor wenigen Monaten gehalten wurden, um der deutschen Regierung und dem deutschen Volke Sympathiebezeugungen zu dem Kampfe mit Rom zu übersenden? Und nun, da die Consequenzen dieses Kampfes immer mehr und schärfer hervortreten, da die Regierung gezwungen ist, gegen Rebellen, theilweise unter Anwendung von äußerer Gewalt, einzuschreiten, nun nehmen hervorragende Organe der Presse mehr oder minder offen für diese Rebellen Partei und beinahe die ganze englische Presse zieht in einer oft geradezu gehässigen Weise gegen die deutsche Regierung und die nationalgesinnte Presse los, wo es sich um den Fall Arnim handelt. Damals war es Mode, Deutschland zu huldigen, jetzt ist das Gegentheil der Fall, damals war Gladstone's antiultramontane Richtung am Ruder und jetzt haben sich die Engländer durch die patriotischen Briefe einiger hervor¬ ragenden Katholiken Sand in die Augen streuen lassen und können nicht begreifen, warum wir Deutschen nicht desgleichen thun. Die englische Presse, die sich soviel auf ihre Unabhängigkeit zu Gute thut, ist jedenfalls sehr ab¬ hängig von der öffentlichen Meinung und es ist wohl außer Frage, daß es besser ist. einer einmal als gut erkannten Regierung treu, eventuell auch gegen die öffentliche Meinung, zu folgen, als stets den Mantel nach dem Winde

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/418>, abgerufen am 28.12.2024.