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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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und abwartenden Haltung dem Septennat gegenüber seinen Grund; ein
Theil der Bonapartisten wünschte auch wohl, in der Hoffnung, Mac Mahon
völlig für die kaiserliche Sache gewinnen zu können, ihn in einer möglichst
unabhängigen, von allen constitutionellen Schranken freien Stellung zu sehen.
Die große Mehrzahl der Conservativen aber hatte alle Ursache, den Wünschen
Mac Mahon's nach Organisirung des Provisoriums bereitwillig entgegen¬
zukommen, und zwar möglichst rasch, denn wer konnte wissen, ob Mac Mahon
nicht mit der Zeit zu der Einsicht gelangen werde, daß gerade die Regellosig¬
keit der öffentlichen Zustände ihn zum Schiedsrichter über die Zukunft des
Landes machen müsse? Einen besonderen Grund zur Beschleunigung der
Organisationsarbeiten, der sich allerdings nicht ganz unumwunden aussprechen
ließ, hatten die Orleanisten: sie waren die einzige Partei, die auf parlamen¬
tarischem Wege an das Ziel ihrer Wünsche zu gelangen hofften, sie bedurften
daher der constitutionellen Gesetze als Mittel, um die geplante orleanistische
Restauration vorzubereiten und einzuleiten.

An dem guten Willen, das Septennat zu organisiren, wie der stehende
Ausdruck war, gebrach es also der überwiegenden Mehrheit der Conservativen
nicht, sondern nur an der Fähigkeit. Auch die Legitimisten und Bonapartisten
würden sich schließlich zur Mitarbeit an den Verfassungsgesetzen haben bereit
finden lassen, wenn alle Gruppen der Mehrheit sich auf neutralem Boden
zusammengefunden hätten. Die Regierung sagte zwar: das Septennat ist
der neutrale Boden, in der That aber war und blieb das Septennat der
Ausgangspunkt für alle möglichen Sonderbestrebungen. Es war eben un¬
möglich, eine Verfassung zu ersinnen, die in keiner Weise der Zukunft vor¬
gegriffen hätte. Bei der Zusammensetzung des Senats, bet den Bestimmungen
über die Uebertragung der Gewalten handelte es sich, von den Republikanern,
um die man sich damals wenig kümmerte, abgesehen, doch vorzugsweise um
die dynastische Frage. Man mochte bet irgend einem diese Punkte be¬
treffenden Vorschlag die Tendenz aufs Sorgfältigste verhüllen, in diesen
Dingen besaßen die rivalisirenden Parteien einen durch ein sehr gerechtfertigtes
Mißtrauen zur höchsten Vollkommenheit ausgebildeten Scharfblick, der alle
Hüllen, hinter denen der Gegner seine Gedanken und Absichten zu verstecken
suchte, durchdrang. Der Waffenstillstand, auf dem die Existenz der Majorität
beruhte, war zu locker und zu wenig aufrichtig, um auf die Probe einer
Verfassungsdebatte gestellt werden zu können.

Unter diesen Umständen war es nicht zu verwundern, wenn der Aus¬
schuß, trotz allen Fleißes und guten Willens nicht von der Stelle kam. Um
die Arbeiten zu theilen und zu beschleunigen, hatte man einen Nebenausschuß
von 9 Mitgliedern ernannt, und demselben den Auftrag ertheilt, die Organi-


und abwartenden Haltung dem Septennat gegenüber seinen Grund; ein
Theil der Bonapartisten wünschte auch wohl, in der Hoffnung, Mac Mahon
völlig für die kaiserliche Sache gewinnen zu können, ihn in einer möglichst
unabhängigen, von allen constitutionellen Schranken freien Stellung zu sehen.
Die große Mehrzahl der Conservativen aber hatte alle Ursache, den Wünschen
Mac Mahon's nach Organisirung des Provisoriums bereitwillig entgegen¬
zukommen, und zwar möglichst rasch, denn wer konnte wissen, ob Mac Mahon
nicht mit der Zeit zu der Einsicht gelangen werde, daß gerade die Regellosig¬
keit der öffentlichen Zustände ihn zum Schiedsrichter über die Zukunft des
Landes machen müsse? Einen besonderen Grund zur Beschleunigung der
Organisationsarbeiten, der sich allerdings nicht ganz unumwunden aussprechen
ließ, hatten die Orleanisten: sie waren die einzige Partei, die auf parlamen¬
tarischem Wege an das Ziel ihrer Wünsche zu gelangen hofften, sie bedurften
daher der constitutionellen Gesetze als Mittel, um die geplante orleanistische
Restauration vorzubereiten und einzuleiten.

An dem guten Willen, das Septennat zu organisiren, wie der stehende
Ausdruck war, gebrach es also der überwiegenden Mehrheit der Conservativen
nicht, sondern nur an der Fähigkeit. Auch die Legitimisten und Bonapartisten
würden sich schließlich zur Mitarbeit an den Verfassungsgesetzen haben bereit
finden lassen, wenn alle Gruppen der Mehrheit sich auf neutralem Boden
zusammengefunden hätten. Die Regierung sagte zwar: das Septennat ist
der neutrale Boden, in der That aber war und blieb das Septennat der
Ausgangspunkt für alle möglichen Sonderbestrebungen. Es war eben un¬
möglich, eine Verfassung zu ersinnen, die in keiner Weise der Zukunft vor¬
gegriffen hätte. Bei der Zusammensetzung des Senats, bet den Bestimmungen
über die Uebertragung der Gewalten handelte es sich, von den Republikanern,
um die man sich damals wenig kümmerte, abgesehen, doch vorzugsweise um
die dynastische Frage. Man mochte bet irgend einem diese Punkte be¬
treffenden Vorschlag die Tendenz aufs Sorgfältigste verhüllen, in diesen
Dingen besaßen die rivalisirenden Parteien einen durch ein sehr gerechtfertigtes
Mißtrauen zur höchsten Vollkommenheit ausgebildeten Scharfblick, der alle
Hüllen, hinter denen der Gegner seine Gedanken und Absichten zu verstecken
suchte, durchdrang. Der Waffenstillstand, auf dem die Existenz der Majorität
beruhte, war zu locker und zu wenig aufrichtig, um auf die Probe einer
Verfassungsdebatte gestellt werden zu können.

Unter diesen Umständen war es nicht zu verwundern, wenn der Aus¬
schuß, trotz allen Fleißes und guten Willens nicht von der Stelle kam. Um
die Arbeiten zu theilen und zu beschleunigen, hatte man einen Nebenausschuß
von 9 Mitgliedern ernannt, und demselben den Auftrag ertheilt, die Organi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/411>, abgerufen am 28.07.2024.