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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Verfassungsgesetze eine Bestimmung aufgenommen zu sehen wünschten, welche
die Übertragung der Vollmachten Mac Mahon's für den Fall seines Rück¬
tritts, seines Todes oder des Ablaufs seiner siebenjährigen Präsidentschaft
regelte. Diesen Standpunkt nahmen die Orleanisten ein, weil sie als mäch¬
tigste parlamentarische Partei überzeugt waren, daß es ihnen mit Hülfe eines
aus Mitgliedern ihrer Partei zusammengesetzten Senates gelingen werde, den
Herzog von Aumale die Nachfolge zu sichern: während die Bonapartisten
darauf bestanden, daß Mac Mahon's Nachfolger nur von dem Volke selbst
ernannt werden könnte.

Die Republikaner hatten bei diesem chaotischen Gewirr dK verschieden¬
artigsten Absichten und Ansichten den Vortheil, daß sie mit einem bereits in
seinen Grundzügen ausgearbeiteten Verfassungsentwurfe in die Schranken
treten konnten. Denn die Dufaure'schen Entwürfe, die der Versammlung vor
der verhängnißvollen Katastrophe im Mai des vorigen Jahres vorgelegt
waren, galten den conservativen Republikanern, von einigen durch die Ver¬
hältnisse bedingten Abänderungen im Einzelnen abgesehen, als vollkommenstes
Ideal der Verfassung einer Republik, wie sie dieselbe sich dachten. Nach diesem Ent¬
wurf sollte neben die aus 500 Mitgliedern bestehende Repräsentantenkammer
mit fünfjährigem Mandat ein Senat aus 230 Mitgliedern bestehend, treten,
gewählt durch das allgemeine Stimmrecht, aber aus bestimmten Kategorien;
eine weitere Beschränkung war, daß die Mitglieder das dreißigste Lebensjahr
überschritten haben sollten, während für die Wählbarkeit zur Abgeordneten¬
kammer nur ein Alter von 25 Jahren erfordert wurde. Das Mandat der
Senatoren sollte zehnjährig sein, alle zwei Jahre sollte ein Fünftel aus¬
scheiden. Der Präsident sollte auf 5 Jahre durch ein aus dem Senat, der
Repräsentantenkammer und je drei Delegaten der Generalräthe erwählt werden
und das Recht zur Auflösung der Repräsentantenkammer unter Zustimmung
des Senates haben. Diesen Dufaure'schen Entwurf faßten in seinen wesent¬
lichen Bestimmungen die Republikaner auch jetzt noch ins Auge, wenn es sich
um die Constituirung der Republik handelte, während ihn alle Fraktionen
der conservativen Partei einstimmig für völlig unannehmbar erklärten. Schon
der eine Umstand, daß in dem Entwürfe die Präsidentenwürde als eine
bleibende, regelmäßige Institution organisirt wurde, genügte zur Verurtheilung
der ganzen Vorlage. Auch ein aus dem allgemeinen Wahlrecht hervor¬
gegangener Senat entsprach weder den Wünschen der Mehrheit, noch denen
der Negierung, die für sich selbst einen hervorragenden Antheil an der
Bildung der höchsten politischen Körperschaft forderte. Ein dritter Mangel
des Entwurfs war vom Standpunkt der Conservativen mit Ausnahme der
Bonapartisten die unbeschränkte Anerkennung des allgemeinen Sttmmrechts,


Verfassungsgesetze eine Bestimmung aufgenommen zu sehen wünschten, welche
die Übertragung der Vollmachten Mac Mahon's für den Fall seines Rück¬
tritts, seines Todes oder des Ablaufs seiner siebenjährigen Präsidentschaft
regelte. Diesen Standpunkt nahmen die Orleanisten ein, weil sie als mäch¬
tigste parlamentarische Partei überzeugt waren, daß es ihnen mit Hülfe eines
aus Mitgliedern ihrer Partei zusammengesetzten Senates gelingen werde, den
Herzog von Aumale die Nachfolge zu sichern: während die Bonapartisten
darauf bestanden, daß Mac Mahon's Nachfolger nur von dem Volke selbst
ernannt werden könnte.

Die Republikaner hatten bei diesem chaotischen Gewirr dK verschieden¬
artigsten Absichten und Ansichten den Vortheil, daß sie mit einem bereits in
seinen Grundzügen ausgearbeiteten Verfassungsentwurfe in die Schranken
treten konnten. Denn die Dufaure'schen Entwürfe, die der Versammlung vor
der verhängnißvollen Katastrophe im Mai des vorigen Jahres vorgelegt
waren, galten den conservativen Republikanern, von einigen durch die Ver¬
hältnisse bedingten Abänderungen im Einzelnen abgesehen, als vollkommenstes
Ideal der Verfassung einer Republik, wie sie dieselbe sich dachten. Nach diesem Ent¬
wurf sollte neben die aus 500 Mitgliedern bestehende Repräsentantenkammer
mit fünfjährigem Mandat ein Senat aus 230 Mitgliedern bestehend, treten,
gewählt durch das allgemeine Stimmrecht, aber aus bestimmten Kategorien;
eine weitere Beschränkung war, daß die Mitglieder das dreißigste Lebensjahr
überschritten haben sollten, während für die Wählbarkeit zur Abgeordneten¬
kammer nur ein Alter von 25 Jahren erfordert wurde. Das Mandat der
Senatoren sollte zehnjährig sein, alle zwei Jahre sollte ein Fünftel aus¬
scheiden. Der Präsident sollte auf 5 Jahre durch ein aus dem Senat, der
Repräsentantenkammer und je drei Delegaten der Generalräthe erwählt werden
und das Recht zur Auflösung der Repräsentantenkammer unter Zustimmung
des Senates haben. Diesen Dufaure'schen Entwurf faßten in seinen wesent¬
lichen Bestimmungen die Republikaner auch jetzt noch ins Auge, wenn es sich
um die Constituirung der Republik handelte, während ihn alle Fraktionen
der conservativen Partei einstimmig für völlig unannehmbar erklärten. Schon
der eine Umstand, daß in dem Entwürfe die Präsidentenwürde als eine
bleibende, regelmäßige Institution organisirt wurde, genügte zur Verurtheilung
der ganzen Vorlage. Auch ein aus dem allgemeinen Wahlrecht hervor¬
gegangener Senat entsprach weder den Wünschen der Mehrheit, noch denen
der Negierung, die für sich selbst einen hervorragenden Antheil an der
Bildung der höchsten politischen Körperschaft forderte. Ein dritter Mangel
des Entwurfs war vom Standpunkt der Conservativen mit Ausnahme der
Bonapartisten die unbeschränkte Anerkennung des allgemeinen Sttmmrechts,


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[0409] Verfassungsgesetze eine Bestimmung aufgenommen zu sehen wünschten, welche die Übertragung der Vollmachten Mac Mahon's für den Fall seines Rück¬ tritts, seines Todes oder des Ablaufs seiner siebenjährigen Präsidentschaft regelte. Diesen Standpunkt nahmen die Orleanisten ein, weil sie als mäch¬ tigste parlamentarische Partei überzeugt waren, daß es ihnen mit Hülfe eines aus Mitgliedern ihrer Partei zusammengesetzten Senates gelingen werde, den Herzog von Aumale die Nachfolge zu sichern: während die Bonapartisten darauf bestanden, daß Mac Mahon's Nachfolger nur von dem Volke selbst ernannt werden könnte. Die Republikaner hatten bei diesem chaotischen Gewirr dK verschieden¬ artigsten Absichten und Ansichten den Vortheil, daß sie mit einem bereits in seinen Grundzügen ausgearbeiteten Verfassungsentwurfe in die Schranken treten konnten. Denn die Dufaure'schen Entwürfe, die der Versammlung vor der verhängnißvollen Katastrophe im Mai des vorigen Jahres vorgelegt waren, galten den conservativen Republikanern, von einigen durch die Ver¬ hältnisse bedingten Abänderungen im Einzelnen abgesehen, als vollkommenstes Ideal der Verfassung einer Republik, wie sie dieselbe sich dachten. Nach diesem Ent¬ wurf sollte neben die aus 500 Mitgliedern bestehende Repräsentantenkammer mit fünfjährigem Mandat ein Senat aus 230 Mitgliedern bestehend, treten, gewählt durch das allgemeine Stimmrecht, aber aus bestimmten Kategorien; eine weitere Beschränkung war, daß die Mitglieder das dreißigste Lebensjahr überschritten haben sollten, während für die Wählbarkeit zur Abgeordneten¬ kammer nur ein Alter von 25 Jahren erfordert wurde. Das Mandat der Senatoren sollte zehnjährig sein, alle zwei Jahre sollte ein Fünftel aus¬ scheiden. Der Präsident sollte auf 5 Jahre durch ein aus dem Senat, der Repräsentantenkammer und je drei Delegaten der Generalräthe erwählt werden und das Recht zur Auflösung der Repräsentantenkammer unter Zustimmung des Senates haben. Diesen Dufaure'schen Entwurf faßten in seinen wesent¬ lichen Bestimmungen die Republikaner auch jetzt noch ins Auge, wenn es sich um die Constituirung der Republik handelte, während ihn alle Fraktionen der conservativen Partei einstimmig für völlig unannehmbar erklärten. Schon der eine Umstand, daß in dem Entwürfe die Präsidentenwürde als eine bleibende, regelmäßige Institution organisirt wurde, genügte zur Verurtheilung der ganzen Vorlage. Auch ein aus dem allgemeinen Wahlrecht hervor¬ gegangener Senat entsprach weder den Wünschen der Mehrheit, noch denen der Negierung, die für sich selbst einen hervorragenden Antheil an der Bildung der höchsten politischen Körperschaft forderte. Ein dritter Mangel des Entwurfs war vom Standpunkt der Conservativen mit Ausnahme der Bonapartisten die unbeschränkte Anerkennung des allgemeinen Sttmmrechts,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/409>, abgerufen am 28.07.2024.