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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Verfolgung ihrer Pläne sehen würde, ließ man dabei ganz außer Acht. Man
möge nur die Republik constituiren, die Regierung mit parlamentarischen
Einrichtungen umgeben, dann werde Vertrauen und innerer Frieden zurück¬
kehren. Es war das eine thörichte Hoffnung, aber begreiflich ist es immerhin,
daß man sie hegen konnte, daß man trotz aller traurigen Erfahrungen an
dem Vertrauen auf die Kraft der Institutionen festhielt. Denn wer diese
Hoffnung aufgab, dem blieb ja nur die Zuflucht zu der starken persönlichen
Regierung des Kaisertums übrig: des Kaiserthums, dem man schweigend
gegrollt hatte, so lange es bestand, und das man für Frankreichs Unglück
verantwortlich machte, nachdem es gefallen war.

Ueber die verfassungsmäßigen Bürgschaften würde sich zwischen den kon¬
stitutionellen Republikanern und den gemäßigten Monarchisten, die ja derselben
politischen Schule angehörten, wohl eine Verständigung haben erzielen lassen,
wenn die Oberhauptsfrage sie nicht getrennt hätte. Hier lag doch die un¬
überwindliche Schwierigkeit, an deren Ueberwindung die Dreißigercommission
sich vergebens zerarbeitete, das Problem, das sich um so unlösbarer erwies,
je eifriger man nach einer Lösung suchte. Man lebte in einem jeder Organi¬
sation entbehrenden Zustande, den man Republik nannte und nennen mußte,
eben weil es nicht die Monarchie war. Jetzt sollte man diesen Zustand or-
ganisiren. Dazu waren die Republikaner, wenigstens die gemäßigten, bereit,
und die radicalen würden sich sehr gern gefügt haben. Man war bereit, die
Herrschaft Mac Mahon's auf sieben Jahre anzuerkennen, aber ausdrücklich
als eine republikanische Gewalt. Die Republikaner hatten bei der Gründung
des Septennats deshalb ihre Zustimmung von der Bedingung abhängig ge¬
macht, daß die Constttuirung der Republik der Vollmachtenverlängerung
vorangehen müsse. Mit diesen Vorlagen waren sie nicht durchgedrungen,
das Septennat war gegründet, war die einzige staatsrechtlich feststehende, von
der Frage nach den Verfassungsgesetzen ganz unabhängige Thatsache ge¬
worden: sie hatten diese Thatsache anerkannt, forderten aber jetzt, daß bet der
Berathung und Beschlußfassung über die Verfassungsgesetze die Republik aus¬
drücklich als verfassungsmäßige Staatsform mit einem auf sieben Jahre ge¬
wählten Präsidenten an der Spitze anerkannt werde. Die Gegner der Republik
faßten dagegen das Septennat, so weit sie es überhaupt als unantastbar an¬
erkannt, als eine ganz besondere, keineswegs principiell republikanische Insti¬
tution auf, als eine Institution, die nicht die Republik begründen, sondern
die Monarchie vorbereiten solle. Aber auch unter den Monarchisten selbst
herrschten verschiedene Ansichten. Abgesehen von denjenigen, welche die bindende
Kraft des Beschlusses vom 20. November überhaupt in Frage stellten, wollten
einige das Septennat als ein rein persönliches Regiment organisiren, andere
wollten ihm insofern einen unpersönlichen Charakter geben, als sie in die


Verfolgung ihrer Pläne sehen würde, ließ man dabei ganz außer Acht. Man
möge nur die Republik constituiren, die Regierung mit parlamentarischen
Einrichtungen umgeben, dann werde Vertrauen und innerer Frieden zurück¬
kehren. Es war das eine thörichte Hoffnung, aber begreiflich ist es immerhin,
daß man sie hegen konnte, daß man trotz aller traurigen Erfahrungen an
dem Vertrauen auf die Kraft der Institutionen festhielt. Denn wer diese
Hoffnung aufgab, dem blieb ja nur die Zuflucht zu der starken persönlichen
Regierung des Kaisertums übrig: des Kaiserthums, dem man schweigend
gegrollt hatte, so lange es bestand, und das man für Frankreichs Unglück
verantwortlich machte, nachdem es gefallen war.

Ueber die verfassungsmäßigen Bürgschaften würde sich zwischen den kon¬
stitutionellen Republikanern und den gemäßigten Monarchisten, die ja derselben
politischen Schule angehörten, wohl eine Verständigung haben erzielen lassen,
wenn die Oberhauptsfrage sie nicht getrennt hätte. Hier lag doch die un¬
überwindliche Schwierigkeit, an deren Ueberwindung die Dreißigercommission
sich vergebens zerarbeitete, das Problem, das sich um so unlösbarer erwies,
je eifriger man nach einer Lösung suchte. Man lebte in einem jeder Organi¬
sation entbehrenden Zustande, den man Republik nannte und nennen mußte,
eben weil es nicht die Monarchie war. Jetzt sollte man diesen Zustand or-
ganisiren. Dazu waren die Republikaner, wenigstens die gemäßigten, bereit,
und die radicalen würden sich sehr gern gefügt haben. Man war bereit, die
Herrschaft Mac Mahon's auf sieben Jahre anzuerkennen, aber ausdrücklich
als eine republikanische Gewalt. Die Republikaner hatten bei der Gründung
des Septennats deshalb ihre Zustimmung von der Bedingung abhängig ge¬
macht, daß die Constttuirung der Republik der Vollmachtenverlängerung
vorangehen müsse. Mit diesen Vorlagen waren sie nicht durchgedrungen,
das Septennat war gegründet, war die einzige staatsrechtlich feststehende, von
der Frage nach den Verfassungsgesetzen ganz unabhängige Thatsache ge¬
worden: sie hatten diese Thatsache anerkannt, forderten aber jetzt, daß bet der
Berathung und Beschlußfassung über die Verfassungsgesetze die Republik aus¬
drücklich als verfassungsmäßige Staatsform mit einem auf sieben Jahre ge¬
wählten Präsidenten an der Spitze anerkannt werde. Die Gegner der Republik
faßten dagegen das Septennat, so weit sie es überhaupt als unantastbar an¬
erkannt, als eine ganz besondere, keineswegs principiell republikanische Insti¬
tution auf, als eine Institution, die nicht die Republik begründen, sondern
die Monarchie vorbereiten solle. Aber auch unter den Monarchisten selbst
herrschten verschiedene Ansichten. Abgesehen von denjenigen, welche die bindende
Kraft des Beschlusses vom 20. November überhaupt in Frage stellten, wollten
einige das Septennat als ein rein persönliches Regiment organisiren, andere
wollten ihm insofern einen unpersönlichen Charakter geben, als sie in die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/408>, abgerufen am 28.07.2024.