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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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sich aus die äußere Sphäre der Staatsgewalt lenken und zum unmittelbaren
Organ seiner Anforderungen machen will, davon mag die Schreckenszeit der
französischen Revolution als klassisches Beispiel gelten. Das individuelle
Gewissen hat dem Staat gegenüber nur das Recht, die Abfassung der Gesetze,
so viel es vermag, zu beeinflussen, dann aber dieselben zu befolgen und, wenn
es dies nicht zu dürfen glaubt, den Staat zu verlassen, nicht aber das Bei¬
spiel der Auflehnung zu geben. Die Staatspflicht der Schonung des Ge¬
wissens aber ist eine unbedingte nur insoweit, als der Staat unter keinen
Umständen Meinungen, sondern nur Handlungen gebieten und erzwingen darf.

Es folgten kleinere Anträge und Vorlagen, welche an die Geschäfts-
ordnungs-Commission und an die Budgetcommission verwiesen wurden. Den
Schluß der Sitzung bildete die erste Lesung einer Regierungsvorlage. be¬
treffend die Steuerfreiheit des Neichseinkommens. Diese Vorlage, sowie an¬
dere ähnliche Bestimmungen über die Steuerfreiheit der Reichsbeamten in den
Gemeinden u. s. w. würden gar nicht nöthig sein, wenn wir zu einer ratio¬
nellen Vertheilung der Steuerquellen zwischen Gemeinde-, Orts-, Kreis- und
Provinzial-Gemeinde-Einzelstaat und Reich bereits gelangt wären.

Die natürliche Einnahmequelle der Gemeinden ist die Grund- und
Gebäudesteuer und von dieser sollten unseres Erachtens auch die öffentlichen
Gebäude der Einzelstaaten und des Reichs nicht ausgenommen sein, schon
darum nicht, damit Einzelstaat und Reich in den wichtigsten Gemeinden eine
unmittelbare Mitwirkung nicht entbehren, wie sie die Folge der Steuer¬
entrichtung sein muß. Da wir in Deutschland den Gemeinden die richtige
Steuerquelle noch nicht überwiesen haben, so versuchen diese ihre steuerfordernde
Hand auf Alles zu legen, worauf sie kein Recht haben, sogar auf Post und
Telegraphie. Dieser Zustand macht Vorlagen wie die erwähnte unvermeidlich.
Statt der Palliativmittel sollte man aber ernstlich an die einzige durch-
greifende und gesunde Abhülfe denken. --

In seiner 16. Sitzung am 24. November trat der Reichstag in die erste
Berathung der drei großen Justizgesetze über die Gerichtsverfassung, die
Strafprozeßordnung und die Civilprozeßordnung. Die Gesetzentwürfe sollten
in der eben aufgeführten Ordnung zur Lesung kommen, und so ist es auch
geschehen. Der Reichstag war jedoch übereingekommen, daß bei der ersten
Lesung des Gesetzes über die Gerichtsverfassung die Redner sich gleichzeitig
über alle drei Gesetzentwürfe verbreiten dürften. Daher gestaltete sich diese
erste Lesung zu einer Generaldiscussion über die deutsche Justizreform im
Ganzen, soweit sie bis jetzt dem Reichstag vorliegt. Diese Generaldiscussion
nahm zwei Sitzungen in Anspruch, die erste Lesung der beiden anderen Gesetzt
je eine. "

Die Generaldiscussion bei Gelegenheit des ersten Gesetzes, obwohl die


sich aus die äußere Sphäre der Staatsgewalt lenken und zum unmittelbaren
Organ seiner Anforderungen machen will, davon mag die Schreckenszeit der
französischen Revolution als klassisches Beispiel gelten. Das individuelle
Gewissen hat dem Staat gegenüber nur das Recht, die Abfassung der Gesetze,
so viel es vermag, zu beeinflussen, dann aber dieselben zu befolgen und, wenn
es dies nicht zu dürfen glaubt, den Staat zu verlassen, nicht aber das Bei¬
spiel der Auflehnung zu geben. Die Staatspflicht der Schonung des Ge¬
wissens aber ist eine unbedingte nur insoweit, als der Staat unter keinen
Umständen Meinungen, sondern nur Handlungen gebieten und erzwingen darf.

Es folgten kleinere Anträge und Vorlagen, welche an die Geschäfts-
ordnungs-Commission und an die Budgetcommission verwiesen wurden. Den
Schluß der Sitzung bildete die erste Lesung einer Regierungsvorlage. be¬
treffend die Steuerfreiheit des Neichseinkommens. Diese Vorlage, sowie an¬
dere ähnliche Bestimmungen über die Steuerfreiheit der Reichsbeamten in den
Gemeinden u. s. w. würden gar nicht nöthig sein, wenn wir zu einer ratio¬
nellen Vertheilung der Steuerquellen zwischen Gemeinde-, Orts-, Kreis- und
Provinzial-Gemeinde-Einzelstaat und Reich bereits gelangt wären.

Die natürliche Einnahmequelle der Gemeinden ist die Grund- und
Gebäudesteuer und von dieser sollten unseres Erachtens auch die öffentlichen
Gebäude der Einzelstaaten und des Reichs nicht ausgenommen sein, schon
darum nicht, damit Einzelstaat und Reich in den wichtigsten Gemeinden eine
unmittelbare Mitwirkung nicht entbehren, wie sie die Folge der Steuer¬
entrichtung sein muß. Da wir in Deutschland den Gemeinden die richtige
Steuerquelle noch nicht überwiesen haben, so versuchen diese ihre steuerfordernde
Hand auf Alles zu legen, worauf sie kein Recht haben, sogar auf Post und
Telegraphie. Dieser Zustand macht Vorlagen wie die erwähnte unvermeidlich.
Statt der Palliativmittel sollte man aber ernstlich an die einzige durch-
greifende und gesunde Abhülfe denken. —

In seiner 16. Sitzung am 24. November trat der Reichstag in die erste
Berathung der drei großen Justizgesetze über die Gerichtsverfassung, die
Strafprozeßordnung und die Civilprozeßordnung. Die Gesetzentwürfe sollten
in der eben aufgeführten Ordnung zur Lesung kommen, und so ist es auch
geschehen. Der Reichstag war jedoch übereingekommen, daß bei der ersten
Lesung des Gesetzes über die Gerichtsverfassung die Redner sich gleichzeitig
über alle drei Gesetzentwürfe verbreiten dürften. Daher gestaltete sich diese
erste Lesung zu einer Generaldiscussion über die deutsche Justizreform im
Ganzen, soweit sie bis jetzt dem Reichstag vorliegt. Diese Generaldiscussion
nahm zwei Sitzungen in Anspruch, die erste Lesung der beiden anderen Gesetzt
je eine. »

Die Generaldiscussion bei Gelegenheit des ersten Gesetzes, obwohl die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/396>, abgerufen am 28.07.2024.