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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Mißgriffe der Polizei erzählt, ohne gleichzeitig etwaige Parteinahme gegen
polizeiliches Einschreiten, das sich auf offener Straße nothwendig machte, mit
derselben Strenge und Schärfe zu rügen, selbst auf die Gefahr hin, dadurch
einige Abonnenten zu verlieren, so ist das nicht geeignet, auf die Polizei
bessernd und fördernd einzuwirken.

Ich wollte von London berichten und bin dabei nach Berlin gekommen,
es ist aber auch zu naheliegend, die hiesigen Zustände mit denen unserer
Hauptstadt zu vergleichen, um daraus nach Möglichkeit für uns Nutzen zu
ziehen. In jedem Deutschen, der seine Hauptstadt lieb hat. muß der Wunsch
rege werden, wenn er die hiesigen Verhältnisse kennen lernt, von denselben
möglichst viel für Deutschland nutzbar zu machen und da sind es vor allen
Dingen die Verkehrsverhältnisse, die hier wohlthuend in die Augen fallen.

Trotzdem der Berliner Straßenverkehr bei weitem nicht so bedeutend ist,
wie der hiesige, trotzdem die Berliner Straßen größtenteils breiter sind wie
die hiesigen, macht sich der betäubende Straßenverkehr in Berlin an vielen
Punkten in viel unangenehmerer Weise bemerkbar als hier, und es ist das
ganz gewiß dem oben gerügten Verhalten der Berliner selbst zuzuschreiben.
Alle die Vorschriften, die zur Regelung eines so immensen Verkehrs nothwen¬
dig sind, werden hier überall streng befolgt, auch da wo keine Schutzleute
aufgestellt sind; in Berlin dagegen selbst da kaum und überall da, wo keine
Polizei ist, mit Vorliebe übertreten. Hier ist jeder von dem Gefühl durchdrun¬
gen, daß er allen gesetzlichen und polizeilichen Anordnungen unbedingte Folge
leisten muß, er weiß, daß er dabei am Besten fährt und so sucht auch auf der
andern Seite die Polizei mit rühmlichem Eifer darnach ihre Maaßregeln und
Anordnungen immer sorgfältiger, richtiger und praktischer zu treffen. Man ist
sich gegenseitig bewußt, daß man nicht nur Rechte sondern auch Pflichten hat,
und in dieser Beziehung können wir Deutschen noch sehr viel von den Eng¬
ländern lernen. Die englischen Zustände sind in dieser Hinsicht beinahe ideale
zu nennen, wenigstens werden wir sie, besonders in Berlin nie erreichen, weil
die Bevölkerung eine zu verschiedene ist, der Berliner wird nie von seinem
scharfen beißenden Spott lassen können, der so leicht zu gegenseitiger Verbissen¬
heit führt und sehr begreiflicher Weise nur die Mißgriffe der Behörden sieht-
Man könnte übrigens nach dem oben Gesagten vielleicht glauben, daß in
London die Polizei niemals gegeißelt, niemals ins Bereich des Lächerlichen
gezogen würde und da diese Ansicht eine falsche wäre, so will ich hier aus-'
drücklich erwähnen, daß beinahe in jeder Posse ein Policemen als komische
Figur erscheint. Der Spott ist aber sehr harmloser Natur und besteht in der
Regel darin, daß die Polizeigewalt von Leuten, die die Londoner Verhältnisse
nicht kennen, zur Schlichtung von Streit und Unordnung angerufen wird, bei
ihrem Erscheinen aber alles schon wieder in schönster Ordnung findet. Die M-


Mißgriffe der Polizei erzählt, ohne gleichzeitig etwaige Parteinahme gegen
polizeiliches Einschreiten, das sich auf offener Straße nothwendig machte, mit
derselben Strenge und Schärfe zu rügen, selbst auf die Gefahr hin, dadurch
einige Abonnenten zu verlieren, so ist das nicht geeignet, auf die Polizei
bessernd und fördernd einzuwirken.

Ich wollte von London berichten und bin dabei nach Berlin gekommen,
es ist aber auch zu naheliegend, die hiesigen Zustände mit denen unserer
Hauptstadt zu vergleichen, um daraus nach Möglichkeit für uns Nutzen zu
ziehen. In jedem Deutschen, der seine Hauptstadt lieb hat. muß der Wunsch
rege werden, wenn er die hiesigen Verhältnisse kennen lernt, von denselben
möglichst viel für Deutschland nutzbar zu machen und da sind es vor allen
Dingen die Verkehrsverhältnisse, die hier wohlthuend in die Augen fallen.

Trotzdem der Berliner Straßenverkehr bei weitem nicht so bedeutend ist,
wie der hiesige, trotzdem die Berliner Straßen größtenteils breiter sind wie
die hiesigen, macht sich der betäubende Straßenverkehr in Berlin an vielen
Punkten in viel unangenehmerer Weise bemerkbar als hier, und es ist das
ganz gewiß dem oben gerügten Verhalten der Berliner selbst zuzuschreiben.
Alle die Vorschriften, die zur Regelung eines so immensen Verkehrs nothwen¬
dig sind, werden hier überall streng befolgt, auch da wo keine Schutzleute
aufgestellt sind; in Berlin dagegen selbst da kaum und überall da, wo keine
Polizei ist, mit Vorliebe übertreten. Hier ist jeder von dem Gefühl durchdrun¬
gen, daß er allen gesetzlichen und polizeilichen Anordnungen unbedingte Folge
leisten muß, er weiß, daß er dabei am Besten fährt und so sucht auch auf der
andern Seite die Polizei mit rühmlichem Eifer darnach ihre Maaßregeln und
Anordnungen immer sorgfältiger, richtiger und praktischer zu treffen. Man ist
sich gegenseitig bewußt, daß man nicht nur Rechte sondern auch Pflichten hat,
und in dieser Beziehung können wir Deutschen noch sehr viel von den Eng¬
ländern lernen. Die englischen Zustände sind in dieser Hinsicht beinahe ideale
zu nennen, wenigstens werden wir sie, besonders in Berlin nie erreichen, weil
die Bevölkerung eine zu verschiedene ist, der Berliner wird nie von seinem
scharfen beißenden Spott lassen können, der so leicht zu gegenseitiger Verbissen¬
heit führt und sehr begreiflicher Weise nur die Mißgriffe der Behörden sieht-
Man könnte übrigens nach dem oben Gesagten vielleicht glauben, daß in
London die Polizei niemals gegeißelt, niemals ins Bereich des Lächerlichen
gezogen würde und da diese Ansicht eine falsche wäre, so will ich hier aus-'
drücklich erwähnen, daß beinahe in jeder Posse ein Policemen als komische
Figur erscheint. Der Spott ist aber sehr harmloser Natur und besteht in der
Regel darin, daß die Polizeigewalt von Leuten, die die Londoner Verhältnisse
nicht kennen, zur Schlichtung von Streit und Unordnung angerufen wird, bei
ihrem Erscheinen aber alles schon wieder in schönster Ordnung findet. Die M-


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[0384] Mißgriffe der Polizei erzählt, ohne gleichzeitig etwaige Parteinahme gegen polizeiliches Einschreiten, das sich auf offener Straße nothwendig machte, mit derselben Strenge und Schärfe zu rügen, selbst auf die Gefahr hin, dadurch einige Abonnenten zu verlieren, so ist das nicht geeignet, auf die Polizei bessernd und fördernd einzuwirken. Ich wollte von London berichten und bin dabei nach Berlin gekommen, es ist aber auch zu naheliegend, die hiesigen Zustände mit denen unserer Hauptstadt zu vergleichen, um daraus nach Möglichkeit für uns Nutzen zu ziehen. In jedem Deutschen, der seine Hauptstadt lieb hat. muß der Wunsch rege werden, wenn er die hiesigen Verhältnisse kennen lernt, von denselben möglichst viel für Deutschland nutzbar zu machen und da sind es vor allen Dingen die Verkehrsverhältnisse, die hier wohlthuend in die Augen fallen. Trotzdem der Berliner Straßenverkehr bei weitem nicht so bedeutend ist, wie der hiesige, trotzdem die Berliner Straßen größtenteils breiter sind wie die hiesigen, macht sich der betäubende Straßenverkehr in Berlin an vielen Punkten in viel unangenehmerer Weise bemerkbar als hier, und es ist das ganz gewiß dem oben gerügten Verhalten der Berliner selbst zuzuschreiben. Alle die Vorschriften, die zur Regelung eines so immensen Verkehrs nothwen¬ dig sind, werden hier überall streng befolgt, auch da wo keine Schutzleute aufgestellt sind; in Berlin dagegen selbst da kaum und überall da, wo keine Polizei ist, mit Vorliebe übertreten. Hier ist jeder von dem Gefühl durchdrun¬ gen, daß er allen gesetzlichen und polizeilichen Anordnungen unbedingte Folge leisten muß, er weiß, daß er dabei am Besten fährt und so sucht auch auf der andern Seite die Polizei mit rühmlichem Eifer darnach ihre Maaßregeln und Anordnungen immer sorgfältiger, richtiger und praktischer zu treffen. Man ist sich gegenseitig bewußt, daß man nicht nur Rechte sondern auch Pflichten hat, und in dieser Beziehung können wir Deutschen noch sehr viel von den Eng¬ ländern lernen. Die englischen Zustände sind in dieser Hinsicht beinahe ideale zu nennen, wenigstens werden wir sie, besonders in Berlin nie erreichen, weil die Bevölkerung eine zu verschiedene ist, der Berliner wird nie von seinem scharfen beißenden Spott lassen können, der so leicht zu gegenseitiger Verbissen¬ heit führt und sehr begreiflicher Weise nur die Mißgriffe der Behörden sieht- Man könnte übrigens nach dem oben Gesagten vielleicht glauben, daß in London die Polizei niemals gegeißelt, niemals ins Bereich des Lächerlichen gezogen würde und da diese Ansicht eine falsche wäre, so will ich hier aus-' drücklich erwähnen, daß beinahe in jeder Posse ein Policemen als komische Figur erscheint. Der Spott ist aber sehr harmloser Natur und besteht in der Regel darin, daß die Polizeigewalt von Leuten, die die Londoner Verhältnisse nicht kennen, zur Schlichtung von Streit und Unordnung angerufen wird, bei ihrem Erscheinen aber alles schon wieder in schönster Ordnung findet. Die M-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/384>, abgerufen am 28.07.2024.