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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Frage in den Kammern von einem möglichen Rücktritt des Ministeriums oder
eines einzelnen Ministers reden wollte, nahezu für nicht recht bei Sinnen,
allermindestens aber für einen sehr sonderbaren Schwärmer angesehen werden
würde. Nur die Aristokratie hat bisweilen versucht, einen Minister zu stürzen,
indeß weniger durch ein Kammervotum, als durch eine beiher gehende Agita¬
tion gegen den von ihr Verfehmten im socialen Verkehr mit den höchst¬
gestellten Personen am Hofe, Mit Lindenau, dem allzu liberal und bürgerlich
gesinnten Minister, gelang ihr dies im Jahre 1844 wirklich. Beim Landtage
1871/73 machte sie einen solchen Sturmlauf gegen den Minister des Innern
Von Nostiz-Wallwitz, -- nicht wie der Verfasser erzählt, bei Anlaß der
"Verfassungsrevision", vielmehr bei den Organisationsgesetzen. Diesmal mi߬
glückte es, weil die liberale Mehrheit der II. Kammer zu dem von der Aristo¬
kratie angefochtenen Minister hielt und selbst mit einigen Opfern an ihren
liberalen Wünschen auf ein Zustandekommen des Organisationswerkes hin¬
drängte, so daß die adlichen Frondeurs, wollten sie nicht ihre Hintergedanken
gänzlich verrathen, wohl oder übel auf ein Compromiß eingehen mußten.
Aber wie gesagt, die Aristokratie würde es nicht unnatürlich finden, wenn
einmal der oder jener aus den Reihen der Ihrigen gleich dem Cincinnatus
vom Pfluge weggeholt und auf einen Ministerstuhl gesetzt würde, und wäre
^ auch ein vormaliger Cavalerielieutenant ohne gelehrte Bildung. Auch die
Büreaukratie würde sich, wenn schon murrend, darein finden. Dagegen an
ein sog. parlamentarisches Ministerium aus der Mitte des Bürgerthums, dem
die liberale Partei ausschließlich entstammt (einen liberalen Adel giebt es
w Sachsen leider nicht), auch nur zu denken, erscheint sowohl der Aristokratie
Wie der Büreaukratie als unerhört, als einfach lächerlich. Die kurze Zeit,
^vo das Princip der parlamentarischen Regierung auch in Sachsen factisch
S^t (vom 16. März 1848 bis 30. April 1849). war zu kurz, um jene
Tradition zu erschüttern; auch muß man gestehen, daß das Märzministerium
Probe einer auf politischen Parteigrundsätzen, nicht auf büreaukratischer
Schulung fußender Regierung nicht allewege glänzend bestand.

Die sächsische Regierung rechnet sich daher auch zu keiner Partei und
"irnrnt es sehr übel, wenn man ihr eine bestimmte Parteistellung anweist;
^ steht "über den Parteien". Das hindert nicht, daß sie die eine Partei
conservattve) mit allen ihren büreaukratischen Mitteln bei den Wahlen
^"terstützt oder doch unterstützen läßt, die andere (die liberale oder die national-
"berale) mit allem Eiser, unter Umständen "bis aufs Messer" bekämpft --
Nichtsdestoweniger ist und bleibt sie parteilos, gleichsam politisch geschlechtslos,
^ ist nichts als eben "Regierung". Und daher macht es ihr nichts aus,
^cum auch die grundsätzlich zu ihr haltende Partei, oder wenn sie selbst ge¬
flogen wird -- sie läßt die feindlichen Mächte tief unter sich grollend


Frage in den Kammern von einem möglichen Rücktritt des Ministeriums oder
eines einzelnen Ministers reden wollte, nahezu für nicht recht bei Sinnen,
allermindestens aber für einen sehr sonderbaren Schwärmer angesehen werden
würde. Nur die Aristokratie hat bisweilen versucht, einen Minister zu stürzen,
indeß weniger durch ein Kammervotum, als durch eine beiher gehende Agita¬
tion gegen den von ihr Verfehmten im socialen Verkehr mit den höchst¬
gestellten Personen am Hofe, Mit Lindenau, dem allzu liberal und bürgerlich
gesinnten Minister, gelang ihr dies im Jahre 1844 wirklich. Beim Landtage
1871/73 machte sie einen solchen Sturmlauf gegen den Minister des Innern
Von Nostiz-Wallwitz, — nicht wie der Verfasser erzählt, bei Anlaß der
»Verfassungsrevision", vielmehr bei den Organisationsgesetzen. Diesmal mi߬
glückte es, weil die liberale Mehrheit der II. Kammer zu dem von der Aristo¬
kratie angefochtenen Minister hielt und selbst mit einigen Opfern an ihren
liberalen Wünschen auf ein Zustandekommen des Organisationswerkes hin¬
drängte, so daß die adlichen Frondeurs, wollten sie nicht ihre Hintergedanken
gänzlich verrathen, wohl oder übel auf ein Compromiß eingehen mußten.
Aber wie gesagt, die Aristokratie würde es nicht unnatürlich finden, wenn
einmal der oder jener aus den Reihen der Ihrigen gleich dem Cincinnatus
vom Pfluge weggeholt und auf einen Ministerstuhl gesetzt würde, und wäre
^ auch ein vormaliger Cavalerielieutenant ohne gelehrte Bildung. Auch die
Büreaukratie würde sich, wenn schon murrend, darein finden. Dagegen an
ein sog. parlamentarisches Ministerium aus der Mitte des Bürgerthums, dem
die liberale Partei ausschließlich entstammt (einen liberalen Adel giebt es
w Sachsen leider nicht), auch nur zu denken, erscheint sowohl der Aristokratie
Wie der Büreaukratie als unerhört, als einfach lächerlich. Die kurze Zeit,
^vo das Princip der parlamentarischen Regierung auch in Sachsen factisch
S^t (vom 16. März 1848 bis 30. April 1849). war zu kurz, um jene
Tradition zu erschüttern; auch muß man gestehen, daß das Märzministerium
Probe einer auf politischen Parteigrundsätzen, nicht auf büreaukratischer
Schulung fußender Regierung nicht allewege glänzend bestand.

Die sächsische Regierung rechnet sich daher auch zu keiner Partei und
"irnrnt es sehr übel, wenn man ihr eine bestimmte Parteistellung anweist;
^ steht „über den Parteien". Das hindert nicht, daß sie die eine Partei
conservattve) mit allen ihren büreaukratischen Mitteln bei den Wahlen
^"terstützt oder doch unterstützen läßt, die andere (die liberale oder die national-
"berale) mit allem Eiser, unter Umständen „bis aufs Messer" bekämpft —
Nichtsdestoweniger ist und bleibt sie parteilos, gleichsam politisch geschlechtslos,
^ ist nichts als eben „Regierung". Und daher macht es ihr nichts aus,
^cum auch die grundsätzlich zu ihr haltende Partei, oder wenn sie selbst ge¬
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[0353] Frage in den Kammern von einem möglichen Rücktritt des Ministeriums oder eines einzelnen Ministers reden wollte, nahezu für nicht recht bei Sinnen, allermindestens aber für einen sehr sonderbaren Schwärmer angesehen werden würde. Nur die Aristokratie hat bisweilen versucht, einen Minister zu stürzen, indeß weniger durch ein Kammervotum, als durch eine beiher gehende Agita¬ tion gegen den von ihr Verfehmten im socialen Verkehr mit den höchst¬ gestellten Personen am Hofe, Mit Lindenau, dem allzu liberal und bürgerlich gesinnten Minister, gelang ihr dies im Jahre 1844 wirklich. Beim Landtage 1871/73 machte sie einen solchen Sturmlauf gegen den Minister des Innern Von Nostiz-Wallwitz, — nicht wie der Verfasser erzählt, bei Anlaß der »Verfassungsrevision", vielmehr bei den Organisationsgesetzen. Diesmal mi߬ glückte es, weil die liberale Mehrheit der II. Kammer zu dem von der Aristo¬ kratie angefochtenen Minister hielt und selbst mit einigen Opfern an ihren liberalen Wünschen auf ein Zustandekommen des Organisationswerkes hin¬ drängte, so daß die adlichen Frondeurs, wollten sie nicht ihre Hintergedanken gänzlich verrathen, wohl oder übel auf ein Compromiß eingehen mußten. Aber wie gesagt, die Aristokratie würde es nicht unnatürlich finden, wenn einmal der oder jener aus den Reihen der Ihrigen gleich dem Cincinnatus vom Pfluge weggeholt und auf einen Ministerstuhl gesetzt würde, und wäre ^ auch ein vormaliger Cavalerielieutenant ohne gelehrte Bildung. Auch die Büreaukratie würde sich, wenn schon murrend, darein finden. Dagegen an ein sog. parlamentarisches Ministerium aus der Mitte des Bürgerthums, dem die liberale Partei ausschließlich entstammt (einen liberalen Adel giebt es w Sachsen leider nicht), auch nur zu denken, erscheint sowohl der Aristokratie Wie der Büreaukratie als unerhört, als einfach lächerlich. Die kurze Zeit, ^vo das Princip der parlamentarischen Regierung auch in Sachsen factisch S^t (vom 16. März 1848 bis 30. April 1849). war zu kurz, um jene Tradition zu erschüttern; auch muß man gestehen, daß das Märzministerium Probe einer auf politischen Parteigrundsätzen, nicht auf büreaukratischer Schulung fußender Regierung nicht allewege glänzend bestand. Die sächsische Regierung rechnet sich daher auch zu keiner Partei und "irnrnt es sehr übel, wenn man ihr eine bestimmte Parteistellung anweist; ^ steht „über den Parteien". Das hindert nicht, daß sie die eine Partei conservattve) mit allen ihren büreaukratischen Mitteln bei den Wahlen ^"terstützt oder doch unterstützen läßt, die andere (die liberale oder die national- "berale) mit allem Eiser, unter Umständen „bis aufs Messer" bekämpft — Nichtsdestoweniger ist und bleibt sie parteilos, gleichsam politisch geschlechtslos, ^ ist nichts als eben „Regierung". Und daher macht es ihr nichts aus, ^cum auch die grundsätzlich zu ihr haltende Partei, oder wenn sie selbst ge¬ flogen wird — sie läßt die feindlichen Mächte tief unter sich grollend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/353>, abgerufen am 28.07.2024.