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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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und gutes Gewicht gleichermaßen. Sehr oft, wenn man eine von ihren leich¬
testen, luftigsten Nlltagsbehauptungen zu wägen wünschte, würde man eine
Heuwage nöthig haben."

Der Mittelpunkt unsres Interesses bietet natürlich der Besuch bei dem
Mormonenkönig Brigham Joung. Sie gingen dorthin zur Staatsvisite, nach¬
dem sie weiße Hemden angezogen, "Er schien ein ruhiger, freundlicher, behä¬
biger, würdiger, sich selbst in der Gewalt habender alter Herr von fünfund¬
fünfzig oder sechzig Jahren zu sein und hatte in seinem Auge eine sanfte
Pfiffigkeit, die wahrscheinlich dorthin gehörte. Er war sehr einfach gekleidet
und nahm, als wir eintraten, gerade seinen Strohhut ab. Er plauderte mit
unserm Secretär und gewissen Regierungsbeamten, die mit uns gekommen
waren, über Utah und die Indianer und Nevada und über allgemeine ameri¬
kanische Angelegenheiten und Fragen. Aber niemals zollte er mir irgend
Welche Aufmerksamkeit, trotzdem ich verschiedene Versuche machte, "ihn über
die Politik der Bundesregierung und seine hochmüthige Stellung ihr gegen¬
über auszuholen." Ich dachte, einige von den Sachen, die ich vorbrachte,
Wären ziemlich schön. Er aber blickte sich nur in weit auseinander liegenden
Zwischenpausen nach mir um, etwa so, wie ich eine wohlwollende alte Katze
sich umdunkelt gesehen habe, um zu erfahren, welches Kätzchen sich mit ihrem
Schwänze zu schaffen gemacht habe. Bald versank ich in entrüstetes Schweigen
Und blieb so bis zu Ende sitzen, heiß und roth und verwünschte ihn in meinem
Herzen als einen unwissenden Wilden. Aber er war ruhig. Seine Unterhal¬
tung mit jenen Herren floß so sanft und friedlich und musikalisch hin wie ein
Sommerbächlein. Als die Audienz beendigt war und wir uns aus seiner Ge¬
genwart zurückzogen, legte er mir die Hand auf den Kopf, strahlte auf mich
hernieder, als ob er mich bewunderte, und sagte zu meinem Bruder: "Ah
^ vermuthlich Ihr Kind! Knabe oder Mädchen?" -- Es folgen dann einige
Beispiele von der unumschränkten Macht dieses Königs.

Mark Twain's Aufenthalt in der Salzseestadt betrug nur zwei Tage,
"Und so hatten wir keine Zeit, um die gebräuchliche Untersuchung betreffs der
Wirkungen der Vielweiberei anzustellen und die üblichen statistischen Notizen
und Schlüsse zusammen zu kriegen, die man beisammen haben muß. wenn
>nan die Aufmerksamkeit der Nation nochmals auf diese Angelegenheit lenken
Ich hatte den Willen, es zu thun. Mit der sprudelnden Selbst¬
genügsamkeit der Jugend war ich begierig, mich kopfüber hineinzustürzen und
hier eine große Reform ins Leben zu rufen -- bis ich die mormonischen
Leiber sah. Dann fühlte ich mich gerührt. Mein Herz war klüger als mein
K°pf. Es erwärmte sich für diese armen, linkischer, ungewöhnlich häßlichen
^schöpfe, und als ich mich abwendete, um die großherzige Thräne, die mir
Auge getreten war, zu verbergen, sagte ich: "Nein, der Mann, welcher


und gutes Gewicht gleichermaßen. Sehr oft, wenn man eine von ihren leich¬
testen, luftigsten Nlltagsbehauptungen zu wägen wünschte, würde man eine
Heuwage nöthig haben."

Der Mittelpunkt unsres Interesses bietet natürlich der Besuch bei dem
Mormonenkönig Brigham Joung. Sie gingen dorthin zur Staatsvisite, nach¬
dem sie weiße Hemden angezogen, „Er schien ein ruhiger, freundlicher, behä¬
biger, würdiger, sich selbst in der Gewalt habender alter Herr von fünfund¬
fünfzig oder sechzig Jahren zu sein und hatte in seinem Auge eine sanfte
Pfiffigkeit, die wahrscheinlich dorthin gehörte. Er war sehr einfach gekleidet
und nahm, als wir eintraten, gerade seinen Strohhut ab. Er plauderte mit
unserm Secretär und gewissen Regierungsbeamten, die mit uns gekommen
waren, über Utah und die Indianer und Nevada und über allgemeine ameri¬
kanische Angelegenheiten und Fragen. Aber niemals zollte er mir irgend
Welche Aufmerksamkeit, trotzdem ich verschiedene Versuche machte, „ihn über
die Politik der Bundesregierung und seine hochmüthige Stellung ihr gegen¬
über auszuholen." Ich dachte, einige von den Sachen, die ich vorbrachte,
Wären ziemlich schön. Er aber blickte sich nur in weit auseinander liegenden
Zwischenpausen nach mir um, etwa so, wie ich eine wohlwollende alte Katze
sich umdunkelt gesehen habe, um zu erfahren, welches Kätzchen sich mit ihrem
Schwänze zu schaffen gemacht habe. Bald versank ich in entrüstetes Schweigen
Und blieb so bis zu Ende sitzen, heiß und roth und verwünschte ihn in meinem
Herzen als einen unwissenden Wilden. Aber er war ruhig. Seine Unterhal¬
tung mit jenen Herren floß so sanft und friedlich und musikalisch hin wie ein
Sommerbächlein. Als die Audienz beendigt war und wir uns aus seiner Ge¬
genwart zurückzogen, legte er mir die Hand auf den Kopf, strahlte auf mich
hernieder, als ob er mich bewunderte, und sagte zu meinem Bruder: „Ah
^ vermuthlich Ihr Kind! Knabe oder Mädchen?" — Es folgen dann einige
Beispiele von der unumschränkten Macht dieses Königs.

Mark Twain's Aufenthalt in der Salzseestadt betrug nur zwei Tage,
»Und so hatten wir keine Zeit, um die gebräuchliche Untersuchung betreffs der
Wirkungen der Vielweiberei anzustellen und die üblichen statistischen Notizen
und Schlüsse zusammen zu kriegen, die man beisammen haben muß. wenn
>nan die Aufmerksamkeit der Nation nochmals auf diese Angelegenheit lenken
Ich hatte den Willen, es zu thun. Mit der sprudelnden Selbst¬
genügsamkeit der Jugend war ich begierig, mich kopfüber hineinzustürzen und
hier eine große Reform ins Leben zu rufen — bis ich die mormonischen
Leiber sah. Dann fühlte ich mich gerührt. Mein Herz war klüger als mein
K°pf. Es erwärmte sich für diese armen, linkischer, ungewöhnlich häßlichen
^schöpfe, und als ich mich abwendete, um die großherzige Thräne, die mir
Auge getreten war, zu verbergen, sagte ich: „Nein, der Mann, welcher


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[0347] und gutes Gewicht gleichermaßen. Sehr oft, wenn man eine von ihren leich¬ testen, luftigsten Nlltagsbehauptungen zu wägen wünschte, würde man eine Heuwage nöthig haben." Der Mittelpunkt unsres Interesses bietet natürlich der Besuch bei dem Mormonenkönig Brigham Joung. Sie gingen dorthin zur Staatsvisite, nach¬ dem sie weiße Hemden angezogen, „Er schien ein ruhiger, freundlicher, behä¬ biger, würdiger, sich selbst in der Gewalt habender alter Herr von fünfund¬ fünfzig oder sechzig Jahren zu sein und hatte in seinem Auge eine sanfte Pfiffigkeit, die wahrscheinlich dorthin gehörte. Er war sehr einfach gekleidet und nahm, als wir eintraten, gerade seinen Strohhut ab. Er plauderte mit unserm Secretär und gewissen Regierungsbeamten, die mit uns gekommen waren, über Utah und die Indianer und Nevada und über allgemeine ameri¬ kanische Angelegenheiten und Fragen. Aber niemals zollte er mir irgend Welche Aufmerksamkeit, trotzdem ich verschiedene Versuche machte, „ihn über die Politik der Bundesregierung und seine hochmüthige Stellung ihr gegen¬ über auszuholen." Ich dachte, einige von den Sachen, die ich vorbrachte, Wären ziemlich schön. Er aber blickte sich nur in weit auseinander liegenden Zwischenpausen nach mir um, etwa so, wie ich eine wohlwollende alte Katze sich umdunkelt gesehen habe, um zu erfahren, welches Kätzchen sich mit ihrem Schwänze zu schaffen gemacht habe. Bald versank ich in entrüstetes Schweigen Und blieb so bis zu Ende sitzen, heiß und roth und verwünschte ihn in meinem Herzen als einen unwissenden Wilden. Aber er war ruhig. Seine Unterhal¬ tung mit jenen Herren floß so sanft und friedlich und musikalisch hin wie ein Sommerbächlein. Als die Audienz beendigt war und wir uns aus seiner Ge¬ genwart zurückzogen, legte er mir die Hand auf den Kopf, strahlte auf mich hernieder, als ob er mich bewunderte, und sagte zu meinem Bruder: „Ah ^ vermuthlich Ihr Kind! Knabe oder Mädchen?" — Es folgen dann einige Beispiele von der unumschränkten Macht dieses Königs. Mark Twain's Aufenthalt in der Salzseestadt betrug nur zwei Tage, »Und so hatten wir keine Zeit, um die gebräuchliche Untersuchung betreffs der Wirkungen der Vielweiberei anzustellen und die üblichen statistischen Notizen und Schlüsse zusammen zu kriegen, die man beisammen haben muß. wenn >nan die Aufmerksamkeit der Nation nochmals auf diese Angelegenheit lenken Ich hatte den Willen, es zu thun. Mit der sprudelnden Selbst¬ genügsamkeit der Jugend war ich begierig, mich kopfüber hineinzustürzen und hier eine große Reform ins Leben zu rufen — bis ich die mormonischen Leiber sah. Dann fühlte ich mich gerührt. Mein Herz war klüger als mein K°pf. Es erwärmte sich für diese armen, linkischer, ungewöhnlich häßlichen ^schöpfe, und als ich mich abwendete, um die großherzige Thräne, die mir Auge getreten war, zu verbergen, sagte ich: „Nein, der Mann, welcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/347>, abgerufen am 28.07.2024.