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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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das empfindsame Thier an einer der sanftesten und mildesten thatsächlichen
Behauptungen erstickt war, die ich je einem vertrauensvollen Publikum vor¬
gelegt habe."

Zu einer der brillantesten Schilderungen giebt aber Mark Twain die erste --
und später fortgesetzte Bekanntschaft mit dem Prairiewolf, Cayote, Veranlassung.
"Der Cayote" sagt er "ist ein langes, schmächtiges, krank und trübselig aus¬
sehendes Gerippe, über das eine graue Wolfshaut gespannt ist, ein leidlich
buschiger Schwanz, der allezeit mit einem verzweifelten Ausdruck von Noth
und Elend niederhängt, ein ängstliches, tückisches Auge und ein langes scharf-
geschnittenes Gesicht mit ein wenig auseinanderstehenden Lippen, welche die
Zähne sehen lassen. Ueber das ganze Thier geht ein Ausdruck wie Schleichen
und sich Ducker. Der Cayote ist eine lebende, athmende Allegorie der Noth.
Er ist stets hungrig. Er ist stets arm, hat nie Glück und nirgends Freunde.
Die niedrigsten Geschöpfe verachten ihn, und selbst die Flöhe würden ihn ver¬
lassen, wenn ein Velocipede käme, auf das sie sich setzen könnten. Er ist so
Muthlos und feig, daß sogar, während seine hervortretenden Zähne eine Drohung
sein wollen, das übrige Gesicht dafür um Verzeihung bittet. Und wie garstig
^ aussieht, wie räubig, rippendürr und grobhaarig, wie verwimmert! Wenn
er uns sieht, so hebt er ein wenig die Lippe und läßt seine Zähne blitzen,
dann dreht er sich ein wenig aus der Richtung, die er verfolgt hat, senkt den
Kopf ein bischen und schlägt mit leisem Fuß einen langgestreckten Trab durch die
Salbei-Büsche ein. wobei er von Zeit zu Zeit einen Blick nach uns über die
Schulter wirft, bis er ungefähr so weit entfernt ist, daß man ihn nicht leicht
Mit dem Pistol erreichen kann. Dann hält er inne, betrachtet uns und über¬
legt sich die Sache. Darauf trabt er wieder fünfzig Schritt weiter -- dann
nochmals fünfzig Schritt, worauf er wieder still steht. Zuletzt mischt sich die
Kraue Farbe seines dahingleitenden Körpers mit dem Grau der Salbei-Büsche
Und er verschwindet. -- Dies Alles geschieht, wenn wir keine Demonstration
Segen ihn machen. Aber wenn wir das thun, so entwickelt er ein lebhafteres
Interesse an seiner Abreise, elektrisirt augenblicklich seine Fersen und bringt
°in solches Stück Grund und Boden zwischen sich und und unsere Waffe,
daß wir, während wir den Hahn gespannt haben, schon sehen, daß wir eine
^tinMüchse brauchen, daß wir, während wir ihn in der Schußlinie haben,
°we gezogene Kanone bedürfen, und daß wir, während wir ihn auf dem
Korne haben, uns sagen müssen, daß nichts als ein ungewöhnlich langgezackter
Blitzstrahl ihm da. wo er jetzt ist, etwas anhaben könnte. Aber wenn man
einen schnellfüßigen Hund auf ihn losläßt, so wird man ebenso viel Vergnügen
davon haben, vorzüglich, wenn es ein Hund ist, der eine gute Meinung von
i^es hat und so erzogen ist, daß er denkt, er weiß einigermaßen, was Geschwin¬
digkeit ist. Der Cayote geht dann mit sanftem Schwung in jenen seinen
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Grenzboten IV. 1874.

das empfindsame Thier an einer der sanftesten und mildesten thatsächlichen
Behauptungen erstickt war, die ich je einem vertrauensvollen Publikum vor¬
gelegt habe."

Zu einer der brillantesten Schilderungen giebt aber Mark Twain die erste —
und später fortgesetzte Bekanntschaft mit dem Prairiewolf, Cayote, Veranlassung.
»Der Cayote" sagt er „ist ein langes, schmächtiges, krank und trübselig aus¬
sehendes Gerippe, über das eine graue Wolfshaut gespannt ist, ein leidlich
buschiger Schwanz, der allezeit mit einem verzweifelten Ausdruck von Noth
und Elend niederhängt, ein ängstliches, tückisches Auge und ein langes scharf-
geschnittenes Gesicht mit ein wenig auseinanderstehenden Lippen, welche die
Zähne sehen lassen. Ueber das ganze Thier geht ein Ausdruck wie Schleichen
und sich Ducker. Der Cayote ist eine lebende, athmende Allegorie der Noth.
Er ist stets hungrig. Er ist stets arm, hat nie Glück und nirgends Freunde.
Die niedrigsten Geschöpfe verachten ihn, und selbst die Flöhe würden ihn ver¬
lassen, wenn ein Velocipede käme, auf das sie sich setzen könnten. Er ist so
Muthlos und feig, daß sogar, während seine hervortretenden Zähne eine Drohung
sein wollen, das übrige Gesicht dafür um Verzeihung bittet. Und wie garstig
^ aussieht, wie räubig, rippendürr und grobhaarig, wie verwimmert! Wenn
er uns sieht, so hebt er ein wenig die Lippe und läßt seine Zähne blitzen,
dann dreht er sich ein wenig aus der Richtung, die er verfolgt hat, senkt den
Kopf ein bischen und schlägt mit leisem Fuß einen langgestreckten Trab durch die
Salbei-Büsche ein. wobei er von Zeit zu Zeit einen Blick nach uns über die
Schulter wirft, bis er ungefähr so weit entfernt ist, daß man ihn nicht leicht
Mit dem Pistol erreichen kann. Dann hält er inne, betrachtet uns und über¬
legt sich die Sache. Darauf trabt er wieder fünfzig Schritt weiter — dann
nochmals fünfzig Schritt, worauf er wieder still steht. Zuletzt mischt sich die
Kraue Farbe seines dahingleitenden Körpers mit dem Grau der Salbei-Büsche
Und er verschwindet. — Dies Alles geschieht, wenn wir keine Demonstration
Segen ihn machen. Aber wenn wir das thun, so entwickelt er ein lebhafteres
Interesse an seiner Abreise, elektrisirt augenblicklich seine Fersen und bringt
°in solches Stück Grund und Boden zwischen sich und und unsere Waffe,
daß wir, während wir den Hahn gespannt haben, schon sehen, daß wir eine
^tinMüchse brauchen, daß wir, während wir ihn in der Schußlinie haben,
°we gezogene Kanone bedürfen, und daß wir, während wir ihn auf dem
Korne haben, uns sagen müssen, daß nichts als ein ungewöhnlich langgezackter
Blitzstrahl ihm da. wo er jetzt ist, etwas anhaben könnte. Aber wenn man
einen schnellfüßigen Hund auf ihn losläßt, so wird man ebenso viel Vergnügen
davon haben, vorzüglich, wenn es ein Hund ist, der eine gute Meinung von
i^es hat und so erzogen ist, daß er denkt, er weiß einigermaßen, was Geschwin¬
digkeit ist. Der Cayote geht dann mit sanftem Schwung in jenen seinen
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[0341] das empfindsame Thier an einer der sanftesten und mildesten thatsächlichen Behauptungen erstickt war, die ich je einem vertrauensvollen Publikum vor¬ gelegt habe." Zu einer der brillantesten Schilderungen giebt aber Mark Twain die erste — und später fortgesetzte Bekanntschaft mit dem Prairiewolf, Cayote, Veranlassung. »Der Cayote" sagt er „ist ein langes, schmächtiges, krank und trübselig aus¬ sehendes Gerippe, über das eine graue Wolfshaut gespannt ist, ein leidlich buschiger Schwanz, der allezeit mit einem verzweifelten Ausdruck von Noth und Elend niederhängt, ein ängstliches, tückisches Auge und ein langes scharf- geschnittenes Gesicht mit ein wenig auseinanderstehenden Lippen, welche die Zähne sehen lassen. Ueber das ganze Thier geht ein Ausdruck wie Schleichen und sich Ducker. Der Cayote ist eine lebende, athmende Allegorie der Noth. Er ist stets hungrig. Er ist stets arm, hat nie Glück und nirgends Freunde. Die niedrigsten Geschöpfe verachten ihn, und selbst die Flöhe würden ihn ver¬ lassen, wenn ein Velocipede käme, auf das sie sich setzen könnten. Er ist so Muthlos und feig, daß sogar, während seine hervortretenden Zähne eine Drohung sein wollen, das übrige Gesicht dafür um Verzeihung bittet. Und wie garstig ^ aussieht, wie räubig, rippendürr und grobhaarig, wie verwimmert! Wenn er uns sieht, so hebt er ein wenig die Lippe und läßt seine Zähne blitzen, dann dreht er sich ein wenig aus der Richtung, die er verfolgt hat, senkt den Kopf ein bischen und schlägt mit leisem Fuß einen langgestreckten Trab durch die Salbei-Büsche ein. wobei er von Zeit zu Zeit einen Blick nach uns über die Schulter wirft, bis er ungefähr so weit entfernt ist, daß man ihn nicht leicht Mit dem Pistol erreichen kann. Dann hält er inne, betrachtet uns und über¬ legt sich die Sache. Darauf trabt er wieder fünfzig Schritt weiter — dann nochmals fünfzig Schritt, worauf er wieder still steht. Zuletzt mischt sich die Kraue Farbe seines dahingleitenden Körpers mit dem Grau der Salbei-Büsche Und er verschwindet. — Dies Alles geschieht, wenn wir keine Demonstration Segen ihn machen. Aber wenn wir das thun, so entwickelt er ein lebhafteres Interesse an seiner Abreise, elektrisirt augenblicklich seine Fersen und bringt °in solches Stück Grund und Boden zwischen sich und und unsere Waffe, daß wir, während wir den Hahn gespannt haben, schon sehen, daß wir eine ^tinMüchse brauchen, daß wir, während wir ihn in der Schußlinie haben, °we gezogene Kanone bedürfen, und daß wir, während wir ihn auf dem Korne haben, uns sagen müssen, daß nichts als ein ungewöhnlich langgezackter Blitzstrahl ihm da. wo er jetzt ist, etwas anhaben könnte. Aber wenn man einen schnellfüßigen Hund auf ihn losläßt, so wird man ebenso viel Vergnügen davon haben, vorzüglich, wenn es ein Hund ist, der eine gute Meinung von i^es hat und so erzogen ist, daß er denkt, er weiß einigermaßen, was Geschwin¬ digkeit ist. Der Cayote geht dann mit sanftem Schwung in jenen seinen 43 Grenzboten IV. 1874.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/341>, abgerufen am 28.07.2024.