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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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um sich einen Beigeordneten und Aufseher gefallen zu lassen und sein stärkstes
Machtmittel, die Armee, einem ehrgeizigen Nebenbuhler zur Verfügung zu
stellen, einem Mann, dessen unermüdliches Jagen nach Popularität, auch einen
minder argwöhnischen Machthaber, als Mac Mahon es war, mit Mißtrauen
erfüllt haben würde. Dazu hatte sich Mac Mahon die siebenjährige Präsident¬
schaft nicht übertragen lassen, um nun sofort die Rolle des orleanistischen
Mack zu spielen: war es doch im hohen Grade zweifelhaft, ob er überhaupt
nur Sympathien für die jüngere Linie empfand. Mac Mahon ist ein ziemlich
unbehülflicher, .bequemer Staatsmann und daher leicht der Gefahr ausgesetzt,
schlau und verborgen angelegten Plänen eines klugen und geschäftskundigen
Rathgebers auch wider Willen zu dienen: aber dagegen empörte sich sein
Selbstgefühl, das in dem Maaße wuchs, als die allgemeine Zerrüttung und
Schwäche der Partei zunahm, denn doch ganz entschieden, daß er sich als
Bevollmächtigten und Werkzeug der Orleans gebrauchen lassen sollte. Die
zudringlichen Bewerbungen der Prinzen mochten seiner Eitelkeit schmeicheln;
er ließ sie sich gern gefallen, war aber weit entfernt, sich der Familie oder
der Partei zu besonderem Danke verpflichtet zu fühlen.

Auch auf die öffentliche Meinung machten die Vielgeschäftigkeit des
Herzogs und die Reclamen seiner Anhänger einen nichts weniger als günstigen
Eindruck. Wäre der Herzog in seinem Militärbezirk verblieben, hätte er sich
ganz und ausschließlich seinen militärischen Pflichten hingegeben, so würde
dies ohne Zweifel achtungsvolle Anerkennung gefunden haben. Aber durch
sein offenkundiges Streben, seine militärische Stellung und Thätigkeit nur als
Hebel für politische Zwecke zu benutzen, verdarb er Alles. Kaum hatte er
mit großem Geräusch sein Commando übernommen, so vernahm man, daß
er wieder in Paris erschienen sei, natürlich, wie die republicanischen und
bonapartistischen Blätter spöttelten, um sich den Parisern zu zeigen, die sich
indessen viel weniger um ihn kümmerten, als seinen Freunden lieb war.
Selbst der von den orleanistischen Blättern zur Schau getragene maaßlose
Chauvinismus vermochte nicht, die Gleichgültigkeit der Franzosen zu besiegen.
Im Volke war der Orleanismus todt. Die orleanistische Tradition war in
den 25 Jahren, die seit Ludwig Philipp's Entthronung verflossen waren,
vollkommen verlöscht. Es gab eine mächtige orleanistische Kammerfraktion,
aber keine orleanistische Partei im Lande: ein widerspruchsvolles Verhältniß,
wie es in gleicher Schroffheit in der Geschichte vielleicht ohne Beispiel ist.

So entwickelte sich immer bestimmter eine doppelte, vielfach in einander
übergreifende Strömung in dem Parteikämpfe. Den Republieanern, deren
Fractionen seit Thiers' Sturz einen leidlichen Waffenstillstand unter einander
aufrecht erhielten, standen die Conservativen gegenüber; aber innerhalb dieser
Parteigruppen, die auf den Namen einer einheitlichen Partei längst keinen


um sich einen Beigeordneten und Aufseher gefallen zu lassen und sein stärkstes
Machtmittel, die Armee, einem ehrgeizigen Nebenbuhler zur Verfügung zu
stellen, einem Mann, dessen unermüdliches Jagen nach Popularität, auch einen
minder argwöhnischen Machthaber, als Mac Mahon es war, mit Mißtrauen
erfüllt haben würde. Dazu hatte sich Mac Mahon die siebenjährige Präsident¬
schaft nicht übertragen lassen, um nun sofort die Rolle des orleanistischen
Mack zu spielen: war es doch im hohen Grade zweifelhaft, ob er überhaupt
nur Sympathien für die jüngere Linie empfand. Mac Mahon ist ein ziemlich
unbehülflicher, .bequemer Staatsmann und daher leicht der Gefahr ausgesetzt,
schlau und verborgen angelegten Plänen eines klugen und geschäftskundigen
Rathgebers auch wider Willen zu dienen: aber dagegen empörte sich sein
Selbstgefühl, das in dem Maaße wuchs, als die allgemeine Zerrüttung und
Schwäche der Partei zunahm, denn doch ganz entschieden, daß er sich als
Bevollmächtigten und Werkzeug der Orleans gebrauchen lassen sollte. Die
zudringlichen Bewerbungen der Prinzen mochten seiner Eitelkeit schmeicheln;
er ließ sie sich gern gefallen, war aber weit entfernt, sich der Familie oder
der Partei zu besonderem Danke verpflichtet zu fühlen.

Auch auf die öffentliche Meinung machten die Vielgeschäftigkeit des
Herzogs und die Reclamen seiner Anhänger einen nichts weniger als günstigen
Eindruck. Wäre der Herzog in seinem Militärbezirk verblieben, hätte er sich
ganz und ausschließlich seinen militärischen Pflichten hingegeben, so würde
dies ohne Zweifel achtungsvolle Anerkennung gefunden haben. Aber durch
sein offenkundiges Streben, seine militärische Stellung und Thätigkeit nur als
Hebel für politische Zwecke zu benutzen, verdarb er Alles. Kaum hatte er
mit großem Geräusch sein Commando übernommen, so vernahm man, daß
er wieder in Paris erschienen sei, natürlich, wie die republicanischen und
bonapartistischen Blätter spöttelten, um sich den Parisern zu zeigen, die sich
indessen viel weniger um ihn kümmerten, als seinen Freunden lieb war.
Selbst der von den orleanistischen Blättern zur Schau getragene maaßlose
Chauvinismus vermochte nicht, die Gleichgültigkeit der Franzosen zu besiegen.
Im Volke war der Orleanismus todt. Die orleanistische Tradition war in
den 25 Jahren, die seit Ludwig Philipp's Entthronung verflossen waren,
vollkommen verlöscht. Es gab eine mächtige orleanistische Kammerfraktion,
aber keine orleanistische Partei im Lande: ein widerspruchsvolles Verhältniß,
wie es in gleicher Schroffheit in der Geschichte vielleicht ohne Beispiel ist.

So entwickelte sich immer bestimmter eine doppelte, vielfach in einander
übergreifende Strömung in dem Parteikämpfe. Den Republieanern, deren
Fractionen seit Thiers' Sturz einen leidlichen Waffenstillstand unter einander
aufrecht erhielten, standen die Conservativen gegenüber; aber innerhalb dieser
Parteigruppen, die auf den Namen einer einheitlichen Partei längst keinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/334>, abgerufen am 28.07.2024.