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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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so lange die Mehrzahl der Communalbeamten. wie es damals der Fall war,
der republicanischen Partei angehörte. Hier rasch Wandel zu schaffen, erschien
der Regierung von ihrem Standpunkt aus mit Recht als eine Lebensfrage
ersten Ranges.

Ein wie großes Gewicht der Herzog von Broglie dieser Angelegenheit
beimaß, geht daraus hervor, daß er das Septennat mit der Vorlage seines
Mairesgesetzes (28. September) gleichsam einweihte. Der Entwurf bestimmte:
bis zur Beschlußfassung über die organischen und Gemeindegesetze werden die
Maires und Adjunkten in den Hauptstädten der Departements, Arrondisse-
ments und Cantone von dem Präsidenten der Republik, in den übrigen Ge¬
meinden von dem Präfecten ernannt; in den Departements- und Arronoissements-
hauvtstädten üben die Präfecten und Unterpräfecten die Befugniß eines Polizei¬
präsidenten aus, in den übrigen Gemeinden die Maires unter Aufsicht der
Präfecten und Unterpräfecten; ein besonderes Verwaltungsreglement wird für
die Städte und Gemeinden, je nach ihrer Bevölkerung, die Organisirung des
Polizeipersonals näher bestimmt, alle Polizeiinspektoren und Agenten werden
vom Präfecten ernannt und abgesetzt; die Polizeiausgaben fallen den Ge¬
meinden zur Last; wenn ein Gemeinderath die erforderlichen Mittel gar nicht
oder nicht im ausreichenden Maße bewilligt, so wird der nöthige Beitrag von
Amtswegen in das Budget der Gemeinde eingetragen.

Es läßt sich gar nicht in Abrede stellen, daß dieser Entwurf den fran¬
zösischen Anschauungen und Verwaltungsmaximen vollständig entsprach. Man
hatte im Jahre 1871 aus Eifersucht gegen Paris viel von der Autonomie der
Gemeinden geschwatzt, die Nationalversammlung hatte auch die Ernennung
der Maires durch die Gemeinderäthe beschlossen und nur auf Thiers ent¬
schiedene Erklärung, das hieße der Regierung die Mittel entziehen, die Ord¬
nung aufrecht zu halten, diesen Beschluß dahin modificirt, daß in allen Städten
von mehr als 20,000 Einwohnern, sowie in allen Departements- und Arron-
dissementshauptstädten die Maires vorläufig von der Regierung ernannt
werden sollten (14. April 1871). Der damalige Beschluß war ein Beweis von
der unglaublichen Leichtfertigkeit und Ungründlichkeit gewesen, mit der diese
ganze Angelegenheit von den Gesetzgebern Frankreichs behandelt wurde. Eine
logische Gesetzgebung würde zuerst die Befugnisse der Gemeinden abgegrenzt
und dann erst über die Ernennung der Gemeindebeamten Bestimmungen ge¬
troffen haben. Die Folge des Beschlusses, in dem die Vorliebe des Franzosen
für den Formalismus des Wahlwesens einen bezeichnenden Ausdruck fand, war
denn auch die gewesen, daß die Gemeindeverwaltung überall in Zerrüttung
gerieth und daß die Wahlen zu bloßen politischen Parteidemonstrationen
wurden, bei denen man auf die persönliche Befähigung des Candidaten nicht
das geringste Gewicht legte, sondern nur danach fragte, ob er Monarchist


so lange die Mehrzahl der Communalbeamten. wie es damals der Fall war,
der republicanischen Partei angehörte. Hier rasch Wandel zu schaffen, erschien
der Regierung von ihrem Standpunkt aus mit Recht als eine Lebensfrage
ersten Ranges.

Ein wie großes Gewicht der Herzog von Broglie dieser Angelegenheit
beimaß, geht daraus hervor, daß er das Septennat mit der Vorlage seines
Mairesgesetzes (28. September) gleichsam einweihte. Der Entwurf bestimmte:
bis zur Beschlußfassung über die organischen und Gemeindegesetze werden die
Maires und Adjunkten in den Hauptstädten der Departements, Arrondisse-
ments und Cantone von dem Präsidenten der Republik, in den übrigen Ge¬
meinden von dem Präfecten ernannt; in den Departements- und Arronoissements-
hauvtstädten üben die Präfecten und Unterpräfecten die Befugniß eines Polizei¬
präsidenten aus, in den übrigen Gemeinden die Maires unter Aufsicht der
Präfecten und Unterpräfecten; ein besonderes Verwaltungsreglement wird für
die Städte und Gemeinden, je nach ihrer Bevölkerung, die Organisirung des
Polizeipersonals näher bestimmt, alle Polizeiinspektoren und Agenten werden
vom Präfecten ernannt und abgesetzt; die Polizeiausgaben fallen den Ge¬
meinden zur Last; wenn ein Gemeinderath die erforderlichen Mittel gar nicht
oder nicht im ausreichenden Maße bewilligt, so wird der nöthige Beitrag von
Amtswegen in das Budget der Gemeinde eingetragen.

Es läßt sich gar nicht in Abrede stellen, daß dieser Entwurf den fran¬
zösischen Anschauungen und Verwaltungsmaximen vollständig entsprach. Man
hatte im Jahre 1871 aus Eifersucht gegen Paris viel von der Autonomie der
Gemeinden geschwatzt, die Nationalversammlung hatte auch die Ernennung
der Maires durch die Gemeinderäthe beschlossen und nur auf Thiers ent¬
schiedene Erklärung, das hieße der Regierung die Mittel entziehen, die Ord¬
nung aufrecht zu halten, diesen Beschluß dahin modificirt, daß in allen Städten
von mehr als 20,000 Einwohnern, sowie in allen Departements- und Arron-
dissementshauptstädten die Maires vorläufig von der Regierung ernannt
werden sollten (14. April 1871). Der damalige Beschluß war ein Beweis von
der unglaublichen Leichtfertigkeit und Ungründlichkeit gewesen, mit der diese
ganze Angelegenheit von den Gesetzgebern Frankreichs behandelt wurde. Eine
logische Gesetzgebung würde zuerst die Befugnisse der Gemeinden abgegrenzt
und dann erst über die Ernennung der Gemeindebeamten Bestimmungen ge¬
troffen haben. Die Folge des Beschlusses, in dem die Vorliebe des Franzosen
für den Formalismus des Wahlwesens einen bezeichnenden Ausdruck fand, war
denn auch die gewesen, daß die Gemeindeverwaltung überall in Zerrüttung
gerieth und daß die Wahlen zu bloßen politischen Parteidemonstrationen
wurden, bei denen man auf die persönliche Befähigung des Candidaten nicht
das geringste Gewicht legte, sondern nur danach fragte, ob er Monarchist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/328>, abgerufen am 28.07.2024.