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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Auch die neunte Sitzung betraf nur technische Vorlagen. Darunter
rechnen wir das allerdings wichtige Gesetz über die Naturalleistungen für die
bewaffnete Macht im Frieden und die Genehmigung der Verordnung über
die Geschäftssprache der Gerichte in den unmittelbaren Reichslanden. Die
zehnte Sitzung behandelte das Markenschutzgesetz im letzten Stadium und
ebenso die Verordnung über die Geschäftssprache der Gerichte. Die erste
Berathung des Gesetzentwurfs über die Steuerfreiheit des Reichseinkommens
wurde noch nicht beendigt. --

Die Untersuchung gegen den Grafen Arnim hat zu einer neuen Jnhaft-
nahme des Grafen am 13. November geführt, die auf ärztliche Intervention
zu einer polizeilichen Jnternirung im Palais seiner Schwiegermutter geworden
ist. Wie zuverlässig verlautet, hat der Graf Dokumente der pariser Botschaft,
deren Verbleib er anfänglich nicht zu kennen behauptete, dem Gericht aus
freien Stücken zugestellt mit der Angabe, daß er die Dokumente unerwartet
bei sich gefunden habe. Durch diese Procedur ist der Verdacht bestärkt
worden, daß der Graf von diesen Dokumenten einen staatsgefährlichen Ge¬
brauch gemacht, obwohl er bei Beginn der Untersuchung mit der größten
Heftigkeit in Abrede stellte, daß er aus den von ihm einbehaltenen Staats¬
papieren jemals etwas habe an die Oeffentlichkeit bringen wollen. Unterdeß
hat der Graf auch Sorge getragen, daß sein Organ, die "Wiener Presse",
einen.Brief vom 11. Mai d. I. veröffentlicht, den Herr v. Döllinger an den
Grafen geschrieben. Herr v. Döllinger erklärt darin, er habe die ihm von
dem Grafen wegen früherer Mißschätzung gegebene Ehrenerklärung seinerzeit
nur deshalb veröffentlicht, um die Autorschaft des Grafen für ein gewisses
Memorandum, das ebenfalls in der "Presse" veröffentlicht worden, durch das
Selbstzeugniß des Autors festzustellen. Herr v. Döllinger möge uns nicht
übel nehmen, daß wir diese Rechtfertigung etwas lahm finden. Die Echtheit
jenes Memorandum ging in diesem Fall genügend daraus hervor, daß Graf
Arnim gegen die ihm bei der Veröffentlichung positiv beigelegte Autorschaft
nicht remonstrirt hatte. Wenn Herr v. Döllinger das betreffende Memoran¬
dum für ein "Meisterstück staatsmännischer Einsicht und Voraussicht" erklärt,
so möge er uns nochmals nicht verübeln, wenn wir bei aller Achtung vor
seiner ausgebreiteten Gelehrsamkeit ihn für gänzlich incompetent in der poli¬
rischen Praxis halten. Jenes Memorandum war das dilettantische Produkt
eines überall dilettantischen Kopfes. Der höchste Grad, den der Dilettantis¬
mus erreichen kann, ist, wenn er in harmloser Eitelkeit dem unversöhnlichen
Feinde die Concepte corrigirt, damit der Feind sich nicht schade und mit
denen im Frieden bleibe, denen zu schaden sein gebieterisches Lebensbedürfniß ist.


e--r.


Auch die neunte Sitzung betraf nur technische Vorlagen. Darunter
rechnen wir das allerdings wichtige Gesetz über die Naturalleistungen für die
bewaffnete Macht im Frieden und die Genehmigung der Verordnung über
die Geschäftssprache der Gerichte in den unmittelbaren Reichslanden. Die
zehnte Sitzung behandelte das Markenschutzgesetz im letzten Stadium und
ebenso die Verordnung über die Geschäftssprache der Gerichte. Die erste
Berathung des Gesetzentwurfs über die Steuerfreiheit des Reichseinkommens
wurde noch nicht beendigt. —

Die Untersuchung gegen den Grafen Arnim hat zu einer neuen Jnhaft-
nahme des Grafen am 13. November geführt, die auf ärztliche Intervention
zu einer polizeilichen Jnternirung im Palais seiner Schwiegermutter geworden
ist. Wie zuverlässig verlautet, hat der Graf Dokumente der pariser Botschaft,
deren Verbleib er anfänglich nicht zu kennen behauptete, dem Gericht aus
freien Stücken zugestellt mit der Angabe, daß er die Dokumente unerwartet
bei sich gefunden habe. Durch diese Procedur ist der Verdacht bestärkt
worden, daß der Graf von diesen Dokumenten einen staatsgefährlichen Ge¬
brauch gemacht, obwohl er bei Beginn der Untersuchung mit der größten
Heftigkeit in Abrede stellte, daß er aus den von ihm einbehaltenen Staats¬
papieren jemals etwas habe an die Oeffentlichkeit bringen wollen. Unterdeß
hat der Graf auch Sorge getragen, daß sein Organ, die „Wiener Presse",
einen.Brief vom 11. Mai d. I. veröffentlicht, den Herr v. Döllinger an den
Grafen geschrieben. Herr v. Döllinger erklärt darin, er habe die ihm von
dem Grafen wegen früherer Mißschätzung gegebene Ehrenerklärung seinerzeit
nur deshalb veröffentlicht, um die Autorschaft des Grafen für ein gewisses
Memorandum, das ebenfalls in der „Presse" veröffentlicht worden, durch das
Selbstzeugniß des Autors festzustellen. Herr v. Döllinger möge uns nicht
übel nehmen, daß wir diese Rechtfertigung etwas lahm finden. Die Echtheit
jenes Memorandum ging in diesem Fall genügend daraus hervor, daß Graf
Arnim gegen die ihm bei der Veröffentlichung positiv beigelegte Autorschaft
nicht remonstrirt hatte. Wenn Herr v. Döllinger das betreffende Memoran¬
dum für ein „Meisterstück staatsmännischer Einsicht und Voraussicht" erklärt,
so möge er uns nochmals nicht verübeln, wenn wir bei aller Achtung vor
seiner ausgebreiteten Gelehrsamkeit ihn für gänzlich incompetent in der poli¬
rischen Praxis halten. Jenes Memorandum war das dilettantische Produkt
eines überall dilettantischen Kopfes. Der höchste Grad, den der Dilettantis¬
mus erreichen kann, ist, wenn er in harmloser Eitelkeit dem unversöhnlichen
Feinde die Concepte corrigirt, damit der Feind sich nicht schade und mit
denen im Frieden bleibe, denen zu schaden sein gebieterisches Lebensbedürfniß ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/321>, abgerufen am 27.07.2024.