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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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zu heben. Die jüngsten amerikanischen Wahlen sind ein Beweis für die
Stärke dieser Opposition. Leute, die lange drüben gelebt haben, stellen ent¬
schieden in Abrede, daß den Sieg bei den letzten Wahlen die "Demokraten"
davongetragen hätten, d. h. jene politische Partei, welche im Secessionskriege
niedergeworfen, und bei uns Deutschen in der Regel als die "reactionaire"
angesehen wurde. Vielmehr hat die Opposition der ehrlichen Leute gegen
die Corruption jener Verwaltung, die Great's populären Namen und seine
Duldsamkeit gegen politische Parteigenossen mißbrauchte, den Sieg davonge¬
tragen, und nun die Majorität im Congresse, eine an Majorität streifende
Minderheit im Senat erlangt. So wird das letzte Wahlergebniß von der
amerikanischen Presse aller Farben beurtheilt. Eine spätere Zeit erst wird
darüber richten, welchen Antheil an dieser tiefen Wandlung, deren fruchtbare
und bedeutsame Folgen jetzt noch nicht einmal übersehen werden können, jener
kecke Humorist hat, der die faulen Zustände seines Vaterlandes mit dem
schärfsten Spotte schonungslos geißelte und dadurch vorläufig alle Lacher auf
seine Seite brachte, bis dann der Ernst des politischen Wirkens in Versamm¬
lungen , Flugschriften und Preßartikeln die Opposition der ehrlichen Leute in
dasselbe Lager zog.

Diese mächtige Begabung Mark Twain's für politische Satire tritt in
der vorliegenden Auswahl seiner Schriften für denjenigen, der seine späteren
Sachen gelesen hat, allerdings schon in recht merklicher Deutlichkeit hervor.
Und unsere Leser sollen davon später einige schmackhafte Proben erhalten.
Aber im Ganzen ist hier der Humor noch Selbstzweck; oder wenn man will
nothwendige natürliche Folge der entsprechenden Weltanschauung des Dichters.
Wir werden in den im nächsten Hefte zusammenzustellenden Auszügen aus
Mark Twain's Beobachtungen und Abenteuern auf einer Ueberlandreise von
Se. Joseph bis Nevada und im Silberlande selbst, nachweisen, welch gottbe¬
gnadete Fülle von Humor ihm innewohnt. wie er selbst die trübseligster
wüstesten Einöden der Erde, die thierischen Jammergestalten, welche sie be¬
völkern, die menschlichen und thierischen Ueberreste, welche in der brennenden
Sonne aus dem tiefen Haidesand hervorragen und des Nachts phosphores-
cirend leuchten wie matte Mondscheinstrahlen, -- wie er all das mit unsterb-
l'cher Heiterkeit der Seele zu betrachten und zu schildern weiß. Und diese
fröhliche Lebensanschauung verläßt ihn auch nicht, wenn er selbst vielleicht
^ille oder sich vornimmt, besonders scharf und boshaft zu schreiben. Ich meine,
selbst die Opfer seiner Späße müssen mit ihm lachen. Und nur Wenige wird
^ geben, denen ein Pfeil im Fleische zurückbleibt, den Mark Twain hinein-
^ich. Und diese Auserwählten haben es jedenfalls reichlich verdient und selbst
sur amerikanische Gewohnheiten überroll getrieben. Aber daß der Pfeil eine


zu heben. Die jüngsten amerikanischen Wahlen sind ein Beweis für die
Stärke dieser Opposition. Leute, die lange drüben gelebt haben, stellen ent¬
schieden in Abrede, daß den Sieg bei den letzten Wahlen die „Demokraten"
davongetragen hätten, d. h. jene politische Partei, welche im Secessionskriege
niedergeworfen, und bei uns Deutschen in der Regel als die „reactionaire"
angesehen wurde. Vielmehr hat die Opposition der ehrlichen Leute gegen
die Corruption jener Verwaltung, die Great's populären Namen und seine
Duldsamkeit gegen politische Parteigenossen mißbrauchte, den Sieg davonge¬
tragen, und nun die Majorität im Congresse, eine an Majorität streifende
Minderheit im Senat erlangt. So wird das letzte Wahlergebniß von der
amerikanischen Presse aller Farben beurtheilt. Eine spätere Zeit erst wird
darüber richten, welchen Antheil an dieser tiefen Wandlung, deren fruchtbare
und bedeutsame Folgen jetzt noch nicht einmal übersehen werden können, jener
kecke Humorist hat, der die faulen Zustände seines Vaterlandes mit dem
schärfsten Spotte schonungslos geißelte und dadurch vorläufig alle Lacher auf
seine Seite brachte, bis dann der Ernst des politischen Wirkens in Versamm¬
lungen , Flugschriften und Preßartikeln die Opposition der ehrlichen Leute in
dasselbe Lager zog.

Diese mächtige Begabung Mark Twain's für politische Satire tritt in
der vorliegenden Auswahl seiner Schriften für denjenigen, der seine späteren
Sachen gelesen hat, allerdings schon in recht merklicher Deutlichkeit hervor.
Und unsere Leser sollen davon später einige schmackhafte Proben erhalten.
Aber im Ganzen ist hier der Humor noch Selbstzweck; oder wenn man will
nothwendige natürliche Folge der entsprechenden Weltanschauung des Dichters.
Wir werden in den im nächsten Hefte zusammenzustellenden Auszügen aus
Mark Twain's Beobachtungen und Abenteuern auf einer Ueberlandreise von
Se. Joseph bis Nevada und im Silberlande selbst, nachweisen, welch gottbe¬
gnadete Fülle von Humor ihm innewohnt. wie er selbst die trübseligster
wüstesten Einöden der Erde, die thierischen Jammergestalten, welche sie be¬
völkern, die menschlichen und thierischen Ueberreste, welche in der brennenden
Sonne aus dem tiefen Haidesand hervorragen und des Nachts phosphores-
cirend leuchten wie matte Mondscheinstrahlen, — wie er all das mit unsterb-
l'cher Heiterkeit der Seele zu betrachten und zu schildern weiß. Und diese
fröhliche Lebensanschauung verläßt ihn auch nicht, wenn er selbst vielleicht
^ille oder sich vornimmt, besonders scharf und boshaft zu schreiben. Ich meine,
selbst die Opfer seiner Späße müssen mit ihm lachen. Und nur Wenige wird
^ geben, denen ein Pfeil im Fleische zurückbleibt, den Mark Twain hinein-
^ich. Und diese Auserwählten haben es jedenfalls reichlich verdient und selbst
sur amerikanische Gewohnheiten überroll getrieben. Aber daß der Pfeil eine


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[0311] zu heben. Die jüngsten amerikanischen Wahlen sind ein Beweis für die Stärke dieser Opposition. Leute, die lange drüben gelebt haben, stellen ent¬ schieden in Abrede, daß den Sieg bei den letzten Wahlen die „Demokraten" davongetragen hätten, d. h. jene politische Partei, welche im Secessionskriege niedergeworfen, und bei uns Deutschen in der Regel als die „reactionaire" angesehen wurde. Vielmehr hat die Opposition der ehrlichen Leute gegen die Corruption jener Verwaltung, die Great's populären Namen und seine Duldsamkeit gegen politische Parteigenossen mißbrauchte, den Sieg davonge¬ tragen, und nun die Majorität im Congresse, eine an Majorität streifende Minderheit im Senat erlangt. So wird das letzte Wahlergebniß von der amerikanischen Presse aller Farben beurtheilt. Eine spätere Zeit erst wird darüber richten, welchen Antheil an dieser tiefen Wandlung, deren fruchtbare und bedeutsame Folgen jetzt noch nicht einmal übersehen werden können, jener kecke Humorist hat, der die faulen Zustände seines Vaterlandes mit dem schärfsten Spotte schonungslos geißelte und dadurch vorläufig alle Lacher auf seine Seite brachte, bis dann der Ernst des politischen Wirkens in Versamm¬ lungen , Flugschriften und Preßartikeln die Opposition der ehrlichen Leute in dasselbe Lager zog. Diese mächtige Begabung Mark Twain's für politische Satire tritt in der vorliegenden Auswahl seiner Schriften für denjenigen, der seine späteren Sachen gelesen hat, allerdings schon in recht merklicher Deutlichkeit hervor. Und unsere Leser sollen davon später einige schmackhafte Proben erhalten. Aber im Ganzen ist hier der Humor noch Selbstzweck; oder wenn man will nothwendige natürliche Folge der entsprechenden Weltanschauung des Dichters. Wir werden in den im nächsten Hefte zusammenzustellenden Auszügen aus Mark Twain's Beobachtungen und Abenteuern auf einer Ueberlandreise von Se. Joseph bis Nevada und im Silberlande selbst, nachweisen, welch gottbe¬ gnadete Fülle von Humor ihm innewohnt. wie er selbst die trübseligster wüstesten Einöden der Erde, die thierischen Jammergestalten, welche sie be¬ völkern, die menschlichen und thierischen Ueberreste, welche in der brennenden Sonne aus dem tiefen Haidesand hervorragen und des Nachts phosphores- cirend leuchten wie matte Mondscheinstrahlen, — wie er all das mit unsterb- l'cher Heiterkeit der Seele zu betrachten und zu schildern weiß. Und diese fröhliche Lebensanschauung verläßt ihn auch nicht, wenn er selbst vielleicht ^ille oder sich vornimmt, besonders scharf und boshaft zu schreiben. Ich meine, selbst die Opfer seiner Späße müssen mit ihm lachen. Und nur Wenige wird ^ geben, denen ein Pfeil im Fleische zurückbleibt, den Mark Twain hinein- ^ich. Und diese Auserwählten haben es jedenfalls reichlich verdient und selbst sur amerikanische Gewohnheiten überroll getrieben. Aber daß der Pfeil eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/311>, abgerufen am 27.07.2024.