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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Widerstande Mac Mahon's, dessen Politik auf die Wiederherstellung der alte
Mehrheit abzielte, und der einer Verschiebung des Schwerpunkts der Ber
Sammlung in das linke Centrum um so entschiedener abgeneigt war, da e
mit Recht fürchtete, in diesem Falle ein Werkzeug seines gefährlichsten Geg¬
ners Thiers zu werden. Den Kampf um die Macht sahen die Republikaner
sich also genöthigt zu vertagen, und es blieb ihnen somit Nichts übrig, als
der Versuch, für das Zugeständniß der Vollmachtenverlängerung die förmliche
Anerkennung und Organisation der Republik durchzusetzen und im Augen¬
blick schienen sich in der That die Aussichten für diesen Versuch nicht ganz
ungünstig zu gestalten.

Am 4. November hatte, da die Regierung in dieser Angelegenheit der
Versammlung die Initiative überlassen wollte. Changarnier seinen Antrag
gestellt, dessen erster Artikel die Verlängerung der Vollmachten des Marschalls
auf 10 Jahre forderte. Nach dem Artikel 2 sollte er dieselben nach den gegen¬
wärtigen Bedingungen ausüben, so lange sie nicht durch konstitutionelle Ge¬
setze verändert sein würden. Zur Berathung dieser Gesetze sollte nach Artikel Z
ein Ausschuß von 30 Mitgliedern in öffentlicher Sitzung und durch Listen-
serutinium (nicht von den Abtheilungen) ernannt werden. Sofort stellte der
Bonapartist Echasseriaux den Gegenantrag, am 4. Januar 1874 eine allge¬
meine Abstimmung über Kaiserthum, Republik. Königthum zu veranstalten!
letzterer Antrag wurde ebenso wie der Vorschlag Dufaure's, beide Anträge der
Commission zur Prüfung der konstitutionellen Gesetze zu überweisen, abgelehnt,
und beschlossen, zur Vorberathung des Antrags Changarnier's eine besondere
Commission zu ernennen.

Die Rechte glaubte sich des Sieges sicher, hatte dabei aber nicht bedacht-
daß die Wahl eines Ausschusses durch die Abtheilungen oft zu den auffallend¬
sten und überraschendsten Ergebnissen führt. So auch diesmal: von den ^
Mitgliedern des Ausschusses gehörten 8 der republikanischen Partei, 7 ^
Rechten an.

Selbstverständlich war die Versammlung in keiner Weise an die Beschlüsse
welche der Ausschuß etwa fassen würde, gebunden. Nichtsdestoweniger
die Linke in diesem Wahlergebniß einen bedeutenden Erfolg. Der Moralist
Eindruck des Ereignisses auf die schwankenden Mitglieder der Versammlung
war groß; was aber eben so wichtig war, auch die Regierung mußte ^
den Republikanern rechnen. Die Commission war das rechtmäßige Org""
der Kammer; ihre Beschlüsse waren unter allen Umständen von Wichtigkeit'
die Regierung mußte suchen, einen für sie annehmbaren CommissionsbeselM
herbeizuführen, sie mußte unterhandeln, und das war für die Republikaner e'"
unschätzbarer Vortheil; sie konnten als legitime Macht auftreten, was ih^"
lange nicht vergönnt gewesen war.


Widerstande Mac Mahon's, dessen Politik auf die Wiederherstellung der alte
Mehrheit abzielte, und der einer Verschiebung des Schwerpunkts der Ber
Sammlung in das linke Centrum um so entschiedener abgeneigt war, da e
mit Recht fürchtete, in diesem Falle ein Werkzeug seines gefährlichsten Geg¬
ners Thiers zu werden. Den Kampf um die Macht sahen die Republikaner
sich also genöthigt zu vertagen, und es blieb ihnen somit Nichts übrig, als
der Versuch, für das Zugeständniß der Vollmachtenverlängerung die förmliche
Anerkennung und Organisation der Republik durchzusetzen und im Augen¬
blick schienen sich in der That die Aussichten für diesen Versuch nicht ganz
ungünstig zu gestalten.

Am 4. November hatte, da die Regierung in dieser Angelegenheit der
Versammlung die Initiative überlassen wollte. Changarnier seinen Antrag
gestellt, dessen erster Artikel die Verlängerung der Vollmachten des Marschalls
auf 10 Jahre forderte. Nach dem Artikel 2 sollte er dieselben nach den gegen¬
wärtigen Bedingungen ausüben, so lange sie nicht durch konstitutionelle Ge¬
setze verändert sein würden. Zur Berathung dieser Gesetze sollte nach Artikel Z
ein Ausschuß von 30 Mitgliedern in öffentlicher Sitzung und durch Listen-
serutinium (nicht von den Abtheilungen) ernannt werden. Sofort stellte der
Bonapartist Echasseriaux den Gegenantrag, am 4. Januar 1874 eine allge¬
meine Abstimmung über Kaiserthum, Republik. Königthum zu veranstalten!
letzterer Antrag wurde ebenso wie der Vorschlag Dufaure's, beide Anträge der
Commission zur Prüfung der konstitutionellen Gesetze zu überweisen, abgelehnt,
und beschlossen, zur Vorberathung des Antrags Changarnier's eine besondere
Commission zu ernennen.

Die Rechte glaubte sich des Sieges sicher, hatte dabei aber nicht bedacht-
daß die Wahl eines Ausschusses durch die Abtheilungen oft zu den auffallend¬
sten und überraschendsten Ergebnissen führt. So auch diesmal: von den ^
Mitgliedern des Ausschusses gehörten 8 der republikanischen Partei, 7 ^
Rechten an.

Selbstverständlich war die Versammlung in keiner Weise an die Beschlüsse
welche der Ausschuß etwa fassen würde, gebunden. Nichtsdestoweniger
die Linke in diesem Wahlergebniß einen bedeutenden Erfolg. Der Moralist
Eindruck des Ereignisses auf die schwankenden Mitglieder der Versammlung
war groß; was aber eben so wichtig war, auch die Regierung mußte ^
den Republikanern rechnen. Die Commission war das rechtmäßige Org«"
der Kammer; ihre Beschlüsse waren unter allen Umständen von Wichtigkeit'
die Regierung mußte suchen, einen für sie annehmbaren CommissionsbeselM
herbeizuführen, sie mußte unterhandeln, und das war für die Republikaner e'"
unschätzbarer Vortheil; sie konnten als legitime Macht auftreten, was ih^"
lange nicht vergönnt gewesen war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/306>, abgerufen am 28.07.2024.