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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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ihrer souveränen Machtvollkommenheit nur nach Gründung einer definitiven
Regierung entäußern könne, und daß sie bis zur Constituirung einer solchen
befugt sei, jeden ihrer Beschlüsse zurückzunehmen, womit natürlich einer Ver¬
längerung der Vollmachten auf eine bestimmte Zeit jede ernste Bedeutung
abgesprochen wurde. In Consequenz dieser Ansicht hätten die Legitimisten
eigentlich sämmtlich gegen die Vollmachtenverlängerung stimmen müssen, denn
eine Verlängerung auf bestimmte Zeit mit dem sei es ausgesprochen, sei es
unausgesprochenen Vorbehalt des Widerrufs war ein Widersinn und eine Lüge,
durch welche die legitimistische Partei im Voraus ihrer Opposition die Spitze
abbrach, indem sie ihre Sache durch Halbheit und Zweideutigkeit entwürdigte.

Zunächst ließ die Regierung indessen die Commentare der legitimistischen
Blätter auf sich beruhn; denn sie konnte der legitimistischen Stimme um so
weniger entbehren, da die Bonapartisten der Idee der Vollmachtsverlängerung
gegenüber sich unerwartet spröde verhielten. Die klugen Führer dieser Partei
waren allerdings weit davon entfernt, die Conservativen wegen des Streiches,
den sie ihren Verbündeten vom 24. Mai durch ihren Restaurationsversuch
gespielt hatten, geradezu in Stich zu lassen. Durch Gefühlsregungen ließ
sich Herr Rouher überhaupt nicht bestimmen; jeder seiner Schritte war wohl
berechnet und sein Ansehen war groß genug, um die Heißsporne der Partei,
die durch ihre Prahlerei und ihr wüstes Toben sich in oft lästiger Weise be¬
merkbar machten, wenigstens von unbesonnenen Handlungen zurückzuhal¬
ten. Rouher nun erkannte sofort die Vortheile, aber auch die Schwierigkeiten
der Lage: es galt, die einen gründlich auszubeuten, durch die andern geschickt
sich hindurchzuwinden. In gewisser Beziehung lagen die Dinge ähnlich wie
im Mai, insofern die Conservativen alle Ursache hatten, sich des Beistandes
der Bonapartisten zu versichern; insofern lagen sie wieder anders, als die
Bonapartisten durch ihre Principien gehindert waren, unbedingt der Politik
sich anzuschließen, über welche die Regierung mit der Masse der conserva¬
tiven Partei sich entweder schon geeinigt hatte, oder wenigstens im Begriff
stand, sich zu einigen. Das Recht, auf lange Zeit, über die Dauer ihres eignen
Daseins hinaus, über die höchste Gewalt zu verfügen und dieselbe mit ver¬
fassungsmäßigen Befugnissen auszurüsten, konnten sie ihrem obersten Grund¬
satze gemäß der Versammlung gar nicht zugestehn. Eine solche Entscheidung
konnte nur das Volk in seinen UrVersammlungen treffen. In ihren Ansichten
über die Befugnisse der gegenwärtigen Versammlung stimmte sie also im
Wesentlichen mit der eigentlichen Linken überein, und da merkwürdiger Weise
auch die Plebicitidee bei einem Theile dieser Partei Anklang fand, so
schien es im Augenblick fast, als ob ein Bündniß zwischen Republikanern
und Bonapartisten zu Stande kommen werde. Indessen erklärte sich die
Mehrzahl der Republikaner doch entschieden gegen eine Volksabstimmung im


ihrer souveränen Machtvollkommenheit nur nach Gründung einer definitiven
Regierung entäußern könne, und daß sie bis zur Constituirung einer solchen
befugt sei, jeden ihrer Beschlüsse zurückzunehmen, womit natürlich einer Ver¬
längerung der Vollmachten auf eine bestimmte Zeit jede ernste Bedeutung
abgesprochen wurde. In Consequenz dieser Ansicht hätten die Legitimisten
eigentlich sämmtlich gegen die Vollmachtenverlängerung stimmen müssen, denn
eine Verlängerung auf bestimmte Zeit mit dem sei es ausgesprochen, sei es
unausgesprochenen Vorbehalt des Widerrufs war ein Widersinn und eine Lüge,
durch welche die legitimistische Partei im Voraus ihrer Opposition die Spitze
abbrach, indem sie ihre Sache durch Halbheit und Zweideutigkeit entwürdigte.

Zunächst ließ die Regierung indessen die Commentare der legitimistischen
Blätter auf sich beruhn; denn sie konnte der legitimistischen Stimme um so
weniger entbehren, da die Bonapartisten der Idee der Vollmachtsverlängerung
gegenüber sich unerwartet spröde verhielten. Die klugen Führer dieser Partei
waren allerdings weit davon entfernt, die Conservativen wegen des Streiches,
den sie ihren Verbündeten vom 24. Mai durch ihren Restaurationsversuch
gespielt hatten, geradezu in Stich zu lassen. Durch Gefühlsregungen ließ
sich Herr Rouher überhaupt nicht bestimmen; jeder seiner Schritte war wohl
berechnet und sein Ansehen war groß genug, um die Heißsporne der Partei,
die durch ihre Prahlerei und ihr wüstes Toben sich in oft lästiger Weise be¬
merkbar machten, wenigstens von unbesonnenen Handlungen zurückzuhal¬
ten. Rouher nun erkannte sofort die Vortheile, aber auch die Schwierigkeiten
der Lage: es galt, die einen gründlich auszubeuten, durch die andern geschickt
sich hindurchzuwinden. In gewisser Beziehung lagen die Dinge ähnlich wie
im Mai, insofern die Conservativen alle Ursache hatten, sich des Beistandes
der Bonapartisten zu versichern; insofern lagen sie wieder anders, als die
Bonapartisten durch ihre Principien gehindert waren, unbedingt der Politik
sich anzuschließen, über welche die Regierung mit der Masse der conserva¬
tiven Partei sich entweder schon geeinigt hatte, oder wenigstens im Begriff
stand, sich zu einigen. Das Recht, auf lange Zeit, über die Dauer ihres eignen
Daseins hinaus, über die höchste Gewalt zu verfügen und dieselbe mit ver¬
fassungsmäßigen Befugnissen auszurüsten, konnten sie ihrem obersten Grund¬
satze gemäß der Versammlung gar nicht zugestehn. Eine solche Entscheidung
konnte nur das Volk in seinen UrVersammlungen treffen. In ihren Ansichten
über die Befugnisse der gegenwärtigen Versammlung stimmte sie also im
Wesentlichen mit der eigentlichen Linken überein, und da merkwürdiger Weise
auch die Plebicitidee bei einem Theile dieser Partei Anklang fand, so
schien es im Augenblick fast, als ob ein Bündniß zwischen Republikanern
und Bonapartisten zu Stande kommen werde. Indessen erklärte sich die
Mehrzahl der Republikaner doch entschieden gegen eine Volksabstimmung im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/304>, abgerufen am 28.07.2024.