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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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gefallen lassen. Sie waren von diesem Augenblick an die eifrigsten Anhänger
Mac Mahon's, der, wo er sich öffentlich zeigte, stets von einem Gefolge von
Prinzen und Freunden des Hauses Orleans umgeben war. Ohne jeden Halt
in der öffentlichen Meinung, sahen sie sich zu völliger Nichtigkeit verdammt,
wenn sie sich nicht auf die Regierung stützen konnten. Sie entschlossen sich,
weil ihnen zunächst nichts Andres übrig blieb, die Rolle der gouvernementalen
Partei zu übernehmen, um sich von Mac Mahon und Broglie, den sie ganz
als den Ihrigen betrachteten, über Bord halten zu lassen.

Nicht so leicht und auch nicht vorbehaltlos ergaben sich die eifrigen Legi-
timisten in ihr Schicksal. Von der Nothwendigkeit einer Verlängerung der
Vollmachten waren auch sie allerdings überzeugt; aber sie waren durchaus
nicht geneigt, zuzugeben, daß die Versammlung irgend einen Beschluß fassen
könne, der sie in ihrer Allmacht beschränken und also hindern könnte,, zu
jeder ihr gelegen scheinenden Zeit auf den gescheiterten Versuch zurückzukommen
und das Königthum wiederherzustellen. Bis dieser Augenblick einträte, mußte
Mac Mahon, das sahen sie sehr wohl ein, am Ruder erhalten werden.
Man mochte auch immerhin seine Amtsgewalt auf eine längere Reihe von
Jahren ausdehnen: das war auch in ihren Augen ein treffliches Schutzmittel
gegen die Entwürfe der Republikaner, Bonapartisten, Orleanisten, die ihnen
allmählich verhaßter, als alle anderen Parteien wurden; aber die Entsagung,
die sie von den anderen forderten, auch sich selbst aufzuerlegen, lag keineswegs
in ihrer Absicht. Sollte es gelingen, früher oder später eine Stimmen-
Mehrheit für den König zusammenzubringen, so war nach ihrer Ansicht
Mac Mahon selbstverständlich verpflichtet, sofort seine Gewalt an den recht¬
mäßigen Herrscher abzutreten. Spätere Enthüllungen zeigen, daß Broglie
bei dieser Gelegenheit eine ziemlich zweideutige Rolle gespielt und sich über
die Tragweite der Verlängerung der Gewalten den Anhängern Chambord's
gegenüber ganz in einer ihren Anschauungen entsprechenden Weise geäußert
hat. Wie weit die Aeußerungen Broglie's auf den Entschluß der Legitimisten
von Einfluß waren, läßt sich trotz mehrfacher Enthüllungen noch nicht mit
Sicherheit beurtheilen: aber gleichviel ob sie sich hinters Licht haben führen
lassen, oder ob sie eben nur dem Zwang der Verhältnisse nachgaben: im
entscheidenden Augenblicke begnügten sie sich, indem sie für die Verlängerung
der Vollmacht stimmten, ihren Standpunkt und ihr Gewissen mit der nichts¬
sagenden Erklärung zu wahren, daß sie daran festhielten, die Monarchie als
die natürliche Verfassung Frankreichs anzusehen. Zwischen dieser matten
Erklärung und der entschieden feindlichen Haltung der Legitimisten be¬
stand ein offenkundiger Widerspruch; indessen war die Regierung selbst aus
die Opposition von Seiten dieser Partei von Anfang an gefaßt gewesen, da
ihre Presse unausgesetzt den Satz verfocht, daß die Nationalversammlung sich


gefallen lassen. Sie waren von diesem Augenblick an die eifrigsten Anhänger
Mac Mahon's, der, wo er sich öffentlich zeigte, stets von einem Gefolge von
Prinzen und Freunden des Hauses Orleans umgeben war. Ohne jeden Halt
in der öffentlichen Meinung, sahen sie sich zu völliger Nichtigkeit verdammt,
wenn sie sich nicht auf die Regierung stützen konnten. Sie entschlossen sich,
weil ihnen zunächst nichts Andres übrig blieb, die Rolle der gouvernementalen
Partei zu übernehmen, um sich von Mac Mahon und Broglie, den sie ganz
als den Ihrigen betrachteten, über Bord halten zu lassen.

Nicht so leicht und auch nicht vorbehaltlos ergaben sich die eifrigen Legi-
timisten in ihr Schicksal. Von der Nothwendigkeit einer Verlängerung der
Vollmachten waren auch sie allerdings überzeugt; aber sie waren durchaus
nicht geneigt, zuzugeben, daß die Versammlung irgend einen Beschluß fassen
könne, der sie in ihrer Allmacht beschränken und also hindern könnte,, zu
jeder ihr gelegen scheinenden Zeit auf den gescheiterten Versuch zurückzukommen
und das Königthum wiederherzustellen. Bis dieser Augenblick einträte, mußte
Mac Mahon, das sahen sie sehr wohl ein, am Ruder erhalten werden.
Man mochte auch immerhin seine Amtsgewalt auf eine längere Reihe von
Jahren ausdehnen: das war auch in ihren Augen ein treffliches Schutzmittel
gegen die Entwürfe der Republikaner, Bonapartisten, Orleanisten, die ihnen
allmählich verhaßter, als alle anderen Parteien wurden; aber die Entsagung,
die sie von den anderen forderten, auch sich selbst aufzuerlegen, lag keineswegs
in ihrer Absicht. Sollte es gelingen, früher oder später eine Stimmen-
Mehrheit für den König zusammenzubringen, so war nach ihrer Ansicht
Mac Mahon selbstverständlich verpflichtet, sofort seine Gewalt an den recht¬
mäßigen Herrscher abzutreten. Spätere Enthüllungen zeigen, daß Broglie
bei dieser Gelegenheit eine ziemlich zweideutige Rolle gespielt und sich über
die Tragweite der Verlängerung der Gewalten den Anhängern Chambord's
gegenüber ganz in einer ihren Anschauungen entsprechenden Weise geäußert
hat. Wie weit die Aeußerungen Broglie's auf den Entschluß der Legitimisten
von Einfluß waren, läßt sich trotz mehrfacher Enthüllungen noch nicht mit
Sicherheit beurtheilen: aber gleichviel ob sie sich hinters Licht haben führen
lassen, oder ob sie eben nur dem Zwang der Verhältnisse nachgaben: im
entscheidenden Augenblicke begnügten sie sich, indem sie für die Verlängerung
der Vollmacht stimmten, ihren Standpunkt und ihr Gewissen mit der nichts¬
sagenden Erklärung zu wahren, daß sie daran festhielten, die Monarchie als
die natürliche Verfassung Frankreichs anzusehen. Zwischen dieser matten
Erklärung und der entschieden feindlichen Haltung der Legitimisten be¬
stand ein offenkundiger Widerspruch; indessen war die Regierung selbst aus
die Opposition von Seiten dieser Partei von Anfang an gefaßt gewesen, da
ihre Presse unausgesetzt den Satz verfocht, daß die Nationalversammlung sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/303>, abgerufen am 28.07.2024.